1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Parker nickt.
„Die ‚Dışilişkiler Dairesi Başkanlığı‘ ist die Polizeibehörde für internationale Zusammenarbeit. Sie sehen, Sie sind in den besten Händen.“
Ungläubig schaut Parker zu Karadeniz, der seinen Cheeseburger förmlich inhaliert hat und jetzt im Raum auf und ab geht, während er einen Anruf entgegennimmt. Parker versteht kein Wort. Aber er glaubt, es geht um ihn. Er meint, das Wort ‚alman‘ herausgehört zu haben, also ‚Deutscher‘. Immer wieder lacht Karadeniz auf, schüttelt kaum merklich seinen Kopf. Als letztes sagt Karadeniz ‚böyle bir aptal‘. Parker weiß nicht, dass es ‚so ein Idiot‘ heißt. Dann legt der Kommissar auf. Vor dem verschlossenen Fenster bleibt Karadeniz stehen, schaut hinaus, atmet tief ein und lange aus, als könnte er durch die Scheibe die Meerbrise inhalieren. „Toller Ausblick“, sagt er dann. „Ich liebe das Meer.“ Dann dreht er sich zu Parker um. „Wissen Sie, wie das Mittelmeer auf Türkisch heißt?“
Parker zuckt mit den Schultern.
„Akdeniz“, klärt der Kommissar ihn auf. „Übersetzt heißt das: das weiße Meer. Schön nicht, obwohl das blaue Meer passender wäre, oder? Und wissen Sie, was Karadeniz heißt?“
Parker schüttelt wieder den Kopf.
„Das Schwarze Meer“, flüstert der Kommissar nun mit düsterer Stimme. „Unberechenbar, kalt und ungestüm.“ Er starrt Parker direkt in die Augen. „Genauso wie ich“, schiebt er nach. Dann lacht Karadeniz auf. „Das war doch nur ein Scherz. Das Schwarze Meer ist wunderschön. Waren Sie mal da?“
Parker schaut den Kommissar verwundert an: „Äh, nein, aber können Sie mir jetzt bitte sagen, weshalb ich…“.
Karadeniz reagiert nicht auf Parker, redet einfach weiter. „Was für ein traumhafter Tag, oder? Wobei Sie ihn mir ein bisschen versaut haben. Ich hasse es, früh aufzustehen. Und heute Abend habe ich Karten für Beşiktaş gegen Kasımpaşa. Letzter Spieltag. Mögen Sie Fußball? Sie sind doch aus Hamburg? Der HSV in der zweiten Liga, wer hätte damit jemals gerechnet? Aber lassen Sie mich raten, Sie sind eher Pauli-Fan. Richtig?“
Der Kommissar schaut Parker erwartungsvoll an. Aber der zuckt nur mit den Schultern. „Eigentlich interessiere ich mich nicht sonderlich für Fußball.“
Karadeniz reißt die Augen weit auf. „Was? Ein Deutscher, der sich nicht für Fußball interessiert, ich kann es nicht fassen. Wissen Sie wenigstens, warum das Spiel heute Abend in Istanbul so bedeutend ist?“
Parker weiß sich wieder nicht anders zu behelfen, als den Kopf zu schütteln und mit den Schultern zu zucken, versucht es dann aber doch mit einer Erklärung. „Weil es um die Meisterschaft geht?“, fragt er.
Karadeniz rollt mit den Augen. „Nein, die dürfte leider entschieden sein. Galatasaray müsste verlieren und Başakşehir mit neun Toren Vorsprung gewinnen. Das ist mehr als unwahrscheinlich. Zum Glück, ich hasse Başakşehir nämlich. Aber für uns lief es diese Saison auch nicht gut. Dritter Platz in der Liga. Das ist zu wenig.“
„Uns“, mutmaßt Parker, „ist wahrscheinlich Beşiktaş?“ Karadeniz tut empört. „Aber klar doch! Oder glauben Sie etwa ich bin Kasımpaşa-Fan? Das ist so, als ob sie einen Pauli-Fan fragten, ob er HSV-Anhänger ist. Beşiktaş ist ein eher linker Club. Und Kasımpaşa, puh…“ Karadeniz zögert, sucht nach der passenden Vokabel.
„Ich weiß nicht mal, wo das liegt“, nutzt Parker die kurze Sendepause des Kommissars. Karadeniz macht eine ausholende Geste, als wolle er zu einem Exkurs über den türkischen Fußball ansetzen. „Kasımpaşa ist auch ein Istanbuler Verein. Und wissen Sie, wie deren Stadion heißt?“
„Natürlich nicht“, sagt Parker hörbar genervt. „Ich habe ja noch nie von dem Verein gehört.“
„Deren Stadion“, doziert Karadeniz spöttisch, „ist benannt nach einem großen Staatsmann.“ Er blickt zu dem einzigen Bild im Raum. „Es heißt Recep Tayyip Erdoğan-Stadion.“ Er schaut wieder zu Parker. „Noch Fragen?“
Parker tut wissend: „Ach, der Erdoğan-Club. Von dem habe ich schon gehört.“
Karadeniz atmet übertrieben schwer aus. „Nein, das wiederum ist Başakşehir, der Tabellenzweite. Ach egal. Es macht übrigens keinen Spaß mit ihnen über Fußball zu sprechen“, sagt Karadeniz. „Aber ich rede schon wieder viel zu viel. Sagt meine Frau auch immer. Bringen wir es lieber schnell hinter uns, dann kann ich noch den Flieger am Nachmittag nehmen. Einverstanden?“
Parker nickt wohlwollend. „Sehr gerne.“
Karadeniz setzt sich ihm gegenüber, macht eine auffordernde Geste mit seiner Hand. „Bitte, Herr Parker, dann legen Sie mal los. Was haben Sie ausgefressen?“
Parker blickt dem Kommissar fragend in die Augen. „Was ich ausgefressen habe? Ich habe keine Ahnung. Was wirft man mir denn vor?“
Karadeniz tut überrascht, bleibt aber freundlich. „Was man Ihnen vorwirft? Nur Sie wissen doch, was genau passiert ist. Lassen Sie mal hören. Ihre Version, bitte!“ Er macht wieder diese einladende Geste, wie ein Talkshowmoderator, der seine Gäste auffordert, sich vorzustellen.
Parker ist verwirrt, weiß nicht, was er sagen soll. „Ich habe nichts gemacht. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich hier bin.“
Karadeniz lehnt sich in seinem Stuhl zurück, zieht die Augen zu Schlitzen zusammen, zückt einen kleinen Block mit Stift aus der Innentasche seines Sakkos, drückt die Mine aus dem Kugelschreiber. Er macht sich Notizen. Auf die erste Seite des Blocks schreibt er: Peter Parker, daneben das Datum: 24. Mai 2019. Dann schaut er auf seine Uhr. ‚9.35 Uhr‘ schreibt er auf. In der nächsten Zeile zieht er einen langen Strich, dreht dann den Block um 180 Grad zu Parker. „Ist das alles so richtig?“ Karadeniz pocht mit dem Stift auf den Strich. „Sie wollen also nichts sagen? Nichts, was Sie entlasten könnte? Keine Angaben? Nur zur Info: In der Türkei ist es wie in Deutschland. Ein frühes Geständnis kann sich positiv auf das Strafmaß auswirken.“
Parker ist langsam verärgert. „Worum geht es denn überhaupt?“, poltert er. „Was soll ich denn gestehen?“
Karadeniz seufzt tief und schaut wieder auf die Uhr. Dann zählt er laut an den Fingern die Stunden ab: „Halb elf, halb zwölf, halb eins.“ Bis halb vier zählt er. „Sechs Stunden“, sagt er dann. „Wir haben maximal sechs Stunden, dann muss ich spätestens zurück nach Dalaman zum Flieger. Sonst kann ich das Spiel vergessen.“ Er lächelt. Aber das Lächeln wirkt wie eine Drohung.
„Jetzt mal im Ernst“, fährt der Kommissar nach einer kurzen Pause fort. „Kurz die Spielregeln: Ich frage, Sie antworten. Sonst sitzen wir am Montag noch hier. Und ich warne Sie, zerstören Sie mir nicht mein Wochenende. Das ist mir und meiner Familie heilig. Ich wiederhole also noch mal meine Frage: Sie bleiben dabei, dass Sie nichts verbrochen haben? Ich frage Sie das nur noch einmal, um Ihnen die Chance zu geben, Ihre Antwort zu überdenken.“
Karadeniz schaut Parker jetzt wieder tief in die Augen, als könne er darin erkennen, ob sein Gegenüber ihn anlügt.
Parker schüttelt den Kopf. „Nein, nichts!“
„Prima!“, sagt Karadeniz und setzt ein Ausrufezeichen wie zur Bestätigung unter den Strich auf seinem Zettel. „Ich glaube Ihnen, Herr Parker. Sie machen auf mich einen netten Eindruck. Ich mag Sie. Und ich hoffe, Sie enttäuschen mich nicht. Ich bin Ihnen neutral gegenüber eingestellt. Das merken Sie hoffentlich. Aber ich hasse Lügner. Die ganze Welt ist voller Lügen. Politiker lügen. Mörder lügen, Verbrecher lügen, Ehebrecher lügen.“ Er blickt kurz von seinem Block auf. Parker verzieht keine Miene. Aber er hat das Gefühl, irgendwas sagen zu müssen. Also sagt er: „Ich bin nicht verheiratet.“
Karadeniz lacht. „Stimmt ja, Sie sind nicht verheiratet.“
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