Pling!
„Machst Du Urlaub in Mexico mit deiner Freundin?“
Pling!
„Ich würde gerne mehr von Dir erfahren.“
Pling!
„Habe ich das auf Fünen richtig verstanden, dass du im Moment keine Freundin hast?“
Pling!
„ Hast Du eigentlich Geschwister? Leben Deine Eltern noch? Was sind deine Träume? Willst Du immer in Hamburg bleiben?“
Pling!
„Wie alt bist Du eigentlich?“
Pling! Sie schickt ein Foto, das sie aufgenommen hat. Von Parker. Bei der Regatta rund Fünen. Dazu schreibt sie: „Tolles Foto von Dir!“
Pling! Noch ein Foto. Diesmal von ihr. Im knappen Bikini. „Diesen Winter in Australien“ , steht darunter.
Pling!
„Mir fehlt der Augenkontakt mit Dir, bis jetzt war mir nicht klar wie sehr. Meine Ehe funktioniert zwar sehr gut, aber meine tiefen Gefühle sind vor zehn Jahren verschwunden. Ich werde Dich diesmal nicht mehr abweisen, und in dem Moment weiß ich, dass meine Ehe zu Ende ist. Aber Bert wird mir überall hin folgen, und ich kann nicht Nein sagen. Ich muss ihm weh tun, obwohl er mein bester Freund ist.“
Lange Zeit hat Parker die Mails einfach ignoriert, einige nicht einmal gelesen, weil er nicht wollte, dass sie sieht, dass er sie gesehen hat. Sie würde schon irgendwann aufhören, wenn er nicht antwortet, dachte er. Mittlerweile fühlt er sich regelrecht belästigt. Und mehr noch genervt. Als er die letzte Nachricht mit einiger Verzögerung liest, schäumt er vor Wut. „Spinnt die? Was soll das heißen: ‚ diesmal nicht mehr abweisen‘.“ Als hätte er ihr jemals Avancen gemacht. Er will ihr schreiben, sie anschreien: „Lass mich endlich in Ruhe. Ich will nichts von Dir.“ Aber weil er ahnt, dass Julia Probleme hat, versucht er es mit leiseren Tönen: „Wehtun ist sicher keine Lösung!“
Pling!
„Ich kann es auch doch nicht....ich kann das Problem nicht lösen.“
Pling!
„Habe auch gerade wieder einen Rückfall. Wenn ich ein Pferd wäre, hätte ich mich längst zum Schlachter gebracht, hahahahaha“
Pling!
„Verrätst Du mir, wie es Dir geht mit der ganzen Sache?“
Pling!
„Ich habe mich heftig in Dich verliebt.“
Pling!
„A ber ich liebe auch Bert!“
Pling!
„Du hast was viel Besseres verdient, ganz ehrlich. Ich muss Dich wieder loslassen, obwohl es mir sehr sehr schwerfällt.“
Parker gibt auf. Seit Tagen reagiert er auf keine Nachricht mehr von Julia Schneider. Er meidet Facebook, weil er weiß, dass wieder neue Nachrichten auf ihn warten und aufregen werden. Und das kann er gar nicht gebrauchen. Ihm geht es immer schlechter. Steffen hat er erzählt, er habe eine Grippe verschleppt, und dass er im Homeoffice arbeiten würde. Dabei bekommt er schon Beklemmungen, wenn er sich nur hinter das Steuer seines schwarzen SUV setzt, um zum Bäcker um die Ecke zu fahren. Niemand in der Agentur ahnt, was Parker durchmacht.
„Was ist eigentlich mit Mexiko nächste Woche?“, will Steffen bei einem der täglichen Telefonate wissen. „Bist Du da wieder fit?“ „Logisch“, antwortet Parker. Der Gedanke an die lange Flugreise lässt ihn zwar erschaudern, aber eine Schwäche eingestehen, das will er immer noch nicht. Unter großem Druck, das weiß Parker, funktioniert er immer noch. Auch wenn er in Alltagsdingen versagt. Mexiko ist ein großes Projekt. Sein großes Projekt. Monatelang hat er um den Auftrag der Tequila-Destillerie gekämpft, viele Nächte und Wochenenden investiert, um den Auftrag an Land zu ziehen. Und dann hat sein Pitch überzeugt: Die Markteinführung und Vermarktung in ganz Europa soll ihre Agentur organisieren. Die Vertragsunterzeichnung in La Paz lässt er sich nicht nehmen. Auf keinen Fall. Doch noch während des Telefonats mit Steffen fällt ihm ein, dass sein Reisepass abgelaufen ist. ‚Scheiße‘, denkt er. Schleunigst muss er sich ein vorläufiges Dokument besorgen.
Am nächsten Morgen sitzt Parker im Warteraum des Bürgeramtes seiner Gemeinde. Fast alle Stühle sind belegt. Die Fahrt dorthin hat er halbwegs gut gemeistert, das beflügelt ihn. Aber jetzt, wo er dasitzt, und abwechselnd auf den Abriss mit seiner Nummer und die Anzeigetafel starrt, überkommt ihn wieder dieses Kribbeln. Er merkt, wie die Unruhe sich durch seinen Körper frisst und immer mehr Besitz von ihm ergreift. Er versucht zu lesen, legt die Zeitschrift aber sofort wieder auf den kleinen Tisch, als die Buchstaben sich wie tausend kleine Käfer über das Papier bewegen. Nervös schlägt er erst das rechte Bein über das linke. Dann andersherum. Immer wieder fasst er sich in den Nacken, massiert seine Schulter, biegt den Kopf von einer Seite auf die andere bis die Sehnen zu reißen drohen. Die orangefarbene Plastiklehne schmerzt in seinem Rücken, die vier dünnen Stahlbeine quietschen bei jeder seiner Bewegungen auf dem Linoleum. Parker kramt sein Smartphone aus der Hosentasche, checkt seine Mails, doch die vielen kleinen Buchstaben strengen ihn zu sehr an. Sie verschwimmen und pulsieren. Er kann sie nicht richtig lesen. Er tippt auf den blauen Button mit dem weißen „f“, öffnet die Facebook-App. Bert hat Geburtstag, daran erinnert ihn das soziale Netzwerk. Das kann er gerade noch erkennen. Kurz überlegt er, ob er ihm gratulieren soll. Aber er verwirft den Gedanken. Sein Blick schweift zur Anzeigetafel. Noch elf Nummern trennen ihn von seinem neuen Ausweis. Drei Büros scheinen besetzt zu sein, in die die Wartenden gerufen werden. Im Schnitt, schätzt Parker, dauert jeder Vorgang etwa fünf Minuten. Nur noch eine Viertelstunde, maximal 20 Minuten, dann ist er an der Reihe. Dann hat er es geschafft.
Pling! Intuitiv öffnet Parker den Messenger.
„ Ich habe jetzt Bert die Wahrheit erzählt, und dass unsere Ehe nicht mehr funktioniert. Ich brauche meine Freiheit. Und ich will es mit dir ausprobieren!“
Noch ehe Parker versteht, was er da gerade gelesen hat, erreicht ihn die nächste Nachricht. Pling!
„ Er ist traurig, kann es aber verstehen.“
Parker bleibt der Atem weg. Was hat diese Verrückte getan? Er muss raus. Raus aus diesem Wartezimmer. Raus an die frische Luft. Nichts kann ihn halten. Er hyperventiliert. Er stürmt zu seinem Auto, kramt aus der Seitenablage der Fahrertür die alte Bäckertüte und atmet hinein. Bis er sich langsam wieder beruhigt.
Als er eine halbe Stunde später zu Hause ankommt, ist er nass geschwitzt. Er muss ein für alle Mal diesen Wahnsinn beenden. Julia hat endgültig eine rote Linie überschritten, in dem sie seinen Namen gegenüber Bert erwähnt hat. Und das an seinem Geburtstag! Bislang hat Parker geglaubt, eine vereinsamte Frau lässt ihren Gedanken freien Lauf. Aber jetzt hat sie mal eben den Gedanken Taten folgen lassen. Sie hat Bert allen Ernstes erzählt, dass sie ihn verlassen werde. Um Parkers Willen. Was ein Irrsinn!
Diese Frau, die er eigentlich gar nicht kennt, hat sich in sein Leben geschlichen, durch den Computer sein Wohnzimmer erobert und nun auch noch seinen Rückzugsort, den Hafen, vermint. Wie soll er je wieder Bert unter die Augen treten? Was wird der von ihm denken? Sicherlich wird Bert ihn dafür verantwortlich machen, dass seine Ehe zerbrochen ist. Schließlich ist Parkers Leumund im Hafen nicht gerade der beste. Viele halten ihn für einen Womanizer, einen Schwerenöter, für jemanden, der nichts anbrennen lässt. Niemand ahnt, dass das Bild, das sie von Parker haben, derzeit nichts anderes als eine Maske ist. Und Julia? Die will er schon gar nicht sehen. Um nichts auf der Welt. Wem wird Bert glauben? Ihm, dem Hallodri aus Hamburg, oder seiner schüchternen Ehefrau? Und selbst wenn Bert ihm glaubte, dann würde er ihn fragen, warum er ihn nicht eingeweiht hat, als seine Frau hinter seinem Rücken Parker kontaktiert hat. Sie waren doch schließlich so etwas wie Kumpels. Hätte Parker nicht den Anstand haben müssen, Bert einzuweihen? Spätestens als sie ihm die Bikinibilder schickte? Warum hatte Parker dem ganzen Spuk kein Ende bereitet? Aber was hätte er sagen sollen? „Deine Frau belästigt mich!“ Welch absurde Situation. Auf der einen Seite der gestandene Mann, der erfolgreiche Werber, der Weiberheld. Auf der anderen eine zierliche Frau, gebeutelt vom Schicksal, gezeichnet von Krankheiten und Unfällen. Wem also hätte Bert geglaubt? Er musste Julia noch einmal antworten, also schrieb er voller Wut: „Keine Ahnung, was in Deinem Kopf vorgeht. Aber es gibt kein ‚Wir‘. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt. Ich wüsste nicht, dass ich jemals einen anderen Eindruck erweckt hätte.“ Nachdem Parker auf den kleinen Pfeil zum Senden gedrückt hat, wartet er gespannt auf eine Reaktion. Aber es passiert nichts. Ist das ein gutes Zeichen? Oder ein schlechtes? Parker weiß es nicht. Die Antwort lässt bis zum Nachmittag auf sich warten. Pling!
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