„...irgendjemanden merken zu lassen, dass ich deine Erlaubnis habe“, beendete sie seinen Satz. Auch in diesem Fall kannte sie seine Einstellung. „Natürlich werde ich das nicht. Ich bin nicht dumm. Vielen Dank!“ Mit einem strahlenden Lächeln rannte sie zurück in den Wald hinein. John sah ihr nach. Auch auf seine Lippen schlich sich für Sekunden ein Lächeln ein, bevor es abrupt verschwand, während er ihr noch immer nachsah. Statt zurück zum Turm zu gehen, schlug er den Weg zur Burg ein. Momentan wollte er nicht zurück in den Turm, wo er Matthias und Gesilda begegnen würde. Am liebsten hätte er sie fortgeschickt. Doch er hatte ihnen erst vor wenigen Tagen erlaubt bei ihm zu bleiben. Und so schnell würde er ihnen seinen Meinungswechsel nicht mitteilen. Möglicherweise würden sie ohnehin in den nächsten Tagen fortgehen. Oder er würde gehen. Immerhin gab es zurzeit Orte, an denen er mehr mit seiner Magie anfangen konnte, als in Aeb in seinem Turm.
Die Burg Aebs wirkte verlassen. Die wenigen Frauen, die sich im Burghof befanden, sprachen nicht miteinander, sondern kamen eilends der Tätigkeit nach, die sie dazu veranlasst hatte, aus dem Haus zu gehen. Als John aber die staubigen Wege hinter den Burgmauern entlangging, wichen sie ihm nicht aus. Misstrauische Blicken trafen ihn und doch steckte hinter diesem Misstrauen auch ein Funke Hoffnung. Die Frauen verfolgten ihn und je weiter er ging, desto mehr Menschen sammelten sich hinter ihm. Niemand sprach ihn an und John ging weiter, ohne seinerseits das Wort an sie zu richten. Auch vor den Herrschaftsräumen der Burg standen keine Wachen. Ungehindert schritt John durch die weiten Flure und die Wendeltreppe hinauf zum Empfangssaal, als wäre er Herr über diese Burg. Eine Küchenmagd blieb erstarrt stehen, als sie ihn sah.
„Herr John!“ Sie verneigte sich tief.
John nickte kurz. „Wo ist Apolonia?”
„Die edle Herrin ist ins Dorf geritten. Sie wollte zum Schmied”, antwortete das Mädchen aufgeregt.
„Sie ist zurück”, erklang fast zeitgleich eine helle, strenge Stimme vom anderen Ende des Saales. In einem langen, rotgoldenen Kleid trat Apolonia in den Empfangssaal. Mit einem knappen Winken schickte sie die Dienstmagd fort.
„Apolonia!“, begrüßte John die Burgherrin, indem er leicht den Kopf neigte.
Erleichtert lächelnd kam sie auf ihn zu. Sie hielt ihm eine Hand entgegen und empfing seinen Handkuss. „John!“, erwiderte sie seine Begrüßung. „Euch schickt der Himmel.“
Nach seinem Handkuss richtete John sich wieder zu seiner vollen Größe auf und blickte der Frau vor ihm ernst in die Augen. „Nicht Gott ist es, der mich dazu veranlasste, Euch einen Besuch abzustatten“, stellte er sofort klar. Sie sollte nicht denken, dass er als ihr Retter gekommen war. Nach wie vor hatte er nicht die Absicht, dem heronischen König zu dienen.
Seine Antwort schien die Burgherrin zu irritieren. Das Lächeln verschwand nicht von ihren Lippen, doch wirkte es mit einem Mal unsicher. „Wer dann?“´
„Ich bin hier, um mich nach eurem Befinden zu erkundigen. Nicht, um Euren Mann im Krieg zu unterstützen“, machte er seine Beweggründe deutlicher. Er ließ seinen Blick durch den Empfangssaal schweifen und konzentrierte sich dabei auch auf die umgebenen Räumlichkeiten. Ragnor war augenscheinlich fort. In der gesamten Burg machte er kaum jemanden aus, der der Burgherrin hätte Schutz bieten können.
Apolonia lachte trocken. „Es sind genug Männer in den Krieg gezogen“, stellte auch sie fest. „Wollt Ihr nicht mit uns essen?“, lud sie ihn ein. Sie bemühte sich erfolglos, unbeschwert zu klingen. Es mochte sein, dass sie nicht wünschte, er zöge in den Krieg, doch einfach nur zu speisen war sicherlich ebenso wenig ihre Absicht.
„Das wäre mir eine Freude“, nahm John dennoch das Angebot an. Auch wenn er Ragnors Streitzug nicht unterstützen wollte, schadete es nicht, einige Worte mit seiner Gemahlin zu wechseln.
Apolonia nickte, woraufhin sie gemeinsam auf den Speisesaal zusteuerten. Wandhohe Gemälde zierten nicht nur den Flur, den sie nutzten, sondern auch den Speisesaal selbst. Auch hier hatte sich nicht viel geändert, seitdem John das letzte Mal zu Besuch gewesen war. An der Saaldecke waren mehrere silberne Kerzenleuchter befestigt. Frische Blumen standen auf der langen Tafel, mit Gold verzierte Stühle waren um diese herum aufgestellt.
„Ich hoffe, der Krieg wirkt sich nicht zu sehr auf Euren Haushalt aus?“, fragte John, als er sich auf einen dieser Stühle setzte. Es steckte dabei mehr Ernst hinter dieser Frage, als man hätte vermuten können. Gerade in Zeiten des Krieges boten Reichtümer, wie sie hier zu finden waren, nicht nur für die Kriegsgegner ein attraktives Ziel.
Apolonia tat seine Frage mit einem milden Lächeln ab. „Für ein Mahl, das Eurer würdig ist, wird es noch reichen“, entgegnete sie.
Er war ihr dankbar für die Leichtfertigkeit, um die sie sich bemühte, und erwiderte ihr Lächeln. Für einen Moment sahen sie sich in die Augen, ohne ein Wort zu sagen. Apolonia war hübsch wie immer. Ihre feinen Gesichtszüge hatten die Männer betört, seit John sie kannte. Sie war nur ein wenig älter als John. Seidenes dunkles Haar fiel ihr auf die Schultern. Sie war schlank und hochgewachsen, stark und doch grazil. Das bezaubernde Lächeln, das sie aufgesetzt hatte, stand ihren natürlich roten Lippen gut. Doch der Ansatz von Sorgenfalten auf ihrer Stirn und etwas in ihren Augen zeugten von den Lasten, die sie trug und über die ihr Lächeln mit mäßigem Erfolg hinwegzutäuschen versuchte. Und trotz der Sorgen sah er ihr an, dass ihre Freude ihn zu sehen nicht nur daher rührte, dass sie ihn um einen Gefallen bitten wollte. Sie genoss seine Gesellschaft. Und dies tat auch er. In ihrer Gegenwart konnte er für einen Augenblick vergessen, warum er überhaupt zu ihr gekommen war. Und auch dafür war er ihr dankbar.
Es war Apolonia, die irgendwann den Kopf zu Seite drehte. „Viktoria, sagst du Jonathan Bescheid, dass er sich zu uns gesellen soll? Dann können wir gemeinsam speisen“, sprach sie eine der Küchenmägde an, die in dem Portal zur Küche auf Befehle warteten.
„Natürlich, gnädige Herrin.“ Nach einer tiefen Verbeugung verschwand das angesprochene Mädchen.
John sah ihr kurz nach. „Wie lange ist Ragnor schon fort?“, fragte er dann.
Die Burgherrin stand auf, umrundete den Tisch und steuerte auf eine kleine Kommode zu, die an der Seite des Speisesaals stand. „Er ist vor drei Wochen mit unseren Männern aufgebrochen“, antwortete sie und nahm eine gläserne Karaffe mit Rotwein aus dem kleinen Schränkchen. Ihre Haltung war so aufrecht, wie man es von ihr gewohnt war. Sie war keine Frau, welche ihre Lasten mit der Welt teilte.
„Ihr macht Euch sicher Sorgen um ihn.“
Apolonia drehte sich wieder zu ihm. Eilends kam sie zurück zum Speisetisch und goss ihnen den Wein in die Gläser, die dort bereitstanden. Wieder lächelte sie leicht. „Ragnor ist ein sehr pflichtbewusster, loyaler Mann. Er wird tun, was der König von ihm verlangt, doch er ist auch träge. Er wird nicht den Helden spielen.“
Jetzt begann John zu lachen, was sie wohl mit ihrer Aussage bezweckt hatte. „Da habt Ihr vermutlich Recht“, ließ er sich auf ihren Versuch sich zu beruhigen ein.
„Nun, ich kenne meinen Mann“, sprach sie fast schon mit guter Laune weiter.
„John!“ Der vierjährige Jonathan, deutete mit seinen kleinen Fingern auf John, als er an der Hand einer rundlichen Frau das Speisezimmer betrat.
John nickte dem Jungen gutmütig zu. „Jonathan, es ist mir eine Freude, dich wiederzusehen.“
„Lass mich fliegen!“, bat Jonathan.
„Jonathan!“, wies Apolonia ihren Sohn zurecht. Entschuldigend sah sie zu John. „Verzeiht. Ich bin noch dabei, ihn zu erziehen. Jonathan“, wandte sie sich wieder an den Jungen, „Herr John ist unser Gast. Setzt dich, sodass wir zusammen speisen können.“
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