„Der wievielte Anlauf war das“ fragte Haberkorn Rau leise.
„Der siebente“ flüsterte der zurück „ich habe ungefähr 40 Bomben gezählt. Ich wette mit dir, dass der jetzt aufgeben wird, er muss zurück zum Konvoi.“
Nach einer Weile dröhnten nur noch schwache Explosionen durch das Meer.
Rau grinste.
„Der hat uns verloren. Aber ich vermute, dass der Alte auf Nummer Sicher gehen und erst mal unten bleiben wird und den Kurs durchsteuern lässt.“
Haberkorns Nervenflattern ließ nach.
„Wir horchen jetzt erst einmal“ kam es aus dem Lautsprecher „dann setzen wir uns noch ein Stück ab. An die Herren im Bugraum. Sobald die Lage klar ist und keine Gefahr mehr besteht werden die Torpedos nachgeladen. Ich erwarte, dass das schnell geht. Ende.“
„Na bitte“ meinte Rau „wie ich es gesagt habe. Mich wundert allerdings, dass ich keine Detonationen auf den Dampfern gehört habe. Auf diese Entfernung kann man doch einfach gar nicht vorbeischießen. Seltsam.“
Auch Haberkorn war erstaunt. In den vorherigen Reisen hatten sie aus weitaus größerer Entfernung getroffen und der Alte besaß genug Erfahrung, um die Gegnerparameter richtig schätzen zu können. Keiner an Bord konnte wissen, dass sie Torpedos übernommen hatten, die zu tief steuerten und deswegen unter den Schiffen durchliefen. Nach einer ganzen Weile, in der das Boot mit kleiner E-Maschinenkraft lief, neigte sich der Boden unter Haberkorn aufwärts und das Boot stieg schnell. Rau nickte ihm zu, bald würden die Diesel angefordert werden. Als sich das Boot auf ebenem Kiel einpendelte war klar, dass der Kaleun in Sehrohrtiefe einen Rundblick nehmen würde. Nach einer recht langen Zeit tauchte das Boot auf und die Diesel sprangen fauchend an. Der Kurs wurde gewechselt und dann kackte es in den Lautsprechern.
„Mal herhörn. Wir haben leider Pech gehabt. Die Torpedos sind zu tief eingeregelt gewesen. Das liegt aber wahrscheinlich aber nicht an uns sondern an den Magnetpistolen. Scheissdinger. Wir hängen uns jetzt wieder an den Konvoi dran, bei Einbruch der Dämmerung könnten wir ihn erreichen. Wir werden uns vorsetzen und dann sehen ob das diesmal klappt. Ende.“
Martin Haberkorn wusste, dass jetzt schon die Brückenwache auf dem Turm aufgezogen war. Die Männer würden jeder mit ihren starken Ferngläsern einen 90 Grad Winkel beobachten und nach Schiffen oder Flugzeugen absuchen, ein Seeoffizier wäre mit auf dem Turm. Wiederum dachte er über die technischen Unzulänglichkeiten des Bootes nach. Alle im Inneren der Stahlröhre waren jetzt der Aufmerksamkeit der Ausgucks ausgeliefert. Wenn einer unaufmerksam war und eine anfliegende Maschine übersah konnte es passieren, dass der Gegner das Boot bombte. Außerdem ragte der auf dem Rumpf des Bootes aufgesetzte Turm nicht sonderlich weit nach oben, so dass die Leute auf den Kriegsschiffen sie eher erkennen konnten, da sich die Brücken höher über dem Meeresspiegel befanden. Das bedeutete, dass der Gegner sie früher sah, für sie selbst war er noch hinter der Kimm verborgen. Haberkorn stellte sich vor, dass es ein technisches Gerät geben müsste, mit dem man Schiffe früher orten konnte. Was er nicht wusste war, dass der Gegner bereits intensiv daran arbeitete und das Überleben der U-Boote schon in kurzer Zeit zu einem Glücksspiel werden würde.
Er und Rau wurden abgelöst und legten sich auf ihren Kojen. Wie üblich war dort Trubel im Mannschaftsraum.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Alte vorbeigegurkt hat“ sagte einer von den Seeleuten „diese Scheißbiester von Torpedos funktionieren wohl nicht.“
„Du kennst ihn doch“ erwiderte ein anderer Matrose „der wird jetzt vor Wut kochen. Und verlass dich drauf, der geht heute Abend noch mal ran, koste es was es wolle.“
„Und wenn es uns kostet“ knurrte ein Seemann „glaubt ihr etwa, die Tommys wissen nicht, dass wir es nochmal versuchen werden? Die werden jetzt die Leute mit den besten Augen im Ausguck und auf der Brücke haben. Auch auf den Frachtern werden die verstärkt Wache gehen. Das wird eine ganz brenzlige Sache für uns werden.“
Martin Haberkorn hatte auf ihren vorherigen Fahrten den Eindruck gewonnen, dass der Kommandant fast um jeden Preis erfolgreich sein wollte und vom Ehrgeiz angetrieben wurde. Das Ritterkreuz war ihm schon verliehen worden, aber diese Auszeichnung konnte noch gesteigert werden. Wenn er das Eichenlaub zum Ritterkreuz erringen würde wäre er endgültig in die kleine Riege der Asse aufgestiegen. Haberkorn fragte sich, ob die Jagd nach Versenkungen davon dominiert wurde, dass die Kommandanten in erster Linie ihre Karriere fördern und eine ordentliche Stelle in der Rangliste der versenkten Tonnage erreichen wollten, oder ob sie tatsächlich ihren Kampf als Dienst am Volk ansahen.
Gegen 19 ließ der Kommandant rundhorchen. Sie standen noch weit hinter dem Geleit und aufgetaucht staffelte sich das Boot näher heran. Querab und in einer Entfernung von 7.000 Metern sahen die Ausgucks dann die erste Silhouetten des Konvois. Die Dämmerung brach an.
„Wir setzen uns jetzt noch weiter vor und legen uns dann unter Wasser hin“ informierte der Kommandant.
Die Diesel hämmerten und Haberkorn würde zu gern wissen wie die Lage war. Ob man ihr Boot aus dieser großen Entfernung entdecken könnte wusste er nicht, er hoffte es nicht. Auf der anderen Seite hatten ihre Ausgucks aber den Konvoi gesichtet. Er redete sich ein, dass das nur wenig aus dem Wasser ragende Boot schlecht zu erkennen war.
„Stehen jetzt zirka 5 Meilen vor dem Geleit und tauchen, dann gehen wir in Sehrohrtiefe ran“ meldete der Kommandant dann später.
Haberkorn hoffte, dass der Kommandant wusste, was er tat.
Fred Beyer, Marsch zur Maas, 14. Mai 1940
Als die Panzer die Wälder verließen lag ein Gelände hinter ihnen, dass nach der Meinung des französischen Generalstabs für diese unpassierbar war. Beyer war müde aber gespannt, wie sich der weitere Vormarsch entwickeln würde. Die Fahrzeuge entfalteten sich im offenen Gelände und gewannen rasch an Raum. Vor ihnen ertönte Gefechtslärm, Ju 88 und Stuka flogen Angriffe und als die Stellungen der Franzosen weitestgehend zerstört waren rückten Infanterie und Sturmpioniere der 1. Panzerdivision nach. Es gelang ihnen schnell Brückenköpfe zu errichten, und bis zum späten Nachmittag hatten die Deutschen die beherrschenden Höhen von Marfee besetzt, sie standen jetzt schon zwei Kilometer hinter der Maas. Kritischer war die Lage bei der 2. und 10. Panzerdivision, sie konnten am Südufer erst nach mehreren Ansätzen Fuß fassen, der 2. Panzerdivision gelang dies erst im Verlauf der Nacht. Die Luftwaffe hatte ihre Einsätze in die Tiefe verlagert und so konnten die ersten Panzer in den Morgenstunden des 14. Mai die Pontonbrücke überqueren.
Fred Beyer war unbehaglich als er den Panzer auf die Brücke zusteuerte. Er allein saß in dem Stahlgehäuse, die anderen ragten aus den Luken oder hatten sich Platz auf der Wanne gesucht. Vorsichtig mit den Lenkhebeln hantierend gab sich Beyer Mühe das Fahrzeug in der Mitte der Brücke zu halten, wenn er einen Ponton verließ und auf den nächsten auffuhr nickte der Panzer in den Federn. Unerwartet schnell hatte er die Brücke passiert und am Ufer angekommen stieß er erleichtert die Luft aus. Die Reihe der Panzer überquerte die Brücke ohne Zwischenfälle und die Fahrzeuge rollten sofort weiter nach vorn, um der feindlichen Luftwaffe kein Ziel zu bieten. Die Inaktivität der französischen Flieger verwunderte ihn, aber die Franzosen hatten sich bei ihren Planungen auf einen langwierigen Krieg vorbereitet und ein Großteil der Maschinen stand nicht einsatzbereit im Hinterland, eine größere Anzahl zudem noch in Nordafrika.
Auch hatten die Franzosen damit gerechnet, dass die Deutschen sich durch Belgien kämpfen und frühestens drei Wochen nach Angriffsbeginn an der Maas stehen würden. Lediglich eine Infanteriedivision mit Reservisten schützte das Territorium und die Truppen waren durch die deutschen Luftangriffe bereits angeschlagen. Das hatte vor allem die ungeschützte Feldartillerie getroffen, die Einheiten in den Befestigungsanlagen blieben weiter kampfbereit. Ob diese Anlagen wieder wie im ersten Krieg einen fast unüberwindlichen Riegel bilden würden war fraglich, denn die Deutschen hatten diesmal andere Pläne, wie sie vorrücken würden.
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