„Leider war die Kamera ausgefallen. Habe heute den Techniker gerufen.“ Er lächelte hinterhältig.
„Was für ein Pech. Gerade, wenn die Polizei Sie um Mithilfe bittet. Tja, da kann man wohl nichts machen“, sagte Beatrix und machte ein paar Schritte in Richtung Tür. „Ach, Herr Mader, wenn ich schon da bin, schau ich mir nur noch kurz die Genehmigung von der Datenschutzkommission an. Wenn Sie so freundlich wären.“
„Was meinen Sie?“, fragte Mader.
„Na, Sie wissen bestimmt, dass Sie für so eine Videoüberwachung eine Genehmigung brauchen. Es geht doch um die Privatsphäre von anderen Leuten, die da vorbeigehen. Ist ja ein öffentlicher Ort, der Gehsteig.“
„Was heißt da Privatsphäre?“, stieß der Mann aus. „Ich muss doch bitte meine Mädchen schützen, vor solchen bösen Menschen, wie dem Täter zuletzt. Die Polizei ist ja auch nie da, wenn man sie braucht.“
Schrei doch nicht so, dachte Beatrix.
„Wollen Sie mir jetzt sagen, dass Sie keine Genehmigung haben? Wo doch die Stadt in letzter Zeit die Betriebsvorschriften für Bordelle so rigoros kontrolliert. Ich meine, wenn ich Ihnen jetzt unmittelbar das Lokal zusperr', jetzt, wo Sie schon so viele Damen unter Vertrag haben...“ Beatrix umschrieb in der Luft einen Halbkreis, der eine Gruppe von jungen Frauen umschloss, die gerade aus dem hinteren Raum tröpfelte.
„Was wollen Sie überhaupt von mir?“, fragte Mader und stierte sie an.
„Ich brauche das Band von gestern Abend. Ich borg' es mir aus, Sie können es nachher wieder haben. Von 19 bis 24 Uhr. Wenn Sie so freundlich wären?“
Er zögerte. Putzy rührte sich an der Tür und machte Platz für den ersten Gast des Abends.
Nachher steckte Putzy die DVD im Auto in ein Kuvert. „Mit dir ist heute aber nicht gut Kirschen essen.“
„Ja, das hab ich auch schon bemerkt. Du kannst dir nicht eventuell vorstellen, dass du mit dieser grässlichen Witwe redest?“
Putzy konnte es sich vorstellen, und Beatrix setzte ihn gleich an der Wohnadresse der Frau ab. Dann fuhr sie ins Präsidium, um sich mit Kramer das Video anzusehen. Es war fast wie ein Filmabend, dachte Beatrix, nur dass das Popcorn fehlte.
Sie begannen mit dem frühen Abend und arbeiteten sich langsam vor. In der Gasse herrschte zu dieser Zeit reger Fußgängerverkehr. Die Köpfe der Vorbeigehenden waren zum Teil abgeschnitten, aber die Körper ab dem Hals waren doch immer gut zu erkennen. Das Band zeigte fast 22 Uhr, als ein breiter Mann in grauer Kleidung auftauchte. Eindeutig Andreas Varga. Beatrix setzte sich auf.
„Na bitte. Das ist doch ein Glücksfall. Ein Hoch auf die Bordellbetreiber“, sagte Beatrix.
„Ich setz es dann ein bisschen zurück. Zehn Minuten?“, fragte Kramer.
„Ja, passt.“
Sie ließen die Szene an sich vorbeiziehen. Sechs Minuten vor Varga kamen zwei junge Männer ins Bild. Einer schob ein Fahrrad, der andere war sehr lustig aufgelegt und machte ausfahrende Armbewegungen.
„Nachtschwärmer. Der letzte Abend am Wochenende“, sagte Kramer.
Dann kam ein größeres Loch. Zwei Minuten vor Varga kam ein anderer älterer Mann durch. Er hätte Türke sein können. Für kurze Zeit huschte sein Blick in Richtung der Kamera, dann war er vorbei. Dann gleich nach Varga kam noch jemand vorbei. Eine junge Frau. Sie trug eine unförmige Plastiktasche, ihr Schritt war eilig.
„Nachtschwärmer, die weibliche Variante. Fühlt sich nicht wohl so allein am Abend“, kommentierte Kramer.
Für die nächsten vier Minuten blieb die Straße leer. Endlich kam ein jüngerer Mann mit schwarzem Haar. Sein Gesicht wurde immer schärfer, während er sich der Eingangstür des Bordells näherte und sie öffnete. Sie ließen es noch ein paar Minuten laufen, dann hielt Beatrix das Video an.
„Also was meinst du?“, fragte sie Kramer.
„Die zwei Männer sind es nicht. Zu entspannt. Zu zweit einen Mann erstechen wäre auch sehr ungewöhnlich“, sagte Kramer.
„Der türkische Patriarch ist mir auch wenig spannend“, sagte Beatrix. „Aber wir müssen bei allen versuchen herauszufinden, wer sie sind.“
„Die Frau war zeitlich eindeutig am nächsten beim Varga“, sagte Kramer.
„Na ja... Schaut mir eher wie ein Opfer als wie eine Täterin aus, so, wie sie da ängstlich durch die Gegend huscht“, sagte Beatrix. „Aber keine Ahnung. Also, schauen wir weiter.“
Sie schauten noch die weitere Stunde durch. Eine Stunde vor und nach Varga waren insgesamt elf Personen an der Kamera vorbeigegangen. Endlich stand Beatrix seufzend auf.
„Ich geh morgen meine Zeugin besuchen. Die, die die Leiche gefunden hat. Vielleicht kennt sie jemanden von diesen Leuten aus der Gegend. Es ist ja doch eher eine Wohngegend, da kommen nicht viele Fremde durch.“ Sie drehte sich um. „Gehst du heim?“
„Ich bleib noch ein bisschen, dann kannst du morgen schon Fotos mitnehmen“, sagte Kramer.
„Danke. Aber mach nicht zu viel Überstunden.“
„Ja, Chefin. Gute Nacht.“
An diesem Abend waren sie beide zusammen zu Hause. Beatrix und ihr alter Freund Dr. Gerhard Aufpaß. Gerhard saß auf der linken Seite des Sofas, sie auf der rechten. Das machten sie immer so.
„Heute ist mir danach, mir das Gehirn rauszublasen“, sagte Gerhard.
Damit meinte er, dass er fernsehen wollte. Beatrix stand auf, um sich einen Schluck Zirbenschnaps zu holen.
Es war kurz vor neun Uhr. Gerhard zappte herum, während sie die Trailer verschiedener altbekannter Krimiserien an sich vorbeiziehen ließen.
„Das muss doch irgendwo … ah da.“
Hat er jetzt wirklich was Bestimmtes gesucht? dachte Beatrix, als sie sich wieder aufs Sofa sinken ließ.
Ein altmodischer Schriftzug verschwand auf dem Bildschirm, und sie sahen einen Mann, der stetigen Schrittes eine nächtliche Straße entlang lief. Die Kamera zoomte heran und zeigte ein entschlossenes männliches Gesicht aus der Nähe. Dann wanderte sie weiter, bis sie an einem schweren schwarzen Gegenstand in der Hand des Mannes hängen blieb. Eine Schusswaffe.
„Willst du dir das jetzt ernsthaft anschauen? Das ist ja schlechter, als wenn der Hanatschek das Drehbuch geschrieben hätte.“
Der Kollege Hanatschek war vor vielen Jahren aus dem Dienst ausgeschieden und wahrscheinlich eh schon nicht mehr unter den Lebenden. Nur der Ruhm seiner sagenhaft schlechten Ermittlungsberichte war noch von ihm im Amt verblieben.
„Ja, ich weiß, es ist absolut lächerlich. Aber das soll so eine neue Show sein. Ich glaub, es wird lustig.“
„Na wenn du meinst.“
Sie verfolgten, wie der böse harte Mann bei einem Imbissstand ankam und zu schießen begann. Mündungsfeuer und spritzendes Blut. Das Opfer fiel gurgelnd auf den Grill, während der böse Rächer in der Dunkelheit verschwand.
„Vielleicht gibt’s auch noch Explosionen“, meinte Beatrix und lehnte sich entspannt zurück. Die nächste Szene zeigte eine ältliche Blondine mit Lippenstift, die in die U-Bahn einstieg. Beatrix nippte an ihrem Schnaps. Gerhard lehnte den Oberschenkel an ihre Füße. Fast hätte sie einschlafen können. Die U-Bahn fuhr an und verließ die Station. Plötzlich kam sie zum Stillstand, und von ferne hörte man einen Knall.
„Ich hab dir doch gesagt, dass es Explosionen geben wird“, sagte Beatrix.
Eine halbe Stunde später beobachteten sie gerade, wie der böse harte Mann, der nun schon drei Menschen auf dem Gewissen hatte, über eine Brüstung fiel, als der Bildschirm schwarz wurde. Gerhard lächelte wissend. Beatrix war es eigentlich ganz egal, sie war sowieso müde. Die Dunkelheit und Stille dauerten an. Gerade als Gerhard sich anschickte aufzustehen, um doch nachzusehen, ob der Fernseher noch funktionierte, flimmerte das Bild auf. Ein Mann im Anzug tauchte auf.
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