Natashia kam an Deck und lächelte smart. „Kommt ihr beiden? Die Skipper wollen die Lage besprechen.“ Dabei zwinkerte sie Sue aufmunternd zu, die scheinbar ein wenig an Stabilität verloren hatte, weil sie sich schwankend der Reling zuwandte und diese mit ihren Händen umklammerte. „Danke, Pedro“, flüsterte sie mit gebeugtem Kopf. „Danke für diese Erklärung.“ Pedro nickte ihr zustimmend zu und gemeinsam folgten sie Natashia unter Deck.
„Es ist so“, Kasai erhob seine Stimme als erstes. „Es gibt Sturmwarnung. Wir könnten hier in der Bucht ankern, müssten aber alle am Boot übernachten. Oder aber, wir schippern etwa vier Kilometer der Küste entlang, bis wir eines meiner Anwesen auf Sky Island erreichen. Wenn wir Glück haben, erreichen wir es noch, bevor uns der Sturm in seiner vollen Größe erwischt.“ „Die Jacht ist zwar ausgerichtet für raue See“, erklärte Stean weiter, „aber ich befürchte, dass wir alle ein derartiges Unwetter nicht ganz ohne Blessuren überstehen werden. Zudem ...“ Er lockte Lee auf seinem Arm. „Zudem, wir haben ja auch noch unseren Spitzenkapitän hier an Bord, und zu unserer aller Sicherheit würde ich vorschlagen, wir geben Gas und schauen, dass wir schleunigst Kasais Anwesen erreichen. Was meint ihr?“
Geschlossen entschieden sie sich für ein schnelles Vorwärtskommen und einer Übernachtung in Kasais Haus. „Sorry, Sue.“ Kasai lächelte müde. „Ich wünschte, du könntest diese Bootstour auf andere Weise genießen, aber für Morgen sieht es mit dem Wetter besser aus, die Rückfahrt wird weniger ...“ Er überlegte und zog seine Brauen hoch, „übel.“
Sue empfand die bisherige Reise als überaus anregend, nicht zuletzt, weil auch Natashia mit an Bord war. Für sie war es ein Abenteuer, dies alles erleben zu dürfen, und zudem freute sie sich, dank des aufziehenden Sturms, noch etwas mehr Zeit mit Natashia verbringen zu können. „Kein Sorry, Kasai“, beschwichtigte Sue und legte ihre Hand vertraut auf Kasais Arm. „Du hast mir ein Abenteuer versprochen und Wort gehalten. Mir fehlt es hier an nichts. Und ihr zwei, Stean und du, nein, ihr drei“, verbesserte sie sich und gluckste. „Mit Lee an eurer Seite kommen wir sicher gut und wohlbehalten auf Sky Island an. Nicht wahr?“
Gerade noch rechtzeitig, kurz vor Sky Island, traf sie der Sturm mit voller Wucht. Alle Schotten waren dicht. Kasai navigierte die Jacht gekonnt an den Anleger und vertaute diese im Teamwork gemeinsam mit Pedro und Stean. Die Sonne war bereits untergegangen. Üppige Vegetation breitete sich vor ihnen aus, als sie den Bootssteg überquerten. Palmen, Farne und Gräser bogen sich im Sturm, während der Wind das Meer hinter ihnen wild aufpeitschte. Klatschnass, aber sicher, kamen sie bei Kasais Haus an, das unweit des Anlegers auf einer leichten Anhöhe erbaut war. Ein wilder Garten umfasste das Anwesen, das langsam im Dunkel der Nacht verschwand. Das Innere des Hauses war zweckmäßig eingerichtet. Es beherbergte drei Schlafzimmer und ein Bad mit Dusche und Toilette. Die Zimmer wurden sogleich an Sue und Lee, Natashia und Stean aufgeteilt. Kasai und Pedro waren es gewohnt am Boden zu schlafen. Der Sturm rüttelte an den Fensterscheiben und hie und da hörte man ein lautes Ächzen und Stöhnen, das aus dem umliegenden Regenwald kam. Sue hüllte Lee in frische trockene Kleidung und sich selbst in eine Decke ein, nachdem sie sich ihrer nassen Kleidung entledigt und duschen gegangen war. Sie war unheimlich müde. Der Tag auf offener See war aufregend gewesen. Mit Lee auf dem Arm kam sie die Treppe nach unten und hörte Natashia mit Stean im Wohnraum sprechen. Kurz blieb sie stehen. Sie wollte nicht lauschen, aber ihr war, als ginge es in diesem Gespräch um sie selbst.
„Du hast also noch nicht mit ihr geschlafen?“ „Nein, leider.“ Sie hörte Steans beruhigende und tiefe männliche Stimme. „Wir schlafen seit jeher in getrennten Zimmern, so auch heute. Ich werde sie zu nichts drängen, auch wenn ich sie für mein Leben gerne endlich spüren würde.“ „Gut! Das beweist deine Anständigkeit und dein wahres Interesse an ihr. Es finden sich nur wenige westliche Männer, die Sues Reinheit bewahren wollen, und dir ist bewusst, welche Verantwortung ihr Männer trägt, wenn ihr um eine Frau werbt.“ „Ja“, sagte Stean kleinlaut. „Auch wir müssen ganze Männer sein, keine kleinen Jungs, die mit ihrer Gier eine Frau kontrollieren und besitzen wollen, den Schoß der Frau beflecken und verunreinigen. So zumindest hab ich es verstanden.“ „Genau, Stean“, kam es zufrieden zurück. „Das hast du ganz richtig verstanden. Sie ist ein Gefäß, aus dem stets genommen wurde. Was in ihr zurückblieb von all dem Wahnsinn, den sie erlitten hat, verbrauchte bis heute ihre ganze Kraft, um diese negativen Energien wieder aus sich zu lösen. Sue transformiert permanent unreine Energien und weiß es nicht mal, dass sie dadurch ganze Ahnenreihen von ihrer Last befreit.“ „Ich weiß, das habt ihr mir schon mal erklärt. Nicht ich wähle, sondern sie muss wählen. Sie soll wieder überlaufen, gefüllt sein mit sich, und nur ein Mensch, der überläuft mit sich, kann wahrhaftigen Austausch von Liebe durchtränkter Fülle garantieren. So und nicht anders sollte Sex geschehen. Das habe ich verstanden. Aber ich bin soweit, Shia.“ „Das mag schon sein, Stean. Auch Kasai wäre soweit. Aber sie muss sich erst ganz wiederfinden. Sie ist verlorengegangen im patriarchalen Vergehen an ihr. Das weißt du. Wie soll sie sich im Mann finden, wenn sie noch nicht mal weiß, wer sie als Frau ist?“ „Wirst du es ihr zeigen?“
Steans Timbre in der Stimme wurde tiefer und in seiner Frage klang tiefes Verständnis und Zärtlichkeit. „Ich meine, wirst du sie mit deiner Fülle und Unversehrtheit auffüllen?“ Sue glaubte ihren Ohren nicht zu trauen, worüber die beiden sprachen. Vorsichtig näherte sie sich dem Wohnzimmer, in dem die beiden auf dem Boden einander gegenüber hockten. „Ich kann sie nicht mit mir auffüllen, Stean, das weißt du. Aber ich kann ihr zeigen, wie es sich anfühlt, Frau zu sein, ganz und nicht nur halb und zerstört.“
„Wie wird sie sich wohl entscheiden, Shia, was meinst du?“
„Nun, das obliegt ganz allein Sue selbst, das können wir beide nicht beeinflussen. Was wir aber tun können ist, sie darin zu unterstützen, sich zu erkennen als Frau, als Göttin, die sie und alle Frauen dieser Welt sind.“ „Ich weiß“, antwortete Stean ruhig. „Ihr seht das so, mit der Göttin.“ „Wir sehen es nicht nur so, sondern wir leben auch danach. Auch die Männer unseres Volkes tun dies, Stean, vergiss das nie, wie es sich anfühlt, auch als Mann in einer solchen Unversehrtheit leben zu dürfen, welche Freiheit es in sich birgt, zu sein wer man in Wahrheit wirklich ist und immer schon war.“
„Oh, hallo Sue.“ Stean erhob sich grinsend vom Fußboden und kam ihr langsam entgegen. „Na, hast du dich etwas frisch machen können? Dich und den kleinen Racker hier?“ Stean stupste Lee sanft in den Bauch und nahm ihn dann auf seinen Arm, um ihn so richtig zu knuddeln, bis er zu lachen begann. Sues Blick durchdrang wissend den von Natashia. „Wir haben gerade von dir gesprochen, Kleiner Kuckuck.“ „Ja, das habe ich bemerkt. Ihr beiden schmiedet hier ein Komplott gegen mich, wenn ich mich recht entsinne!“ In Sues Augen funkelte es wild auf und in ihrer Stimme lag ein Hauch Ironie. „Ach Sue.“ Natashia lächelte und ihr Lächeln entwaffnete Sue auf der Stelle. „Kein Komplott, und schon gar nicht gegen dich. Und wenn schon ein Komplott, dann mit dir!“ Oh Mann, die Frau konnte einem wirklich zusetzen, wie neckisch sie soeben antwortete, und diese Verführungskunst ihrer hauchenden Worte.
„Es ist wohl besser, wenn wir beide ins Bett gehen. Ähm, Lee und ich, meine ich. Es ist spät und wir sind beide schon sehr müde. Ich wollte mich eigentlich nur von euch für die Nacht verabschieden.“ Natashia erhob sich und nahm Sue in den Arm. „Natürlich“, hauchte sie in Sues Ohr. „Ich wünsche euch eine wundervolle Nacht, wir sehen uns!“ „Ja“, hauchte Sue zurück. Ihr Herz raste. Dann fing sie noch einmal Natashias strahlendes Lächeln ein, verabschiedete sich von Stean mit einem Kuss auf die Backe, nahm Lee mit sich und wünschte auch Pedro und Kasai, die soeben die Stufen herab schritten, eine gute Nacht.
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