„John, ich möchte Euch nicht mit meinen Sorgen belangen“, wehrte Apolonia seine Aufforderung erneut ab.
Ihre Zurückhaltung begann ihn zu reizen. „Ich bat Euch, offen zu sprechen“, forderte er sie ein letztes Mal auf.
Noch einmal nahm sie ihr Weinglas zur Hand. Ohne daraus zu trinken stellte sie es nach einer Weile wieder ab. „Jonathan, möchtest du nicht mit Josephine draußen spielen gehen?“, fragte sie ihren Sohn, als sie offensichtlich zu dem Schluss kam, dass sie John nicht länger auf eine Antwort warten lassen sollte.
Sofort trat die üppige, brünette junge Frau, die sich zuvor im Hintergrund gehalten hatte, hinter den Jungen.
„Ich möchte mit John spielen!“, antwortete der Sohn verneinend.
Apolonia ignorierte seinen unzufriedenen Tonfall. „Nicht jetzt“, gab sie unwirsch zurück. „Geh bitte mit Josephine hinaus.“
„Aber…“
„Willst du deiner Mutter widersprechen?“, fragte sie streng.
„Nein, Mutter.“ Jonathan ergab sich in sein Schicksal und ergriff die ausgestreckte Hand der Frau neben ihm. Gemeinsam verließen sie den Saal.
„Nun, bitte“, ergriff John das Wort, sobald sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, „belangt mich mit Euren Sorgen.“ Er versuchte den bitteren Geschmack herunterzuschlucken, der mit den Gedanken an Herrensdorf in ihm aufgekommen war.
Apolonia atmete tief durch. „Jetzt wo Ihr hier seid, sind sie unbegründet.“ Dieses Mal klang sie ehrlich. „Ich hatte nur Angst“, sagte sie, „dass sich das Kriegsgebiet ausbreitet. Wir befinden uns in unmittelbarer Reichweite zu Herrensdorf. Wenn die Gallianen nicht darauf warten, angegriffen zu werden, und von sich aus weiter angreifen, wären wir das nächste sinnvolle Ziel.“
John nickte. Das waren sie unbestritten. „Warum hat Ragnor niemanden zurückgelassen, der im Stande ist, die Burg zu verteidigen?“ Es konnte kaum ein königlicher Befehl gewesen sein, alle kampftauglichen Männer in den Krieg zu führen. Es musste eine freiwillige Entscheidung gewesen sein.
Apolonia bestätigte diesen Gedanken. „Er wollte ein paar Männer hierlassen, doch was würden die uns bei einem richtigen Angriff bringen? Mir war es wohler mit dem Gedanken, dass so viele Männer, wie wir entbehren können, an seiner Seite kämpfen. Und wenn man ehrlich ist, wäre es auch unwahrscheinlich, dass die gallianische Armee unserer Armee auf dem Weg hierher nicht sowieso in die Arme laufen würde. Außerdem können wir die Tore zur Burg verschlossen halten. Zumindest dadurch haben wir etwas Sicherheit.“
„Die Tore zur Burg waren nicht verschlossen, als ich kam.“ Sicher war Aeb zurzeit in keinem Fall.
„Sie waren nicht verschlossen, weil ich befürchte, dass sich die Bewohner des Dorfes vor der Burg dann ausgeliefert fühlen. Ich möchte verhindern, dass sie aufbegehren. Gerade für den Fall, dass wir angegriffen werden, brauchen wir jeden von Ihnen an unserer Seite.“
„Was also wünscht Ihr Euch von mir?“
„John, ich weiß, wie ungern Ihr mit Bitten gelangweilt werdet. Ich möchte gar nicht von Euch verlangen Umstände für mich in Kauf zu nehmen. Doch es wäre einfach schön, Ihr würdet Euren Urlaub hier dieses Mal ein wenig in die Länge ziehen.“
Unter dem Tisch ballte er die Hand zur Faust, als er versuchte, das aufkommende Bild Dianas aus seinem Sinn zu vertreiben.
„Ich mache keinen Urlaub hier“, gab er brüsk zurück.
„Oh, das heißt, Ihr brecht bald wieder auf?“
„Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Ich wollte Euch zu verstehen geben, dass ich nicht nur zum Urlaub machen hier bin. Ich ziehe zurück nach Aeb. Ich bleibe.“
Obwohl sich nichts an ihrer aufrechten Haltung änderte, schien es, als fiele ein Stein von ihrem Herzen. „Oh“, sagte sie lediglich. Sie trank von ihrem Wein. „Dann ist Diana auch hier?“
Dank dieser Frage malte sich das Bild Dianas nur noch schärfer vor seinem inneren Auge ab. Allzu deutlich sah er die Abscheu in ihren Augen, die nicht mehr verschwunden war, seitdem er Daniel getötet hatte. Er hätte sich gewünscht, er hätte die gleiche Abneigung gegen sie empfinden können, doch das vermochte er nicht.
Als Antwort auf Apolonias Frage räusperte er sich lediglich.
Mit geneigtem Kopf sah Apolonia ihn an. Ihre Augen weiteten sich, als sie verstand, was er verschwieg. „Danke, dass Ihr trotzdem gekommen seid, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen.“
John nickte. Nicht nur seine Hand unter dem Tisch war angespannt, sondern jeder Muskel seines Körpers. Es war Zeit, dass er diese Anspannung loswurde. Nichts hätte ihm besser dabei helfen können, als seine Magie einzusetzen. „Apolonia, ich bat Euch offen zu sprechen. Nehmet nur einen Moment an, Eure Bitten würden mich nicht langweilen. Was hättet Ihr noch auf dem Herzen?“
„John, ich habe tausend Sorgen. Die Bauern benötigen fruchtbare Felder und Männer, die sie bestellen. Mein Mann und alle Herren, die mir lieb sind, sind in den Krieg gezogen. Natürlich wünschte ich, jeder von Ihnen würde gesund zurückkehren. Gesund und siegreich, damit unser König zufriedengestellt ist.“
„Wie viele tragende Felder würden Euch genügen, um die nächste Zeit ausgesorgt zu haben?“
„John, Ihr wollt doch nicht…“
Mit der geballten Hand schlug er auf den Tisch, sodass die Gläser, die auf diesem standen, gefährlich zu klirren begannen. „Apolonia, ich dachte Ihr wisset, wie ungern ich mich wiederhole“, fuhr er sie laut an. Ihm war nicht mehr danach, sich zu beherrschen.
Erschrocken über seine harsche Reaktion zuckte Apolonia an ihrem Platz zusammen. Ihr gegenüber hatte er lange nicht einen derartigen Ton angeschlagen.
„Der Weizen-Tom verfügt mit seiner Familie über die größten Weizenfelder hier in der Umgebung“, beeilte sie sich, zu antworten. Ihre Stimme überschlug sich leicht. „Wenn seine Ernte dieses Jahr nicht ausgeblieben wäre, hätten wir deutlich weniger Sorgen.“
„Ich kenne seine Felder“, erwiderte John ruhiger. „Es würde mich kaum Zeit kosten, den Weizen dort zum Sprießen zu bringen. Doch der Weizen müsste geerntet werden. Ich denke, es würde schnell gehen, Euch das Mehl direkt zu schenken. Ich werde Weizen-Tom fragen, wie viel Platz er in seinem Speicher hat und ihn füllen. Er wird eine Bezahlung für den Platz bekommen, doch das Mehl gehört Euch und steht Euch zur freien Verfügung.“ Er erhob sich. „Sobald ich dies geregelt habe, werde ich nach Herrensdorf reiten.“
Er wusste, die kleinen Zauber, die in Aeb benötigt wurden, würden ihm nicht dabei helfen, Diana zu vergessen. Sie und ihre naive Weltanschauung. Ihre bedingungslose Hilfsbereitschaft. Auch Abstand von Aeb und dem Zeittor würde ihm sicher guttun.
„Ragnor und seine Männer sind nicht in Herrensdorf“, riss Apolonia ihn aus seinen Gedanken.
„Ich werde Ragnor im Anschluss aufsuchen“, erklärte er knapp. „Doch zunächst möchte ich mir selbst ein Bild der Lage dort machen. Ich möchte wissen, was aus der Klostergemeinde geworden ist.“
„Kanntet Ihr jemanden dort?“
„Niemanden von Bedeutung für mich.“
Apolonia erhob sich ebenfalls und verließ zusammen mit John den Saal. Im Burghof reichte sie ihm ihre Hand und empfing dieses Mal zum Abschied seinen Handkuss. „Ihr wisst nicht, welch großen Gefallen Ihr mir tut“, bedankte sie sich bei ihm.
John sah von seinem Handkuss zu ihr auf. „Doch, das ist mir sehr wohl bewusst.“
Drei Wochen später saß Diana auf der weißen Couch in ihrem Wohnzimmer und kaute unzufrieden auf der Paprika, die sie sich zurechtgeschnitten hatte. Im Fernseher lief eine Talkshow mit John als Thema. Natürlich war Paul zu Gast in der Show.
„Sie haben also gedacht, die Pistole, mit der Sie auf John Gold geschossen haben, wäre lediglich eine Attrappe gewesen?“, fragte Peter Herlig, der Gastgeber der Show. Aufmerksam blickte er durch die großen Gläser seiner Hornbrille.
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