»Nicht!« lallt die Frau. »Sie sollen das nicht!«
»Sag, daß du die Karten geschrieben hast! Sag – das – auf – der – Stelle! Oder – ich – schlage – dir – deinen – Bregen – kaputt, du rote Sau, du!«
Und bei jedem Wort läßt er ihren Kopf gegen die Bettwand krachen.
Der Kommissar Escherich, das Schreibzeug in der Hand, sieht von der Tür her mit einem Lächeln zu. Das ist also eine Vernehmung durch den Obergruppenführer! Wenn er noch fünf Minuten so weitermacht, wird die Frau fünf Tage lang vernehmungsunfähig sein. Keine noch so raffiniert ausgedachte Quälerei wird ihr dann das Bewußtsein wiedergeben.
Aber für einen Augenblick ist das vielleicht nicht einmal so schlecht. Soll die ruhig ein bißchen Angst kriegen und Schmerzen haben, um so eher wird sie sich an ihn, den höflichen Mann, klammern!
Als der Obergruppenführer den Kommissar am Bett auftauchen sieht, hört er mit seiner Beutelei auf und sagt halb entschuldigend und halb vorwurfsvoll: »Sie sind viel zu sanft mit solchen Weibern, Escherich! Die muß man schleifen, bis sie quieken!«
»Gewiß, Herr Obergruppenführer, sicher! Aber darf ich der Frau erst einmal etwas zeigen?«
Er wendet sich an die Kranke, die jetzt mühsam keuchend und mit geschlossenen Augen im Bett liegt: »Frau Quangel, hören Sie mal her!«
Sie scheint nicht zu hören.
Der Kommissar faßt sie an und setzt sie vorsichtig auf. »So«, sagt er, sanft zuredend. »Nun machen Sie mal die Augen auf!«
Sie tut es. Escherich hat ganz richtig gerechnet: nach dem Schütteln und Drohen eben klingt ihr die freundlich-höfliche Stimme angenehm.
»Sie haben mir doch eben gesagt, daß bei Ihnen hier schon lange keiner geschrieben hat? Nun, sehen Sie sich mal diese Feder an. Mit der ist gerade erst geschrieben, vielleicht heute oder gestern, die Tinte sitzt noch ganz frisch dran! Sehen Sie, ich kann sie mit dem Nagel abkratzen!«
»Davon versteh ich nichts!« sagt Frau Quangel abweisend. »Da müssen Sie meinen Mann nach fragen, von so was versteh ich nichts.«
Kommissar Escherich sieht sie aufmerksam an. »Sie verstehen ganz gut, Frau Quangel!« sagt er etwas schärfer. »Bloß, Sie wollen nicht verstehen, weil Sie wissen, Sie haben sich schon verraten!«
»Bei uns schreibt keiner«, wiederholt Frau Quangel hartnäckig.
»Und Ihren Mann brauche ich nicht mehr zu befragen«, fährt der Kommissar fort. »Weil er nämlich schon alles gestanden hat. Er hat die Karten geschrieben, und Sie haben sie ihm diktiert …«
»Na, denn ist’s ja gut, wenn Otto das gestanden hat«, sagt Anna Quangel.
»Hau das freche Aas doch in die Fresse, Escherich!« schreit der Obergruppenführer plötzlich dazwischen. »So ’ne Frechheit, uns hier anzusohlen!«
Aber der Kommissar haut das freche Aas nicht in die Fresse, sondern er sagt: »Wir haben Ihren Mann geschnappt mit zwei Postkarten in der Tasche. Er konnte ja gar nicht leugnen!«
Als Frau Quangel das mit den beiden Postkarten hört, die sie so lange im Fieber gesucht hat, fährt wieder ein Erschrecken durch sie. Also hat er sie doch mitgenommen, und sie hatten doch fest ausgemacht, daß sie die Karten morgen oder übermorgen einstecken sollte. Das war nicht recht von Otto.
Irgendwas muß passiert sein mit den Karten, überlegt sie mühsam. Aber gestanden hat Otto nichts, sonst würden sie hier nicht so herumsuchen und mich ausfragen. Sondern sie würden …
Und laut fragt sie: »Warum bringen Sie denn den Otto nicht her? Ich weiß nicht, was das sein soll mit Postkarten. Warum soll er denn Postkarten schreiben?«
Weit legt sie sich wieder zurück, den Mund und die Augen geschlossen, fest entschlossen, kein Wort mehr zu sagen.
Kommissar Escherich sieht einen Augenblick nachdenklich auf die Frau hinunter. Sie ist sehr erschöpft, das sieht er. Im Augenblick ist nichts mit ihr anzufangen. Er wendet sich kurz um, ruft zwei seiner Leute und befiehlt: »Legen Sie die Frau in das andere Bett da rüber, und dann durchsuchen Sie dieses Bett genau! Bitte, Herr Obergruppenführer!«
Er will seinen Vorgesetzten aus dem Zimmer haben, er will nicht noch eine Prallsche Vernehmung. Es ist sehr möglich, daß er diese Frau in den nächsten Tagen notwendig braucht, dann muß sie ein bißchen bei Kräften und bei klarem Verstand sein. Außerdem scheint sie zu den nicht gerade häufigen Menschen zu gehören, die körperliche Bedrohung nur noch bockbeiniger macht. Mit Schlägen ist aus der bestimmt nichts rauszukriegen.
Der Obergruppenführer geht nicht gerne von diesem Weib fort. Er hätte es der ollen Nutte doch gar zu gerne gezeigt, was er von ihr hielt. Er hätte seinen Zorn über diese ganze verfahrene Klabautermanngeschichte am liebsten bei ihr ausgelassen. Aber wenn schon diese beiden Schnüffler im Zimmer waren – und außerdem: heute abend steckte das alte Biest doch im Bunker in der Prinz-Albrecht-Straße, dann konnte er mit ihr machen, was er wollte.
»Sie werden die Olle doch festnehmen, Escherich?« fragte er in der Wohnstube.
»Gewiß werde ich das«, antwortete der Kommissar und sah gedankenlos seinen Leuten zu, die mit pedantischer Gründlichkeit jedes Wäschestück auseinanderfalteten und wieder zusammenlegten, mit langen Nadeln die Sofapolster durchstachen und die Wände abklopften. Er setzte hinzu: »Aber ich muß sehen, daß ich sie erst in einen vernehmungsfähigen Zustand kriege. In diesem Fieber begreift sie alles nur halb. Sie muß erst verstehen, daß sie in Lebensgefahr ist. Dann kriegt sie Angst …«
»Ich werde ihr schon Angst beibringen!« knurrte der Obergruppenführer.
»Nicht auf diese Art – jedenfalls muß sie dafür erst fieberfrei sein«, bat Escherich und unterbrach sich: »Was haben wir denn da?«
Einer seiner Leute hatte sich mit den wenigen Büchern beschäftigt, die auf einem kleinen Regal aufgereiht waren. Er hatte ein Buch geschüttelt, und etwas Weißes war auf die Erde geflattert.
Der Kommissar war der Schnellste. Er hob das Stück Papier auf.
»Eine Karte!« rief er. »Eine angefangene und noch nicht zu Ende geschriebene Karte!«
Und er las vor: »Führer befiehl, wir folgen! Jawohl, wir folgen, wir sind eine Herde Schafe geworden, die unser Führer auf jede Schlachtbank treiben darf! Wir haben das Denken aufgegeben …«
Er ließ die Karte sinken, er sah sich um.
Alle blickten auf ihn.
»Wir haben den Beweis!« sagte Kommissar Escherich fast stolz. »Wir haben den Täter. Er ist einwandfrei überführt, kein abgepreßtes Geständnis, nein, ein klarer kriminalistischer Beweis. Es hat sich gelohnt, so lange zu warten!«
Er sah sich um. Seine blassen Augen glänzten jetzt. Dies war seine Stunde, die Stunde, auf die er so lange gewartet hatte. Einen Augenblick dachte er an den langen, langen Weg zurück, den er bis hierher gegangen war. Von der ersten Karte an, die er noch mit lächelnder Gleichgültigkeit aufgenommen hatte, bis zu dieser, die nun in seiner Hand war. Er dachte an die anschwellende Flut der Karten, die sich ständig vermehrenden roten Fähnchen, er dachte auch an den kleinen Enno Kluge.
Wieder stand er in der Zelle des Reviers bei ihm, wieder saß er mit ihm über dem dunklen Wasser des Schlachtensees. Dann fiel ein Schuß, und er glaubte sich für sein Leben blind. Er sah sich selbst, zwei SS-Männer warfen ihn die Treppe hinunter, blutend, vernichtet, während ein kleiner Taschendieb auf den Knien herumrutschte, seine heilige Jungfrau Maria anrufend. Ganz flüchtig dachte er auch an den Kriminalrat Zott – der Arme, auch seine Theorie mit den Straßenbahnhöfen hatte sich als falsch erwiesen.
Dies war die stolze Stunde des Kommissars Escherich. Er fand, es hatte sich gelohnt, geduldig zu sein und vieles zu ertragen. Er hatte ihn, seinen Klabautermann, wie er ihn zuerst im Scherz genannt hatte, aber er war ein richtiger Klabautermann geworden: er hatte Escherichs Lebensschiff fast zum Scheitern gebracht. Aber nun war er gefaßt, die Jagd war zu Ende, das Spiel ausgespielt.
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