Fraschini hatte als Kind im örtlichen Kirchenchor gesungen und debutierte 1837 in Pavia in Donizettis Gemma di Vergy . Über die Karrierestationen Bergamo, Lodi, Vicenza, Venedig, Piacenza und Turin gelangte er 1840 an die Mailänder Scala (Debut in Donizettis Marin Faliero , danach Auftritte in Cordellas Gli avventurieri ) und danach an das Teatro San Carlo in Neapel (Faone in Pacinis Saffo ), wo er bis 1848 regelmäßig engagiert war und auch nach 1852 wieder auftrat. Die erste Verdi-Oper, in der Fraschini auftrat, war Ernani im Teatro S. Benedetto in Venedig (Mai 1844), an der Seite von Filippo Coletti. Mit diesem Kollegen sang er 1845 auch die Erstaufführung der Foscari in Neapel. Fraschini sang im Ausland außer in London in Paris und in Wien, wohin er bis 1852 oft eingeladen wurde. Er trat auch in Uraufführungen von Opern von Pacini, Mercadante, Donizetti und Petrella auf. Sein Repertoire umfaßte 106 Hauptrollen. Er beendete seine Karriere 1873.
Abb. 23 – Gaetano Fraschini (1816-1887), der Lieblingstenor Giuseppe Verdis.
Das Notenbild der von Fraschini gesungenen Verdi-Partien gibt Aufschluß über seine stimmlichen Voraussetzungen. Seine Erfolge in den Tenorrollen in La battaglia di Legnano, I vespri siciliani, Un ballo in maschera, La forza del destino, Ernani, Luisa Miller, Il trovatore, Simon Boccanegra und Stiffelio , die den anspruchsvollen Verdi begeistern, bestätigen die Beschreibungen seines durchschlagskräftigen, jedoch auch zu Zwischentönen fähigen Tenors (den man sich – von der Stimmanlage, nicht jedoch vom Stil her – wie ein Mittelding zwischen Francesco Tamagno und Franco Corelli vorstellen kann). Es handelt sich fast durchwegs um sogenannte Zwischenfach-Partien, zu deren Bewältigung der Tenor eine robuste, technisch einwandfrei geführte Stimme mit ausgezeichneter Höhe[244] benötigt, Voraussetzungen, die Fraschini mit seiner leicht baritonalen Färbung voll erfüllt. Seine Stimme soll „wie ein großer Silberteller, der mit einem Hammer, ebenfalls aus Silber, angeschlagen wird“[245] geklungen haben. Sein Einsatz als Rigoletto -Herzog zeigt, daß die Rolle schon im 19. Jahrhundert von baritonalen Tenören mit heldischem Einschlag gesungen wurde. Der Umstand, daß Verdi den Riccardo im Ballo für Fraschini schrieb, ist ein Hinweis auf die vom Komponisten gewünschte Stimmcharakteristik. Erwähnenswert ist schließlich noch, daß der Stiffelio eine der stimmlich anspruchvollsten Verdi-Rollen ist. Er wird von vielen Tenören mit dem Radames und dem Otello verglichen und als kaum weniger anstrengend als diese Partien empfunden.
Zu seinen erfolgreichen Rollen anderer Komponisten zählen die Tenorpartien in Donizettis Lucia di Lammermoor, Caterina Cornaro , Lucrezia Borgia und Poliuto (eine ausgesprochen heldische Partie) sowie in Robert le diable oder Orazi e Curiazi (Mercadante).
D
er Bariton Filippo Coletti(Anagni, Frosinone 1811-1894) debutierte 1834 in Neapel als Prosdocimo in Rossinis Il turco in Italia und etablierte sich im ersten Jahrzehnt seiner Karriere als Bellini- und Donizetti-Spezialist. 1836 debutierte er in Lissabon, 1840 in London und Wien, 1841 an der Mailänder Scala. In Neapel wurde er 1844 von Donizetti in der Uraufführung der Caterina Cornaro eingesetzt. Nachdem er in diesem Jahr mit großem Erfolg in Venedig den Don Carlo in Verdis Ernani und den Nabucco gesungen hat, wird auch er zu einem der bevorzugten Interpreten Verdis. Nach der Alzira besetzt ihn Verdi 1846 in der Pariser Erstaufführung der Foscari , 1847 in der Uraufführung von I masnadieri in London, wo von der Kritik auch die darstellerische Leistung des Sängers anerkennend hervorgehoben wird, 1851 in der römischen Erstaufführung des Rigoletto (unter dem zensurbedingten Titel Viscardello ) und 1858 auf Wunsch Verdis in der neapolitanischen Erstaufführung des Simon Boccanegra :
Abb. 24 – Filippo Coletti (1811-1894), einer der von Verdi bevorzugten Baritone.
Wenn Ihr wirklich die Absicht habt, den Boccanegra zu geben, scheint mir [die Besetzung ] mit Coletti, Fraschini und der Penco sowie einem Basso profondo, den man noch finden müßte, ausgezeichnet. Es wäre ein Fehler, diese Oper mit einer anderen Besetzung aufzuführen! Es gibt keinen besseren als Coletti für den Dogen. [246]
Gerühmt werden auch seine Interpretationen des Ezio in Attila , des Conte di Luna in Il trovatore , des Monforte in I vespri siciliani , des Simon Boccanegra und des Germont in La traviata. Die Überlegungen, den Re Lear zu komponieren, verbindet Verdi mit Coletti, den er sich in der Titelpartie vorstellen könnte.[247] 1869 beendet der Sänger seine Karriere in Neapel. Er veröffentlicht eine Abhandlung über die Gesangskunst.[248]
Coletti war, wie auch aus seiner Karriere abzulesen ist, ursprünglich ein basso cantante . Bei dem Versuch, sich ein Bild von seinen stimmlichen Möglichkeiten zu machen, darf man angesichts der von ihm interpretierten Verdi-Rollen allerdings nicht annehmen, daß er diese Rollen mit den heute vielfach üblichen, eingelegten, d.h. nicht komponierten Spitzentönen gesungen hat.
D
ie Uraufführung der Alzira geht am 12. August 1845 über die Bühne. Der Erfolg ist umstritten, auch weil die übergangene Sopranistin Ann Bishop nach Verdis Meinung Journalisten bestochen[249] und Protestaktionen organisiert hat. Die Zeitungen berichten von Applaus und Pfiffen, von Hervorrufen und Zischen. Einige Nummern finden lautstarke Zustimmung, andere werden mit eisigem Schweigen aufgenommen. Verdi wird im Verlauf des Abends fünf Mal hervorgerufen. Bei den Folgevorstellungen verwandelt sich die eingeschränkte Zustimmung in Ablehnung. Der Beweis für den Mißerfolg ist Verdis Versuch, aus einem Vertrag auszusteigen, der ihn zur Komposition einer weiteren Oper für Neapel verpflichtet (daraus wird mit zwei Jahren Verspätung 1849 die Luisa Miller werden). Diesmal irrt Verdi mit seinen Erfolgsprophezeiungen:
Dem Himmel sei Dank, auch das ist vorbei. Die Alzira ist auf der Bühne. Diese Neapolitaner sind grausam, aber sie haben applaudiert. Die Bishop hat mir eine Claque vorbereitet, die diese arme Kreatur gewaltsam zu Fall bringen wollte. Trotz alledem wird die Oper im Repertoire bleiben und, was mehr zählt, sie wird wie ihre Schwestern auf die Reise gehen.[250]
Wahrscheinlich am selben Tag berichtet er an Piave:
Meine Uraufführungen sind keine Vorstellungen, sondern Kämpfe. [...] Alzira hat so gefallen wie Ernani am ersten Abend in Venedig. Damit habe ich Dir alles gesagt. [...] Sie wird auch (wenn ich nicht irre) die übliche Reise antreten, und zwar bald, denn mir scheint, daß sie eine stärkere Wirkung als die Foscari hat.[251]
Der letzte Satz ist eine Taktlosigkeit, denn das Libretto der Foscari stammt von Piave.
A
m 28. Oktober 1845 wird die Alzira im Teatro Argentina in Rom aufgeführt. Es kommt zu ungefähr zehn Vorstellungen. Die Interpreten in Rom sind die Sopranistin Augusta Boccabadati, der Tenor Luigi Ferretti und der Bariton Antonio d’Avila. Wenn die Oper hier einen gewissen Erfolg hat, ist es, wenn man den Zeitungen Glauben schenkt, mehr das Verdienst der Interpretation und der luxuriösen Ausstattung als der Musik. Vier Monate später, am 17. Februar 1846 geht die Alzira in Parma über die Bühne. Die Interpreten heißen hier Adelaide Moltini, Giacomo Roppa (der Tenor der Foscari -Uraufführung) und Piero Balzar. Verdis Heimvorteil in Parma kommt nicht zum Tragen: „Bescheidener Erfolg“ kommentiert die Gazzetta di Parma , „Roppa ist der einzige, der Applaus erhalten hat.“ Für einen „historischen Erfolg“ hält hingegen Ricordis Gazzetta Musicale die Aufführung, obwohl auch sie „Zeichen der Ablehnung“ bei einigen Nummern ortet.
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