»Wenn wir wüßten, was Alles dieser Schrank enthält, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, als sie sich ein Wenig erholt hatte von der augenblicklichen Wirkung seiner Lobsprüche auf ihre persönliche Erscheinung, »könnten wir besser entscheiden, welches Verfahren wir einschlagen sollen.«
»Das ist nicht ohne Grund, Mädchen, obgleich es mehr eine Bleichgesichts-als eine Rothhauts-Gabe ist, andrer Leute Geheimnisse zu durchspähen.«
»Neugier ist natürlich, und es läßt sich erwarten, dass alle menschliche Wesen menschliche Fehler haben. So oft ich bei den Garnisonen gewesen bin; habe ich gefunden, dass die Meisten Dort und rings herum Verlangen trugen, ihres Nächsten Geheimnisse zu erspähen.«
»Ja, und manchmal sie zu errathen oder zu erdichten, wenn sie sich nicht entdecken konnten. Das ist der Unterschied zwischen einem indianischen und einem weißen Gentleman. Die Schlange hier würde den Kopf auf die Seite wenden, wenn er bemerkte, dass er unabsichtlich in eines andern Häuptlings Wigwams hineinsehe; während in den Ansiedlungen, wo Alle vornehme Leute sein wollen, die Meisten beweisen, dass sie besser als Andre seien, durch die Art, wie sie über diese und ihre Angelegenheiten schwatzen. Ich stehe dafür, Judith, Ihr brächtet die Schlange hier nicht dazu, zu gestehen, es sei ein Andrer in seinem Stamme umso Viel größer als er, dass er der Gegenstand seiner Gedanken würde, und er seine Zunge gebrauchte zu Gesprächen über sein Thun und Treiben, sein Gehen und Stehen, sein Essen und Trinken, und all die andern kleinen Sachen, die einen Menschen beschäftigen, wenn er nicht mit seinen größeren Pflichten zu tun hat. Wer das tut, ist nicht viel besser als ein ausgemachter Spitzbube, und Wer Einen dazu aufmuntert, ist so ziemlich von derselben Gattung, trage er so schöne Röcke als er will, und von Farben, wie sie ihm gefallen.«
»Aber das ist keines andern Mannes Wigwam; es gehört meinem Vater; es sind seine Sachen, die man zu seinem Besten verwendet und bedarf.«
»Das ist wahr, Mädchen, das ist wahr, und es ist nicht ohne Gewicht. Nun gut, wenn Alles vor uns liegt, können wir in der Tat am besten entscheiden, was wir als Lösegeld anbieten, was zurückbehalten sollen.«
Judith war in ihren Gefühlen nicht ganz so uneigennützig, als sie sich die Miene gab. Sie erinnerte sich, dass die Neugierde Hetty’s in Bezug auf diesen Schrank war befriedigt worden, während die ihrige unberücksichtigt blieb; und es war ihr nicht leid, eine Gelegenheit zu bekommen, in diesem Einen Punkt sich ihrer minder begabten Schwester gleich zu stellen. Da es schien, als seien Alle darüber einverstanden, die Untersuchung des Inhalts des Schrankes solle weiter fortgesetzt werden, machte sich Wildtödter daran, die zweite Leinwanddecke zu entfernen.
Die zu oberst liegenden Artikel, nachdem wieder der Vorhang von den Geheimnissen des Schrankes weggezogen war, waren ein Paar Pistolen, sehr schön mit Silber eingelegt. Ihr Wert würde in einer der Städte ansehnlich gewesen sein, obgleich sie für die Wälder eine Art selten gebrauchter Waffen waren; ja, nie wurden sie eigentlich gebraucht, außer etwa von einem Offizier aus Europa, der die Colonien besuchte, wie damals Manche zu tun pflegten, und der so erfüllt war von der Vortrefflichkeit der Sitten und Gebräuche von London, dass er meinte, er dürfe sie auch auf der Grenze Amerika’s nicht bei Seite legen. Was bei der Auffindung dieser Waffen sich zutrug, wird im nächsten Kapitel kund werden.
Ein Eichenlehnstuhl, zerbrochen gar,
ein Leuchter, seiner Handhabe bar;
ein eschenes Bett aus der Rumpelkammer;
ein Koffer ohne Schloß und Klammer;
Eine Beißzange, die nicht mehr packt;
ein Degen, die Spitze abgehackt;
Eine Schüssel, Wohl lecker gefüllt, als noch ganz;
ein Ovid, samt alter Conkordanz.
Swift’s Inventar.
Sobald Wildtödter die Pistolen aufgehoben, wandte er sich gegen den Delawaren und hielt sie ihm hin, sie zu bewundern.
»Kind’s Gewehr,« sagte die Schlange lächelnd, indem er eine der Waffen wie ein Spielzeug handhabte. »Nicht so, Schlange, nicht so. Es ist für einen Mann gemacht, und würde einen Riesen zufrieden stellen, recht gebraucht. Aber halt; weiße Männer zeichnen sich aus durch die Sorglosigkeit, womit sie Feuerwaffen in Schränken und Winkeln auf die Seite legen. Laßt mich sehen, ob diese Waffen sorglich behandelt worden sind.«
Mit diesen Worten nahm Wildtödter die Waffe seinem Freund aus der Hand und öffnete die Pfanne. diese war mit Pulver gefüllt, das durch Zeit, Feuchtigkeit und Druck wie in ein Stückchen Kohle zusammengebacken war. ein Versuch mit dem Ladstock zeigte, dass beide Pistolen geladen waren, obwohl Judith bezeugen konnte, dass sie vielleicht Jahre lang in dem Schranke gelegen. Es wäre schwer, das Erstaunen des Indianers bei dieser Entdeckung zu schildern, denn er war gewohnt, das Pulver auf seiner Pfanne täglich zu erneuen, und in andern kurzen Zwischenzeiten nach der Ladung seines Gewehrs zu sehen.
»Das ist weiße Nachlässigkeit,« sagte Wildtödter, den Kopf schüttelnd, »und kaum eine Jagdjahrszeit geht vorüber, ohne dass Jemand in den Ansiedlungen dadurch zu Schaden kommt. Es ist auch außerordentlich, Judith – ja, es ist geradezu außerordentlich, dass der Eigentümer sein Gewehr auf einen Hirsch, oder ein andres Wild, oder vielleicht auf einen Feind abfeuern, und dann zweimal unter dreien fehlen soll; aber es stoße ihm ein Unfall zu mit einer solchen vergessenen Ladung – und sie bringt sichern Tod einem Kind, einem Bruder oder Freund! Nun, wir werden dem Eigentümer einen Dienst erweisen, wenn wir an seiner Statt diese Pistolen abfeuern; und da sie für Euch und für mich etwas Neues sind, wollen wir unsre stete Hand an einem Ziele versuchen. Erneuert dies Pulver auf der Pfanne, und ich will es bei dieser tun, dann wollen wir sehen, wer der beste Schütze ist mit einer Pistole; was die Büchse betrifft, so ist das längst unter uns ausgemacht!«
Wildtödter lachte herzlich über seinen eignen Einfall, und nach ein paar Minuten standen sie Beide auf der Plattform, sich einen Gegenstand in der Arche zur Zielscheibe zu wählen. Judith führte die Neugier auch herbei.
»Tretet zurück, Mädchen, tretet ein Wenig zurück; diese Waffen sind schon lange geladen,« sagte Wildtödter, »und es könnte bei dem Abfeuern ein Unfall sich ereignen.«
»Dann sollt Ihr sie nicht abfeuern! Gebt sie beide dem Delawaren; oder es wäre besser, die Ladung herauszuziehen, statt sie abzufeuern,«
»Das ist gegen den Gebrauch – und manche Leute meinen: gegen die Mannhaftigkeit, obgleich ich solche einfältige Lehren nicht annehme. Wir müssen sie abfeuern, Judith, ja, wir müssen sie abfeuern: obgleich ich voraussehe, dass Keiner Ursache haben wird, sich seiner Geschicklichkeit groß zu rühmen.«
Judith war im Ganzen ein Mädchen von vielem persönlichen Muth, und ihre Lebensweise machte, dass sie Nichts von der Angst fühlte, welche beim Knall von Feuerwaffen leicht ihr Geschlecht überfällt. Sie hatte manche Büchse abgefeuert, und man wusste sogar, dass sie unter Umständen, die den Erfolg begünstigten, ein Wild erlegt hatte. Sie ergab sich daher, trat ein Wenig zurück, neben Wildtödter, und überließ dem Indianer die Fronte der Plattform allein. Chingachgook erhob die Waffe mehrere Male, suchte sie mit Anwendung beider Hände in eine stete Lage zu bringen, wechselte seine Stellung, die ihm unbequem schien und nahm eine noch unbequemere an, und endlich drückte er ab, mit einer Art verzweifelter Gleichgültigkeit, ohne in der Tat irgend ein Ziel fest in’s Auge gefaßt zu haben. Die Folge war, dass er statt den Knoten zu treffen, der zur Zielscheibe bestimmt worden war, die Arche ganz und gar fehlte, und die Kugel auf dem Wasser dahintanzte, wie ein mit der Hand geworfner Stein.
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