Kommissar Escherich sah wie aufwachend hoch. Er sagte befehlend: »Die Frau wird mit einem Krankenwagen fortgebracht. Zwei Mann Begleitung. Sie stehen mir für sie, Kemmel, kein Verhören, überhaupt keinerlei Sprecherlaubnis. Aber sofort einen Arzt. Das Fieber muß in drei Tagen weg sein, sagen Sie ihm das, Kemmel!«
»Befehl, Herr Kommissar!«
»Die andern bringen die Wohnung wieder in Ordnung, tadellos. In welchem Buch hat diese Karte gelegen? Radiobastelbuch? Schön! Wrede, legen Sie die Karte genau so hinein, wie sie lag. In einer Stunde muß hier alles in Ordnung sein, ich komme dann noch einmal mit dem Täter hierher. Keiner von Ihnen bleibt hier. Kein Posten, nichts! Verstanden?«
»Befehl, Herr Kommissar!«
»Also gehen wir, Herr Obergruppenführer?«
»Wollen Sie der Frau nicht noch die aufgefundene Karte vorhalten, Escherich?«
»Wozu? Jetzt im Fieber reagiert sie doch nicht richtig, und mir kommt es nur auf den Mann an. Wrede, haben Sie irgendwo Schlüssel für die Entreetür gesehen?«
»In der Handtasche der Frau.«
»Geben Sie her – danke. Also gehen wir, Herr Obergruppenführer!«
Drunten, an seinem Fenster, sah der Kammergerichtsrat Fromm den Fortfahrenden nach. Er wiegte den Kopf hin und her. Später sah er, wie die Bahre mit Frau Quangel in einen Krankenwagen gehoben wurde; aber an dem Aussehen der Begleiter erkannte er, daß die Fahrt in kein übliches Krankenhaus ging.
»Einer nach dem andern«, sagte der Kammergerichtsrat a.D. Fromm leise.
»Einer nach dem andern. Das Haus wird leer. Rosenthals, Persickes, Borkhausen, Quangel – ich wohne fast allein hier. Eine Hälfte des Volkes sperrt die andere ein, das kann nicht mehr lange dauern. Nun, ich jedenfalls werde hier wohnen bleiben, mich wird man nicht einsperren …«
Er lächelt und nickt.
»Je schlimmer, je besser. Um so eher nimmt dies ein Ende!«
49
Das Gespräch mit Otto Quangel
Es war dem Kommissar Escherich nicht ganz leicht geworden, Herrn Obergruppenführer Prall zu bestimmen, daß er ihn bei dem ersten Verhör mit Otto Quangel allein ließ. Aber schließlich war es ihm doch gelungen.
Als er mit dem Werkmeister die Treppen zur Wohnung hinaufstieg, war es schon dunkel geworden. Licht brannte auf den Treppen, Licht schaltete Quangel ein, als sie in die Stube getreten waren. Er wandte sich zum Schlafzimmer.
»Meine Frau ist krank«, murmelte er.
»Ihre Frau ist nicht mehr hier«, sagte der Kommissar. »Sie ist fortgebracht. Setzen Sie sich hierher zu mir …«
»Meine Frau hat viel Fieber – Grippe …« murmelte Quangel.
Es war ihm anzusehen, daß die Nachricht von der Abwesenheit seiner Frau ihn stark erschüttert hatte. Die starre Gleichgültigkeit, die er bisher zur Schau getragen hatte, war gewichen.
»Ein Arzt sorgt für Ihre Frau«, sagte der Kommissar beruhigend. »Ich denke, in zwei, drei Tagen werden wir das Fieber fort haben. Ich habe für den Abtransport einen Krankenwagen beordert.«
Zum ersten Mal sah Quangel den Mann da vor sich genauer an. Lange ruhte sein starres Vogelauge auf dem Kommissar. Dann nickte Quangel. »Krankenwagen«, sagte er. »Doktor – das ist gut. Ich danke Ihnen. Das ist richtig. Sie sind kein schlechter Mann.«
Der Kommissar nützte seine Gelegenheit. »Wir sind nicht so schlimm, Herr Quangel«, sagte er, »wie wir oft gemacht werden. Wir tun alles, um den Verhafteten die Lage zu erleichtern. Wir wollen ja nur feststellen, ob eine Schuld vorliegt. Das ist unser Geschäft, wie es Ihr Geschäft ist, Särge zu tischlern …«
»Ja«, sagte Quangel mit harter Stimme. »Ja, Sargtischler und Sarglieferant, so ist das!«
»Sie meinen«, antwortete Escherich leicht spöttisch, »ich liefere den Inhalt der Särge? Sehen Sie Ihren Fall denn so schwarz an?«
»Ich habe keinen Fall!«
»Oh, doch schon, ein bißchen. Sehen Sie zum Beispiel einmal diese Feder an, Quangel. Ja, es ist Ihre Feder. Die Tinte daran ist noch ganz frisch. Was haben Sie heute oder gestern mit dieser Feder geschrieben?«
»Ich mußte was unterschreiben.«
»Und was mußten Sie denn unterschreiben, Herr Quangel?«
»Ich habe einen Krankenschein ausgeschrieben, für meine Frau. Meine Frau ist nämlich krank, Grippe …«
»Und Ihre Frau hat mir gesagt, Sie schreiben nie. Alles, was bei Ihnen geschrieben wird, schreibt sie, hat sie gesagt.«
»Das ist auch ganz richtig, was meine Frau gesagt hat. Die schreibt alles. Aber gestern mußte ich, weil sie Fieber hatte. Sie weiß davon nichts.«
»Und sehen Sie einmal, Herr Quangel«, fuhr der Kommissar fort, »wie die Feder spießt! Es ist eine ganz neue Feder, aber schon spießt sie. Das macht, weil Sie solch schwere Hand haben, Herr Quangel.« Er legte die beiden in der Werkstatt gefundenen Karten auf den Tisch. »Sehen Sie, die erste Karte ist noch ganz glatt geschrieben. Aber bei der zweiten, sehen Sie – hier – und hier – und da das B auch –, da hat die Feder gespießt. Nun, Herr Quangel?«
»Das sind die Karten«, sagte Quangel gleichgültig, »die haben in der Werkstatt auf dem Boden gelegen. Ich habe dem mit der blauen Jacke gesagt, er soll sie aufheben. Da hat er’s getan. Ich habe einen Blick auf die Karten geworfen, dann habe ich sie gleich dem Vertrauensmann von der Arbeitsfront gegeben. Der ist mit den Karten weggegangen. Und weiter weiß ich von den Dingern nichts.«
Das alles hatte Quangel eintönig und langsam gesagt, mit einer schwerfälligen Zunge, wie ein alter, etwas beschränkter Mann.
Der Kommissar fragte: »Aber das sehen Sie doch, Herr Quangel, daß diese zweite Karte zum Schluß mit einer gespaltenen Feder geschrieben ist?«
»Davon verstehe ich nichts. Ich bin gewissermaßen kein Schriftgelehrter, wie es in der Bibel heißt.«
Eine Weile war es ganz still in dem Zimmer. Quangel sah vor sich hin auf den Tisch, mit einem fast ausdruckslosen Gesicht.
Der Kommissar sah den Mann an. Er war fest davon überzeugt, daß dieser Mann nicht so langsam und schwerfällig war, wie er jetzt tat, sondern so scharf wie sein Gesicht und so rasch wie sein Auge. Der Kommissar sah es als seine erste Aufgabe an, diese Schärfe aus dem Mann hervorzulocken. Er wollte mit dem schlauen Kartenschreiber reden, nicht mit diesem alten, von Arbeit töricht gewordenen Werkmeister.
Nach einer Weile fragte Escherich: »Was sind denn das da für Bücher auf dem Regal?«
Langsam hob Quangel den Blick, sah einen Augenblick den andern an und drehte dann den Kopf ruckweise, bis das Bücherregal ihm in Sicht kam.
»Was das für Bücher sind? Da steht das Gesangbuch von meiner Frau und ihre Bibel. Und das andere sind wohl alles Bücher von meinem Sohn, der gefallen ist. Ich lese keine Bücher, ich besitze keine. Ich habe nie gut lesen können …«
»Geben Sie mir doch mal das vierte Buch von links, Herr Quangel, das mit dem roten Einband.«
Langsam und vorsichtig nahm Quangel das Buch aus der Reihe, trug es behutsam, als sei es ein rohes Ei, an den Tisch und legte es vor den Kommissar.
»Otto Runges Radiobastelbuch«, las der Kommissar laut vom Deckel vor. »Na, Quangel, fällt Ihnen nichts ein, wenn Sie dies Buch sehen?«
»Ein Buch von meinem Sohn Otto, der gefallen ist«, antwortete Quangel langsam. »Der hatte es mit den Radios. Der war bekannt, um den haben sich die Werkstätten gerissen, der kannte jede Schaltung …«
»Und sonst fällt Ihnen nichts ein, Herr Quangel, wenn Sie dies Buch sehen?«
»Nee!« Quangel schüttelte den Kopf. »Ich weiß von nichts. Ich les nicht in solchen Büchern.«
»Aber vielleicht legen Sie was rein? Schlagen Sie das Buch mal auf, Herr Quangel!«
Das Buch öffnete sich genau an der Stelle, wo die Karte lag.
Quangel starrte auf die Worte: »Führer befiehl, wir folgen …«
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