1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Schweigend fuhren sie weiter.
Lokman fühlte sich elend. Er hatte nie gewusst, was seine Auftraggeber wirklich machten. Er wurde dafür bezahlt, die Augen zu schließen und zu tun, was man ihm sagte. Jeder schlug seinen Vorteil aus gewissen Dingen, musste irgendwie zurecht kommen. Das taten doch alle! Und was im einen Land bestraft wurde, war im anderen kein Problem. Alles eine Frage der Perspektive.
Aber Frauenhandel, das war keine Kleinigkeit.
Er ahnte, dass jetzt alles anders werden würde. Und diese Ahnung würde ihm den Schlaf rauben.
Als ich noch in Köln war, hatten wir einen Seelsorger, ein guter Mann. Er half uns, den Druck abzulassen, wenn wir nicht mehr konnten. In unserem Job kommt jeder an diesen Punkt, irgendwann. Dann brauchst du einen, der dir hilft, einen Sinn in der Scheiße zu finden, die jeden Tag passiert.
Unser Job ist es, im Dreck der Gesellschaft zu wühlen, um die Ratten aufzustöbern, die sich darin einnisten. Und wenn du keinen Sinn mehr in deinem Job siehst, dann haben sie gewonnen. Weil du dann keine Gefahr mehr darstellst für sie. Weil du fertig bist mit deinem Job, fertig mit der Welt und mit dir selbst.
Es wird immer Verbrechen geben, und immer mehr, als wir aufklären können. Und es wird immer einen Dreckskerl geben, der dich am Ende auslacht, weil er mit seiner Schweinerei davongekommen ist.
Ist das ein Grund, das Handtuch zu werfen? Ich finde, es ist ein Grund weiterzumachen.
Der Mann im Treppenhaus der alten Villa ließ sein Handy in die Tasche des Jacketts gleiten. Er tippte mit dem Zeigefinger der rechten Hand nachdenklich an seine Unterlippe, bevor er eine getäfelte Tür öffnete und das dahinter liegende Büro betrat.
Ein groß gewachsener Mann Ende fünfzig in maßgeschneidertem Anzug blickte von seinem Mahagonischreibtisch auf. Geschmeidig erhob er sich und kam seinem Besucher entgegen. Zwei Leoparden, die sich in der Steppe begegneten.
Mit einem Lächeln bat der Ältere seinen Gast, in einem der Ledersessel Platz zu nehmen, die um einen Glastisch standen.
„Was gibt es Neues, Sergeij?“ fragte er. „Aber entschuldige, zuerst sollte ich fragen, ob du etwas trinken möchtest.“
„Danke, Wladimir, jetzt nicht.“
Sergeij Abramow betrachtete sein Gegenüber. Wladimir Strashin war sein Chef, dem er seit drei Jahren zuarbeitete. Er behandelte Sergeij wie seinen eigenen Sohn. Diese Ehre war noch niemandem in der Firma zuteil geworden. Sergeij Abramow wusste um die Verantwortung, die damit einher ging. Sie bedeutete auch, dass er nicht versagen durfte.
„Wladimir, es gibt eine Störung.“
Strashin nahm die Meldung scheinbar entspannt auf. Dennoch wäre einem aufmerksamen Beobachter nicht entgangen, dass Sergeij seine ungeteilte Konzentration hatte.
„Was ist es?“
„Ich habe gestern einen Anruf aus Odessa erhalten. Eines der Mädchen aus dem Lager im Gimaj-Gebiet hat eine Freundin angerufen. Die Wachen haben sie telefonieren lassen, weil sie sagte, sie hätte versprochen, sich zu melden, und man würde zur Polizei gehen, wenn man nichts von ihr hörte.“
„Und das Problem?“
„Sie muss einen Code vereinbart haben, mit dem sie signalisieren konnte, dass sie Probleme hat. Ihre Freundin ist gleich am nächsten Tag zur Polizei gegangen. Glücklicherweise hatte einer unserer Leute Dienst und konnte die Sache melden.“
Strashin blickte ihn an, ohne eine Frage zu stellen.
„Noch hat die Polizei nichts unternommen, aber unser Kontaktmann sagt, sein Kollege hat die Daten ebenfalls notiert. Es könnte sein, dass er eine Meldung an Interpol rausgibt.“
Strashin nickte. Der kurze Anruf stellte ein Risiko dar, wenn auch ein unbedeutendes. Viel entscheidender war, dass das Beispiel mit dem Code sich herumsprechen konnte. Man musste ein Exempel statuieren, um weitere Aktionen dieser Art zu unterbinden. Ein Exempel mit entsprechender Wirkung.
„Es gibt nur eine Lösung“, sagte er ruhig. „Die anderen sollen dabei zusehen, das wird sie abschrecken. Und keine Anrufe mehr.“
Sergeij nickte.
„So gut wie erledigt, Wladimir. Soll ich es selbst übernehmen?“
„Nicht nötig“, sagte Strashin, „die Männer vor Ort können das regeln. Wenn nicht, werden wir sie austauschen müssen. Gegen qualifiziertere.“
Strashin hob die Hände vor den Mund und legte die Fingerspitzen seiner gepflegten Hände aneinander.
„Ich habe den Eindruck, dass sie etwas nachlässig geworden sind. Sag ihnen das.“
Sergeij lächelte dünn.
„Das war’s. Gib mir Bescheid, wenn es erledigt ist.“
Sergeij nickte, stand auf und ging zum Ausgang. Er hielt an und wandte sich um.
„Noch etwas“, sagte er und legte wieder seinen Zeigefinger an die Unterlippe.
Es schien eine für ihn typische Geste zu sein.
„Was ist mit dieser Freundin in Odessa? Sollen wir uns um die auch … kümmern?”
Strashin überlegte nur kurz, dann schüttelte er den Kopf.
„Mach ihr klar, dass sie für ihre Freundin nichts mehr tun kann.“
Sergeij nickte und ging hinaus.
Ein Lächeln spielte um Strashins Mundwinkel. Es war gut zu wissen, dass das Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit in den Händen guter Leute lag. Und Sergeij war der zuverlässigste von allen.
Er stand auf und ging zurück an den Schreibtisch. Sie waren auf einem guten Weg. Und es gab so viel zu tun.
„Blues a healer“ sang Johnny Lee Hooker, und Santanas Gitarrenläufe krachten aus den Lautsprechern. Eine Flasche Kentucky Straight stand auf dem Wohnzimmertisch, das Handy lag in einer Whiskeypfütze. Koller tanzte quer durch den Raum, eine qualmende Cruzero im Mund, in der Hand ein Glas mit der blassgoldenen Flüssigkeit.
„Blues a healer“, röhrte Hooker. „It healed me, it heals you.“
Den Inhalt ihres Kleiderschranks hatte er nach dem dritten Whiskey in einen Koffer gepackt, das würde weitere Entscheidungen deutlich beschleunigen. Sollte sie doch gehen, wenn sie unbedingt wollte.
Sorry, dass die Bügelfalten gelitten haben, Schatz, du weißt ja, wie ungeschickt ich bin. Nein, ich bin nicht sauer. Ich bin besoffen. Was denn? Ja, ich bin sauer. Ach, wie mies von mir. So ein blöder Bulle ohne Manieren, du hast wirklich was Besseres verdient. Schön, dass du jetzt glücklich bist. Was das jetzt soll? Gar nichts! Doch, das ist nötig, absolut nötig. Lass mich, ich will nur ein bisschen tanzen. Ja, du auch. Tschau. Und lass den Schlüssel hier.
Die Vorstellung, wie sie reagieren würde, wenn sie jetzt zur Tür hereinkäme und den Koffer sähe, brachte ihn zum Lachen. Es klang nicht allzu fröhlich.
My woman left me. Ihm wurde schwindlig. Left me one morning. The Blues healed me. Er sank auf das Sofa. I was down, I was down. Er schüttelte den Kopf. It healed me.
Schön für dich.
Der schwere Rauch konnte die Leere in Kollers Brust nicht füllen. Und diese Leere breitete sich aus, brannte sich ihren Weg durch seine Eingeweide. Es fühlte sich an, als würden sie von Säure zerfressen.
Blues is a healer. It can heal you.
Er würde noch einigen Blues brauchen, bevor der helfen würde. All over the world. Er ließ sich zur Seite sinken und schloss die Augen.
Fuck you.
Er wusste nicht, ob er Jenna meinte oder sich selbst oder John Lee Hooker. Dann versank er in der Schwärze der Polster.
Der Anruf kam kurz nach halb neun. Koller wunderte sich, wie schnell er das Telefon in seiner Hand hielt.
„Es ist Ihr Vater. Er hatte einen Schlaganfall, aber es geht ihm relativ gut. Wir konnten das Schlimmste verhindern.“
Koller setzte sich auf, schüttelte vorsichtig den Kopf und erhob sich langsam vom Sofa. Der Schreck, den die Nachricht ausgelöst hatte, verringerte schlagartig seinen Kater. Aber ein Puma statt eines Tigers war immer noch genug, um die Welt durch einen dichten Vorhang aus Watte wahrzunehmen.
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