Sieht man von den Störaktionen gegen die Nachbarschaft einmal ab, so war das Tier überhaupt nur einmal in Erscheinung getreten: Es war auf einer Fete vor ein paar Wochen, Mitte April, gewesen; das für den ansonsten katastrophalen April unglaublich schöne Wetter jenes Samstagabends hatte die ganze Gesellschaft - in der Hauptsache Kollegen des Mannes - in den Garten gehen lassen. Ein Cousin der jungen Frau war es gewesen, der den schon leicht angeheiterten Hauptwachtmeister Geilenberg provoziert hatte, er wage nicht, auf den Esel zu steigen. Dieser hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als dem Cousin das Gegenteil zu beweisen. Die junge Frau hatte es abgestoßen, wie der baumlange Kerl das kleine Tier gepiesackt hatte, bis es ihn am ganzen Körper zitternd zur Gaudi der Gäste durch den Garten getragen hatte. Und da hatte sie vor allen Gästen einen Ehekrach vom Zaun gebrochen; das war zwar peinlich, aber auch schon lange überfällig gewesen.
Stefan Geilenberg war ein Macho und Pascha: Die junge Frau hatte in den zwei Ehejahren hinreichend Gelegenheit gehabt, das zu erkennen. Geheiratet hatte sie ihn, weil er blendend aussah und ihr völlig den Kopf verdreht hatte.
Sie hatte es längst aufgegeben, ihrem Mann zu misstrauen, wenn er beispielsweise unerwartet Nachtdienst hatte: Sie brauchte ihm auch gar nicht zu misstrauen, sie konnte sicher sein, dass er auch mit anderen Frauen ins Bett ging. Ihre einzige Aufgabe sah die junge Frau seit einiger Zeit darin, sich einzureden, dass ihr das egal sei. Es war ihr aber nicht egal.
Sogar der Cousin hatte es auf der Fete, wenn auch indirekt, gesagt: Stefan hätte sich nur falsch herum auf den Esel setzen sollen; so hätte man im Mittelalter untreue Ehemänner zum Spott der Menge durch die Stadt getrieben.
Die junge Frau mochte diesen Cousin. Sie hatten sich natürlich schon seit Jahren gekannt, aber eigentlich erst vor einem knappen Jahr näher kennengelernt. Er hatte zu der Zeit ziemliche Probleme mit seiner Partnerschaft gehabt und mit ihr darüber gesprochen. Sie hatte ihn dann auch zu der Fete eingeladen. Auch aus Trotz, denn sie wollte nicht, dass immer nur Bekannte ihres Mannes kamen.
Sie fand es bezeichnend, dass ihr Mann diesen Cousin nicht ausstehen konnte: Ihn störte dessen zurückhaltende und stille Art; außerdem sei der doch mit Sicherheit schwul.
Die Frau hatte ihrem Mann widersprochen und sich hinterher darüber geärgert. Dass er schwul sei, hatte der Cousin ihr doch erzählt. Sie war darüber erstaunt gewesen; so etwas hatte ihr noch niemand einfach so gesagt. Aber gestört hatte es sie nicht. Ganz im Gegenteil. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten, er konnte wenigstens zuhören, und man fühlte sich ernstgenommen. Vor allem hatte man als Frau nicht immer das Gefühl, für einen jungen Mann nur unter einem einzigen Aspekt interessant zu sein.
In den letzten Wochen gab es für die Familie Geilenberg allerdings Probleme, die sich durch einen inszenierten Ehekrach nicht so einfach aus dem Weg räumen ließen; Probleme, die die junge Frau manchmal wieder spüren ließen, weshalb sie ihren Mann auch liebte: Er konnte unbeholfen und hilflos sein wie ein kleines Kind, das sich über die Tragweite dessen, was es tat, keine Gedanken machte. Dachte sie dann wieder daran, dass die Probleme letztlich doch wieder begründet lagen in den verrückten Machovorstellungen ihres Mannes, wurde sie wütend: Anders, als es die Mehrheit seiner Kollegen machte, die ihre Dienstpistolen nach Dienstschluss auf der Wache ließen, hatte Stefan Geilenberg seine Waffe, die bei der Polizei übliche Sig-Sauer 9mm, jeden Tag mit nach Hause genommen. Sie hatte ihn oft damit aufgezogen: Ob er eigentlich glaubte, im Wilden Westen zu leben, ob er das brauchte, um seine Männlichkeit zu beweisen. Und sie hatte ihm auch ganz einfach gesagt, dass sie ein solches Ding nicht im Haus haben wollte. Genutzt hatte alles nichts. Jeden Abend hatte Stefan die Waffe in seine Nachtkonsole gelegt und manchmal von der abgelegenen Lage des Hauses und ähnlichem gesprochen.
Und eines Morgens war die Waffe nicht mehr da gewesen. Und darüber war auch die junge Frau nicht glücklich. Sie hatten das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber die Waffe war weg.
Und Stefan war unglücklich; denn es würde erheblichen Ärger geben, wenn sie nicht bald wieder auftauchte. Jeden Tag sagte sie ihm, er müsse den Verlust melden, aber er tat es nicht und suchte weiter. Spätestens bei den obligatorischen Schießübungen oder irgendeinem Waffenappell musste Stefan auffallen. Er sollte den Verlust doch melden. Er machte alles immer noch schlimmer.
Mittlerweile konnte die junge Frau aber über die ganze Sache auch schon mal lächeln. Es hatte etwas Ulkiges, sich vorzustellen, wie ihr Mann mit leerem Halfter als Sheriff von Oberhausen durch die Gegend lief.
Aber auf Dauer war es natürlich nicht zum Lachen.
Für Börner schien die Welt nur noch aus Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Automobilen zu bestehen.
Von den Wochentagen wünschte er nur, sie sollten so schnell wie möglich vergehen, das Wochenende war das einzige Ziel, auf das er hinarbeitete, das die ganze Woche retten musste. Er nahm sich viel vor für das Wochenende und tat dann fast gar nichts. Ging das eigentlich vielen Leuten so? Aber was sollte die Frage: Wenn es so war, konnte es einen bestimmt nicht trösten.
Wenn er sich unter den Angestellten im Büro umsah, konnte er nicht davon ausgehen, dass die anderen seine Probleme verstanden: Die Kluft zwischen ihm und den anderen Mitarbeitern im Büro schien Börner in der vergangenen Woche noch größer geworden zu sein. Er meinte, das dumme und zynische Gerede, mit dem die anderen ihre Zeit totschlugen, nicht mehr ertragen zu können.
Vor ein paar Tagen hatten sie ihm erzählt, dass der Rechtsanwalt in Essen noch eine Wohnung gemietet hätte, um sich da mit irgendwelchen Damen zu vergnügen. Sie hatten wirklich Damen gesagt und ihn dabei erwartungsvoll angesehen. Ihm war fast schlecht geworden. Auf dem Schreibtisch des Rechtsanwalts stand ein großes Foto von seiner Frau und den drei Kindern.
Dann wiederum hielt er sich selber für einen unverbesserlichen Quertreiber: Die anderen kamen schließlich alle gut miteinander aus; er selber stand doch wie immer außerhalb. Und natürlich konnten auch solche Selbstvorwürfe seine Stimmung nicht gerade verbessern.
Die anderen im Büro mussten ihn mittlerweile für einen ziemlich komischen Kauz halten; auch das Verhalten des Chefs ihm gegenüber war inzwischen - wie Börner glaubte - merklich kühler geworden.
An einem Montagmorgen wie diesem war Börners Stimmung natürlich besonders schlecht: Er dachte an die fünf vor ihm liegenden Arbeitstage in einem Beruf, den er ja noch zu erlernen hatte, der ihn aber schon jetzt nicht im geringsten interessierte. Außerdem wurde von ihm ja auch immer noch erwartet, glücklich und dankbar zu sein dafür, dass er überhaupt noch einmal die Chance bekommen hatte, einen Beruf zu erlernen und zu arbeiten. In den letzten Tagen waren ihm zum ersten Mal Ideen gekommen, die er im Polizeidienst nie gehabt hatte: Ein Krankenschein für ein paar Tage wäre nicht das Schlechteste. Aber er würde das ohnehin nicht wagen; er wusste auch gar nicht, wie er es anstellen sollte, um an einen Krankenschein zu kommen. Er war doch gar nicht krank.
Schlapp fühlte er ich allerdings. Das war überhaupt das Verblüffendste: Jeden Tag war er restlos schlapp, wenn er aus dem Büro nach Hause kam, obschon er doch - wie er meinte - gar nichts getan hatte. Jedenfalls nichts Sinnvolles. Das hatte er schon so oft gedacht: Es steckte so viel Energie in ihm, die er endlich für sinnvolle Dinge einsetzen wollte.
Missmutig wühlte er beim Frühstück in den Zeitungen der vergangenen Woche. Die heutige Zeitung musste im Hausflur liegen, aber Börner hatte jetzt keine Lust, sie zu holen. Auch die Berichte über die Fußballbundesliga konnten ihn heute ohnehin nur ärgern. Wenn Schalke nicht bald besser würde, hatten sie die besten Chancen, im nächsten Jahr schon wieder einmal die 2.Liga zu bereichern.
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