»Das sind nur die Kleider Hetty’s, des guten, einfältigen Mädchens!« sagte sie. »Was wir suchen, ist wohl schwerlich hier zu finden!«
Kaum waren diese Worte über den schönen Mund der Sprecherin gekommen, als Chingachgook den gewünschten Schlüssel aus der Tasche zog. Judith besaß einen zu schnellen Verstand, um nicht sogleich den Grund zu errathen, warum ein so einfacher und leicht zu findender Versteck war gewählt worden. Das Blut schoß ihr ins Gesicht, vielleicht ebenso sehr aus Verdruß, als aus Schaam, und sie biß sich in die Lippe, blieb aber stumm. Wildtödter und sein Freund bewährten jetzt das Zartgefühl von Männern von natürlich feinem Sinn, indem sie weder lächelten, noch auch nur durch einen Blick verrieten, wie gut sie die Beweggründe und das Schlaue dieser sinnreichen List verstanden. Der Erstere, der dem Indianer den Schlüssel abgenommen, trat jetzt in das anstoßende Gemach, versuchte ihn an einem Schloß, und versicherte sich, dass wirklich das rechte Instrument gefunden sei. Es waren drei Vorlegeschlösser, die aber alle drei leicht mit dem einen Schlüssel geöffnet wurden. Wildtödter nahm sie alle ab, machte die Haspen los, hob den Deckel ein Wenig auf, um sich zu versichern, dass der Schrank aufgehe, und trat dann einige Schritte davon zurück, seinem Freunde winkend, ihm zu folgen.
»Das ist ein Familienschrank, Judith,« sagte er, »und enthält vermutlich Familiengeheimnisse. Die Schlange und ich wollen in die Arche gehen, und nach den Canoe’s, den Rudern und Schaufeln sehen, während Ihr sie allein untersucht, und zuseht, ob unter den Artikeln darin sich Etwas findet, was bei einem Lösegeld von Gewicht sein kann, oder nicht. Wenn Ihr fertig seid, ruft uns, und dann wollen wir in einem Rath zusammensitzen über den Wert der Artikel.«
»Halt, Wildtödter!« rief das Mädchen, als er im Begriffe war, sich zu entfernen; »nicht Einen Gegenstand rühre ich an – nicht einmal den Deckel hebe ich auf – wenn Ihr nicht dabei gegenwärtig seid. Vater und Hetty haben für gut befunden, aus dem Inhalt dieses Schrankes mir ein Geheimnis zu machen, und ich bin viel zu stolz, ihre geheimen Schätze erspähen und durchsuchen zu wollen, wenn es nicht um ihres eignen Besten willen wäre. Aber in keinem Falle will ich den Schrank allein öffnen. So bleibt denn bei mir; ich will Zeugen haben bei dem, was ich thue.«
»Ich denke fast, Schlange, das Mädchen hat Recht. Vertrauen und guter Glaube erzeugen Sicherheit, aber Argwohn macht uns leicht Alle tückisch. Judith hat das Recht, unsre Gegenwart zu verlangen; und sollte der Schrank Geheimnisse von Meister Hutter enthalten, so kommen die in den Besitz von zwei jungen Männern von so verschlossenem Munde, als nur in der Welt zu finden sind. Wir wollen bei Euch bleiben, Judith; aber zuerst lasst uns einen Blick auf den See und die Küste werfen, denn dieser Schrank ist wohl nicht in einer Minute geleert!«
Die beiden Männer begaben sich jetzt auf die Plattform, und Wildtödter durchmusterte die Küste mit dem Fernglas, während der Indianer sein Auge ernst auf den Wassern und Wäldern umherschweifen ließ, um ein Zeichen zu suchen, das ihm die Anschläge ihrer Feinde verriethe. Nichts war zu sehen; und beruhigt für den Augenblick wegen ihrer Sicherheit, versammelten sich die Drei wieder um den Schrank mit der erklärten Absicht, ihn zu öffnen. Judith hatte, so weit sie zurückdenken konnte, vor diesem Schrank und seinem Inhalt eine Art Ehrfurcht gehabt. Weder ihr Vater noch ihre Mutter redeten je in ihrer Anwesenheit davon; und es schien eine Art stillschweigender Verabredung zu sein, dass bei Bezeichnung der verschiednen Gegenstände, die gelegentlich in seiner Nähe standen, oder selbst auf seinem Deckel lagen, jede Nennung des Schrankes selbst sorgfältig vermieden werde. Durch Gewohnheit war dies so leicht und so geläufig und natürlich geworden, dass erst in ganz neuester Zeit das Mädchen über diesen seltsamen Umstand nachzudenken angefangen hatte. Aber es hatte nie zwischen Hutter und seiner ältern Tochter ein so inniges Verhältniß bestanden, dass dadurch Vertrauen wäre geweckt worden. Zu Zeiten war er freundlich, aber in der Regel, gegen sie besonders, finster und mürrisch. Am allerwenigsten hatte er seine Autorität in solcher Art geübt, dass sein Kind hätte den Muth gehabt, die Freiheit, zu der sie jetzt entschlossen war, sich herauszunehmen ohne große Besorgniß wegen der Folgen, obgleich sie den kecken Entschluß nur fasste in Kraft des Wunsches, ihm zu dienen. Und dann war Judith auch nicht frei von einem kleinen Aberglauben in Betreff dieses Schrankes, der von Kindheit an bis auf diese Stunde als eine Art Reliquie vor ihren Augen gestanden. Dennoch war die Zeit gekommen, wo, so schien es, dies Mysterium sich aufklären sollte, und das unter Umständen, die ihr in der Sache sehr wenig Wahl ließen.
Da Judith sah, dass ihre beiden Genossen ihre Bewegungen in ernstem Schweigen beobachteten, legte sie die Hand an den Deckel und suchte ihn aufzuheben. Ihre Kraft reichte jedoch nicht zu, und es dünkte das Mädchen, das wohl wusste, dass alle Schlösser und Bande weg waren, als widersetzte sich ihr eine übernatürliche Macht bei einem unheiligen Beginnen.
»Ich kann den Deckel nicht aufheben, Wildtödter,« sagte sie. »Thäten wir nicht besser, den Versuch aufzugeben und auf andre Mittel zur Befreiung der Gefangnen zu denken?« »Nicht so, Judith; nicht so, Mädchen. Kein Mittel ist so sicher und leicht, als eine gute Bestechung,« versetzte der Andere. »Was den Deckel betrifft, so wird der von Nichts gehalten, als von seiner eignen Schwere, die wunderbar ist für ein so kleines, zwar mit Eisen so stark beschlagenes Stück Holz.«
Mit diesen Worten versuchte Wildtödter auch seine Kraft an der Aufgabe, und es gelang ihm, den Deckel gegen das Gebälke des Hauses aufzuheben, wo er ihn mittelst einer hinlänglichen Stütze sorgfältig befestigte. Judith zitterte ordentlich, als sie den ersten Blick auf das Innere warf; und sie empfand für den Augenblick einige Beruhigung, als sie sah, dass ein am Rande sorgfältig hineingestepptes Stück Leinwand Alles was darunter war gänzlich verbarg. Der Schrank war indessen allem Anschein nach wohl angefüllt, denn die Leinwand war kaum einen Zoll vom Deckel entfernt.
»Hier ist eine volle Ladung,« sagte Wildtödter, den wohlgepackten Schrank betrachtend, »und wir tun wohl, gemächlich und ordentlich zu Werke zu gehen. Schlange, bringt einige Stühle, während ich dies Tuch auf den Boden breite, und dann wollen wir das Werk ordentlich und behaglich angreifen.«
Der Delaware gehorchte; Wildtödter stellte höflich Judith einen Stuhl hin, nahm selbst einen, und fing an, die verhüllende Leinwand zu entfernen. Er that dies mit gutem Bedacht und mit solcher Vorsicht, als ob man Gegenstände von zerbrechlichster Art und feinster Arbeit darunter verborgen geglaubt hätte. Als die Leinwand weggenommen war, waren die ersten Gegenstände, die sich zeigten, einige männliche Kleidungsstücke. diese waren von feinen Stoffen, und nach der Mode jener Zeiten von lebhaften Farben und mit reichen Verzierungen. ein Rock insbesondere war von Scharlach, und hatte mit Goldfaden genähte Knopflöcher. Doch war er nicht militärisch, sondern gehörte zum Anzug eines höhern Civilisten in einer Periode, wo der Rang in der Gesellschaft noch streng auch in der Kleidung beachtet wurde. Chingachgook konnte einen Ausruf des Wohlgefallens nicht unterdrücken, als Wildtödter diesen Rock auseinanderlegte und ihn zum Anschauen emporhob; denn trotz seiner anerzogenen Selbstbeherrschung war doch der Glanz dieses Kleidungsstückes zu Viel für die Philosophie eines Indianers. Wildtödter wandte sich rasch um, und sah seinen Freund mit einem vorübergehenden Mißfallen an, als dieser Ausbruch von Schwäche ihm entschlüpfte; dann sprach er vor sich hin, wie seine Gewohnheit war, so oft ein lebhaftes Gefühl sich seiner plötzlich bemächtigte.
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