"Bei allem Respekt, aber ich denke, wir können eine Erklärung erwarten, Commander", sagte Marc Johannsen. Sein Gesichtsausdruck vermittelte Entschlossenheit.
Darran sah Johannsen an, hob die Augenbrauen. Der Commander begriff, daß Johannsen es sehr ernst meinte.
Jetzt läßt es sich nicht länger aufschieben, dachte Darran.
Er hob die Augenbrauen, sah Johannsen offen an.
"Was würden Sie vorschlagen, Lieutenant Johannsen?" erkundigte er sich.
"Ich?"
Johannsen war irritiert. Mit einer derartigen Gegenfrage hatte er nicht gerechnet. Er zuckte die Achseln, wandte dann den Blick kurz zu Rollins, der genauso verwirrt schien. Rollins kratzte sich am Hinterkopf. Eine Verlegenheitsgeste.
Darrans Tonfall blieb gelassen.
"Ja, Sie, Lieutenant Johannsen!" beharrte er. "Aber im Grunde ist das eine Frage, die auch jeden anderen von Ihnen angeht! Sie könnten dem Oberkommando mitteilen, daß wir mit Hilfe der Induktivschulung ein Beiboot des havarierten Raumers beinahe so perfekt bedienen können, wie es eine Besatzung der Originalspezies vermögen würde! Wir könnten stolz berichten, daß wir das größte Machtmittel in Händen halten, das jemals in der Geschichte der Menschheit existiert hat... Keine Macht der Erde kann es mit uns aufnehmen. Die Waffentechnik der EXPLORER II hat zwar bislang noch keine echte Feuerprobe zu bestehen brauchen, wir können aber getrost annehmen, daß nicht einmal in den Geheimlabors von Westunion und PAZIV etwas auch nur halbwegs Vergleichbares entwickelt wurde..."
"Und wir wurden ausgeschickt, um diese Technologie für die Menschheit nutzbar zu machen", stellte Johannsen fest.
"Für die Westunion", korrigierte Darran.
"Meinetwegen: Für die Westunion", gestand Lieutenant Marc Johannsen zu.
Darran fuhr fort: "Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß unsere Regierung bereit wäre, diese Errungenschaften mit der Pazifischen Vereinung zu teilen --- oder beurteilen Sie das anders?"
Johannsen zuckte die Achseln, verschränkte dann die Arme vor der Brust. "Warum auch?" meinte er. "Es wäre ja auch wohl gerade zu töricht, unseren Feinden das Messer in die Hand zu geben, mit denen sie uns die Gurgel durchschneiden können... So verflucht lange ist der große Krieg von 2031 schließlich auch noch nicht her!"
"Sehr richtig... Und jetzt denken Sie mal einen Schritt weiter! Wir bringen die EXPLORER II auf die Erde, landen damit vor dem Regierungssitz und sagen zu Präsident Berringer: Bitteschön, hier hast du ein tolles Spielzeug, mit dem du der PAZIV eins auswischen kannst! Haben Sie auch schonmal darüber nachgedacht, was dann geschehen wird?"
Schweigen herrschte.
Einige volle Sekunden lang sagte niemand ein Wort.
"Es wird Krieg auf der Erde geben", war schließlich Ron Sohlbergers unmißverständliche Analyse der Lage. "Entweder wird unsere eigene Regierung übermütig oder die PAZIV-Regierung schlägt zu, weil sie glaubt, daß sie hoffnungslos ins Hintertreffen gerät, wenn sie nicht bald etwas unternimmt..."
Darran nickte. Eins zu null, dachte er. Captain Ron Sohlberger schien seine Argumentation verstanden zu haben.
"Außerdem müssen wir damit rechnen, daß das Schiff, das den 2000-m-Raumer kampfunfähig geschossen hat, wieder hier im Sol-System auftaucht", war James O'Donnell, der Computerspezialist überzeugt.
Shebulaan, so nannte sich diese Spezies, wie sie aus den Speichern der Induktiv-Schulung wußten. Und da diese Shebulaan sich mit den Robotern, die den havarierten Kugelraumer bemannt hatten, offenbar im Krieg befanden, bedeutete daß, das zumindest eine der beiden Parteien der Menschheit feindlich gesonnen war.
Rollins nickte. "Und vermutlich wird das Shebulaan-Raumschiff nicht allein kommen. Wahrscheinlich werden diese Außerirdischen uns als Feinde betrachten... Schließlich fliegen wir mit einem Raumer ihrer Feinde durchs All, da liegt der Schluß ja auch nahe."
"Als Feinde?" zweifelte Captain Ron Sohlberger, der Waffenspezialist unter Darrans Leuten. Sohlberger schüttelte den Kopf. "Vielleicht eher als eine Art störendes Ungeziefer, das man beseitigen muß... Die militärischen Möglichkeiten der Westunion sind ein Nichts gegen die Macht dieser Außerirdischen. Und dasselbe gilt natürlich für die PAZIV! In dem interstellaren Krieg, der offenbar da draußen tobt, wären wir kein Machtfaktor. Noch nicht einmal jemand, den man überhaupt beachten müßte."
Darran war mit dieser Analyse der Lage durchaus einverstanden. "Wir stehen kurz davor, in einen galaktischen Konflikt hineingezogen zu werden... In einen Konflikt, bei dem wir nicht die geringste Ahnung von den Hintergründen haben. Wir bewegen uns praktisch wie Blinde auf galaktischem Parkett. Und bislang sind wir so gut wie völlig schutzlos."
"Wen bezeichnest du jetzt als 'wir'?" fragte Major Net Rovan, ein Duzfreund Darrans. Seine Spezialität waren waghalsige Kommandounternehmen.
Darran drehte sich zu ihm herum. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Major.
"Wir? Das ist die Menschheit, Net", erklärte der Commander dann.
"Und die Westunion?" fragte Rovan zurück.
Darran zuckte die Achseln. Erkennst du das wirklich nicht, Net? dachte er. Nein, es widerspricht allem, worauf er gedrillt wurde. Allem, wofür er gelebt hat. Es gibt verdammt viel Gedankenmüll, den wir alle über Bord schmeißen müssen und ich kann nur hoffen, daß möglichst viele von uns das schaffen. Genug jedenfalls, um diese Sache durchzuziehen...
"Was bedeutet der Konflikt zwischen Westunion und PAZIV schon angesichts dessen, was da draußen auf uns wartet?" sagte Darran schließlich. Eine rhetorische Frage. Die Anwesenden schiegen. Nach einer kurzen, effektvollen Pause fuhr Commander John Darran dann fort: "Nichts! Im kosmischen Maßstab gesehen bedeutet dieser Konflikt gar nichts! Er ist ein völlig bedeutungsloser Faktor, ein Kampf zwischen Kleinstaaten auf einem Primitiv-Planeten! Mehr nicht!" Darran atmete tief durch. Er sah die Zweifel in den Augen seiner Leute. Und er konnte sie sogar verstehen. Schließlich hatten sie alle einen Eid geleistet, der Westunion loyal zu dienen. Und das, worauf Darrans Gedanken letztlich hinausliefen, war nicht mehr und nicht weniger als pure Meuterei...
So langsam begann das auch seinen Männern zu dämmern.
Und normalerweise wäre die Reaktion bei einigen von ihnen ziemlich heftig gewesen.
Normalerweise...
Aber es war nicht irgend jemand, dessen Gedanken praktisch auf Meuterei hinausliefen.
Es war John Darran. Und das natürliche Charisma des Commanders sorgte dafür, daß die Männer sich solche Äußerungen überhaupt anhörten.
Vielleicht hat der eine oder andere von ihnen ebenfalls bereits daran gedacht, überlegte Darran. Marc Johannsen zum Beispiel.
Johannsen hatte ja Gelegenheit genug dazu gehabt, das Hauptquartier der Star Force eigenmächtig zu informieren. Er hatte es nicht getan. Und das gewiß nicht ohne Grund. John Darran hielt das für ein gutes Zeichen.
Schließlich lagen die Konsequenzen ja auf der Hand, auch wenn vielleicht bislang noch nicht alle bereit waren, sie sich auch einzugestehen.
"Du traust unserer Regierung nicht, John", stellte Net Rovan fest. Sein Tonfall klang klirrend kalt. John Darran registrierte das ganz genau. Er konnte sich nicht daran erinnern, daß Net je so mit ihm geredet hatte...
John Darran nickte.
"Ganz recht", nickte er. "Ich mißtraue der Regierung der Westunion in dieser Situation. Was würde denn passieren, wenn wir Ihnen die EXPLORER II und ihr Schwesterschiff, an dem unsere Leute gerade herumbasteln, überließen? Es wäre genau wie Captain Sohlberger es vorhin analysierte: Krieg oder Präventivkrieg!"
"Die verdammte PAZIV bekäme endlich mal eins auf die Nuß!" meinte Bert Vandoren, der offenbar so viel gar nicht gegen eine derartige Entwicklung einzuwendfen hatte. Vielleicht entsprang seine Bemerkung aber auch einem Gewissen Hang zum Sarkasmus.
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