Impressum:
Vom Kärntnertortheater ins Hof-Operntheater
Giuseppe Verdis Wienbesuche
von Christian Springer
Published by: epubli GmbH, Berlin, 2018, www.epubli.de
Copyright: © Christian Springer
ISBN: 978-3-746727-91-2
Vom Kärntnertortheater in die Hofoper
GIUSEPPE VERDIS WIENBESUCHE
Christian Springer
Für Joanna
Verdis Auslandsdebut: Am Wiener Kärntnertortheater
Ein Förderer Verdis: Gaetano Donizetti ...
... und ein Gegenspieler: Otto Nicolai
Erster Anlauf zu einem neuerlichen Wien-Besuch
Triumphale Rückkehr nach Wien
Verdi zu Besuch am Wiener Konservatorium
Don Carlo für Wien?
Wien, das erste Theater der Welt
Bülow attackiert Verdi, Brahms kalmiert
Letzte Wien-Kontakte
Eine Verdi-Uraufführung in Wien
Aufführungsstatistik der Opern Giuseppe Verdis in Wien
Bibliographische Abkürzungen
Quellennachweis
Der Autor
Wien: Erstes Theater der Welt,
und dieser Meinung wäre auch ich.
Verdi an Clara Maffei, 1879
VERDIS AUSLANDSDEBUT: AM WIENER KÄRNTNERTORTHEATER
Als der neunundzwanzigjährige Giuseppe Verdi im Frühjahr 1843 von Mailand aus seine erste Auslandsreise unternahm, um am Kärntnertortheater {1}die Wiener Erstaufführung – und damit gleichzeitig die erste Aufführung einer Verdi-Oper außerhalb Italiens – seiner im Vorjahr an der Mailänder Scala uraufgeführten Erfolgsoper Nabucco zu dirigieren, stand Norditalien seit langen Jahren unter österreichischer Besatzung (von 1831 bis 1857 war der österreichische Feldmarschall Radetzky Oberbefehlshaber in der Lombardei und Venetien). Die Gefühle, die ein freiheitsliebender, dem Ideal der Einigung Italiens anhängender italienischer Patriot wie Verdi, der von seinen Landsleuten zusammen mit nur wenigen anderen später mit dem Ehrentitel Pater patriae bezeichnet werden sollte, der Besatzungsmacht Österreich auf politischer Ebene zwangsläufig entgegenbrachte, sind unschwer vorstellbar. Doch hatte die sich abzeichnende große Karriere Vorrang: Das Kärntnertortheater war ein wichtiges Opernhaus – und es wurde von einem Italiener geleitet, von Bartolomeo Merelli{2}, jenem Impresario der Mailänder Scala, der trotz eines Misserfolgs Verdis{3} so großes Vertrauen in den jungen Komponisten gesetzt hatte, dass er ihn – auch wenn man alle diesbezüglichen Verdis Situation romantisierenden Legenden beiseite läßt – praktisch zur Komposition des Nabucco gezwungen hatte. Merelli war ein gewiefter, in wirtschaftlichen Kategorien denkender, jedoch künstlerisch bewanderter Inhaber einer Impresa.
Die impresa (Theaterunternehmen) und, davon abgeleitet, der impresario (Theaterunternehmer) war in Italien vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ein wesentlicher Bestandteil des Opernbetriebs. Der Impresario, ein künstlerisch wie wirtschaftlich möglichst erfahrener Unternehmer, pachtete ein Theater, vergab an Dichter die Aufträge zur Herstellung von Libretti, beauftragte Komponisten mit der Vertonung dieser Texte, engagierte Sänger und sorgte für die szenische Realisierung der Werke. Die Finanzierung dieses Risikogeschäfts erfolgte durch Vermietung der Logen an finanzkräftige Interessenten und durch öffentlichen Kartenverkauf. Berühmte Impresari waren Domenico Barbaja, Vincenzo Jacovacci oder Alessandro Lanari, die zum Teil wie Merelli mehrere Theater in Italien und im Ausland gleichzeitig betrieben und auch Einnahmen aus Glücksspielen im Theater lukrierten. Während viele Impresari nur Geschäftsleute waren und keine künstlerischen Ambitionen hatten, war Merelli selbst als Librettist tätig. Er verfaßte zwischen 1816 und 1851 mindestens dreizehn Textbücher, darunter für Komponisten wie Simon Mayr, Gaetano Donizetti und Nicola Vaccaj.
Bartolomeo Merelli (1794-1879)
Merelli wurde zu jener Zeit von seinen Landsleuten sogar verdächtigt, ein österreichischer Spion zu sein (was in der Literatur ebenso genüsslich wie unüberprüft immer wieder kolportiert, jedoch niemals bewiesen wird), weil er als Italiener eine für das Operngeschäft vor 1848 typische Haltung einnahm: Man gab sich im Ausland betont apolitisch und regierungsfreundlich, im Falle Merellis also österreichfreundlich, um ungehindert seinen Geschäften nachgehen zu können. Dass seine Landsleute das nicht goutierten, wird aus den kursierenden Spionagegerüchten ersichtlich.
Aus vergleichbaren pragmatischen Karrieregründen hatte Verdi den von Ricordi gedruckten Klavierauszug Adelheid von Österreich{4} gewidmet: „Posto in musica e umilmente dedicato a S.A.I. la Serenissima Arciduchessa Adelaide d’Austria, il 31 marzo 1842, da Giuseppe Verdi.“{5}
Adelheid von Österreich
Wie dem auch sei: Der scheue, unerfahrene, unsichere Verdi – zu jener Zeit noch weit davon entfernt, jener durchsetzungsfähige Künstler und, wenn es die Situation erforderte, auch harte Geschäftsmann zu sein, zu dem ihn seine Erfahrung bald machte – leitete mit seinem ersten Auftritt im Ausland eine sechs Jahre währende hektische, konfliktreiche Periode seiner Karriere ein, die ihn europaweit von Theater zu Theater, von Metropole zu Metropole führte und von ihm einen hohen Tribut in künstlerischer und gesundheitlicher Hinsicht forderte.
Das k.k. Hof-Operntheater nächst dem Kärnthnerthore
An das erste Zusammentreffen mit dem Orchester des Hof-Operntheaters erinnerte sich Verdi noch sechsundzwanzig Jahre später genau.
Francesco Florimo
In einem Brief an Francesco Florimo{6} kam er zuerst auf die Direktion des Teatro San Carlo in Neapel zu sprechen und kritisierte dann die am San Carlo geübte Gepflogenheit, die Violen und die Celli nicht als geschlossene Gruppen im Orchester zu disponieren, sondern diese Musiker über das gesamte Orchester verstreut sitzen zu lassen. Diese Anordnung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Italien noch üblich gewesen. In Wien wurde Verdi 1843 eines besseren belehrt:
Ganz abgesehen von der ungeeigneten Truppe [des San Carlo], möchte ich, dass Euer Theater [...] einige Änderungen vornimmt, die aufgrund der modernen Partituren unerläßlich sind, und zwar sowohl, was die Inszenierungen anlangt, als auch den Chor und vielleicht auch das Orchester. Wie könnt Ihr, um nur ein Beispiel anzuführen, hinnehmen, dass die Violen und die Celli getrennt voneinander sitzen? Wie kann es da einen [präzisen] Einsatz der Streicher, Farbgebung, Akzente usw. usw. geben? Abgesehen davon fehlt der volle Klang der Gruppe der Streichinstrumente. Das ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, als Violen und Celli noch im Unisono mit den Kontrabässen spielten. Verdammte Gewohnheiten! In diesem Zusammenhang möchte ich Euch eine Geschichte erzählen. Als ich nach Wien kam und sah, dass die Kontrabässe in der Mitte des Orchesters gruppiert waren (ich, der ich daran gewöhnt war, sie über das ganze Orchester verstreut sitzen zu sehen), war ich höchst überrascht und [konnte mir] ein maliziöses Lächeln [nicht verkneifen], das besagen wollte „schau dir diese deutschen Tölpel{7} an usw.“; als ich aber ins Orchester ging und vor diesen Kontrabässen stand, als ich diesen kraftvollen Einsatz, die Präzision, die Reinheit, die Piani, die Forti usw. [ihres Spiels] hörte, erkannte ich, dass ich der Tölpel war, und lachte nicht mehr.{8}
Читать дальше