»Jeder Mensch hat seine Geheimnisse, glaube ich,« sagte er; »und alle Menschen haben ein Recht, sich des ihrigen zu erfreuen; wir sind weit genug in diesem Schrank hinabgekommen, um meiner Ansicht nach, unsern Wünschen und Bedürfnissen Genüge zu leisten: und es scheint mir, wir täten gut, nicht weiter zu gehen, und dem Meister Hutter allein und seinen Gefühlen, Alles unter dieser Decke zu überlassen.«
»Ihr meint also, Wildtödter, man solle den Irokesen diese Kleider anbieten, als Lösegeld?« fragte Judith rasch.
»Gewiß, warum sonst durchstöbern wir eines Andern Schrank, als um dem Eigentümer die besten Dienste nach unsern Kräften zu leisten? Dieser Rock allein würde ganz geeignet sein, den Häuptling der Gewürme zu gewinnen! und wenn zufällig sein Weib oder seine Tochter mit ihm ausgezogen sein sollte, würde dies Kleid das Herz jedes Weibes zwischen Albany und Montreal erweichen. Ich sehe nicht, wozu wir eines weitern Handelsvorraths bedürften als diese zwei Artikel.«
»Euch mag es so erscheinen, Wildtödter,« erwiderte das betroffene Mädchen; »aber von welchem Nutzen wäre ein Anzug wie dieser für eine Indianerin? Sie könnte ihn nicht tragen unter den Zweigen der Bäume; der Schmutz und Rauch des Wigwam würde ihn bald verderben; und wie würde sich ein paar rother Arme ausnehmen, durch diese kurzen, spitzenbesetzten Ermel geschoben!«
»Alles ganz wahr, Mädchen; und Ihr könntet fortfahren und sagen, er sei ganz außer Zeit und Ort und Clima in dieser Gegend überhaupt. Was geht es uns an, wie mit den schönen Sachen umgegangen wird, wenn sie nur unsern Wünschen zur Erfüllung verhelfen? Ich sehe nicht ein, welchen Gebrauch Euer Vater von solchen Kleidern machen will; und es ist ein Glück, dass er Sachen hat, die für ihn werthlos, für Andre einen hohen Preis haben. Wir können keinen bessern Handel für ihn schließen, als diesen Tand für seine Freiheit zu bieten. Wir werfen das leichte Flitterzeug dazu, und bekommen dann Hurry in Kauf.«
»So denkt Ihr also nicht, Wildtödter, dass Thomas Hutter Jemand in seiner Familie habe – ein Kind – eine Tochter, der dieser Anzug nach billigem Ermessen wohl ansteht, und die darin dann und wann, wäre es auch nur nach langen Zwischenzeiten und nur zum Scherz zu sehen, Ihr selbst wünschen könntet?«
»Ich verstehe Euch, Judith – ja, jetzt verstehe ich Eure Meinung, und ich glaube, ich darf auch sagen: Eure Wünsche. Daß Ihr in diesem Anzug so prächtig seid, wie die auf-oder untergehende Sonne an einem Oktobertag, gebe ich gerne zu; und dass Ihr ihm herrlich ansteht, ist um ein gut Teil gewisser, als dass er Euch an-und zusteht. Es sind Gaben in den Kleidern wie in andern Dingen. Nun glaube ich nicht, dass ein Krieger auf seinem ersten Kriegspfad dieselben entsetzlichen Bemalungen annehmen darf, wie ein Häuptling, dessen Tugend erprobt ist, und der aus Erfahrung weiß, dass er seinen Ansprüchen keine Schande machen wird. So ist es mit uns Allen, Rothen oder Weißen. Ihr seid Thomas Hutter’s Tochter und dies Weiberkleid ward gemacht für das Kind irgend eines Gouverneurs, oder für eine Dame von hohem Stand; und es sollte getragen werden in Häusern mit schöner Einrichtung und in vornehmer Gesellschaft. In meinen Augen, Judith, steht einem sittsamen Mädchen Nichts besser, als wenn sie anständig gekleidet ist, und Nichts ist passend, was dem ganzen Wesen und Charakter widerspricht. Zudem, Mädchen, wenn ein Geschöpf in der Kolonie ist, das ganz der schönen Sachen entbehren und auf sein gutes Aussehen und holdes Gesicht vertrauen kann, so seid Ihr es.«
«Ich will den Plunder im Augenblick ausziehen, Wildtödter,« rief das Mädchen und sprang auf, um das Zimmer zu verlassen, »und nie wünsche ich ihn wieder an einem menschlichen Wesen zu sehen.«
»So ist es bei ihnen Allen, Schlange,« sagte der Andere, sich zu seinem Freunde kehrend und lachend, sobald die Schöne verschwunden war. »Sie haben eine Freude an Putzsachen, aber an ihren angebornen Reizen die größte. Ich bin jedoch froh, dass das Mädchen eingewilligt, ihren Staat wieder abzulegen, denn es ist gegen die Vernunft für eine von ihrer Klasse, ihn zu tragen; und dann ist sie hübsch genug, wie ich es nenne, umso herumzulaufen. Hist würde sich auch ganz absonderlich ausnehmen in einem solchen Weiberrock, Delaware!«
»Wah-ta!-Wah ist ein Rothhautmädchen, Wildtödter,« versetzte der Indianer; »wie die Jungen der Taube, erkennt man sie an ihren eignen Federn. Ich würde an ihr, ohne sie zu kennen, vorbeigehen, wäre sie in eine solche Haut gekleidet. Es ist immer das Weiseste, so gekleidet zu sein, dass unsre Freunde uns nicht nach unserm Namen zu fragen brauchen. Die wilde Rose ist sehr stattlich, aber sie ist nicht holdseliger mit diesen vielen Farben.«
»Das ist’s! Das ist Natur, und die wahre Grundlage für Liebe und Schutz. Wenn ein Mann anhält, um eine wilde Stachelbeere zu pflücken, so erwartet er nicht eine Melone zu finden, und wenn er eine Melone brechen möchte, so verdrießt es ihn, wenn es ein Kürbis ist, obwohl Kürbisse oft für das Auge herrlicher sind, als Melonen. Das ist es, und es bedeutet: bleibt bei Euren Gaben und Eure Gaben werden bei Euch bleiben!«
Die beiden Männer hatten jetzt eine kleine Erörterung mit einander, ob es geeignet sei, noch tiefer in den Schrank Hutter’s einzudringen, als Judith, ihres Prachtgewandes entkleidet, in ihrem einfachen Linnenkleide wieder erschien.
»Dank Euch, Judith,« sagte Wildtödter, sie freundlich bei der Hand fassend; »denn ich weiß, es ging ein wenig gegen die natürlichen Wünsche des Weibes, so viel schöne Sachen gleichsam wie einen Haufen Plunder wegzuwerfen. Aber Ihr seid dem Auge lieblicher, wie Ihr da steht, ja gewiss, als wenn Ihr eine Krone auf dem Haupt und Juwelen ums Haar bammeln hättet. Die Frage ist jetzt, ob man diese Decke aufheben soll, um zu sehen, was in der Tat der beste Handel wäre, den wir für Meister Hutter machen könnten: denn wir müssen so handeln, wie wir denken, dass er handeln würde, stände er an unsrer Stelle.«
Judith sah sehr vergnügt aus. Gewohnt an Schmeichelei, wie sie war, hatte ihr die bescheidene Huldigung Wildtödters mehr wahre Genugthuung und Freude gewährt, als sie noch je bei den Worten aus dem Munde eines Mannes empfunden hatte. Es waren nicht die Ausdrücke, worein die Bewunderung gekleidet war, denn diese waren einfach genug – was einen so lebhaften Eindruck machte; auch nicht ihre Neuheit oder Wärme, noch sonst eine der Eigentümlichkeiten, welche einer Lobpreisung gewöhnlich Wert verleihen, sondern die ungeirrte Wahrhaftigkeit des Redenden, die seine Worte so unmittelbar ans Herz der Hörenden dringen machte. Dies ist einer der großen Vortheile der Geradheit und Freimüthigkeit. Der schlaue, gewohnheitsmäßige Schmeichler mag seine Absichten so lange erreichen, bis seine Künste gegen ihn selbst zurückspringen, und wie andre Süßigkeiten, die von ihm gebotene Nahrung durch Uebermaß anekelt; aber Wer ehrlich und offen handelt, wenn er auch oft anstößt, besitzt eine Macht zu loben, die keine andre Eigenschaft als die Aufrichtigkeit gewährt, weil seine Worte geradezu ans Herz dringen, und ihre Unterstützung im Verstande finden. So war es bei Wildtödter und Judith; so bald und so tief erfüllte dieser einfache Jäger Alle, die ihn kannten, mit der Überzeugung von seiner unbeugsamen Redlichkeit, dass Alles, was er lobend äußerte, ebenso gewiss Freude machte, als Alles, was er tadelnd und als Vorwurf äußerte, gewiss da tief einschneiden und Feindschaft erwecken musste, wo sein Charakter nicht schon Achtung und Neigung ihm gewonnen hatte, die seinen Tadel in anderem Sinne schmerzhaft und empfindlich machten. Im spätern Leben, als die Laufbahn dieses ungebildeten und unverkünstelten Menschen ihn in Berührung brachte mit Officieren von hohem Rang, und Andern, die mit der Sorge für die Interessen des Staats betraut waren, übte er denselben Einfluss auf einem weiteren Feld; selbst Generale hörten seine Lobsprüche mit einem Anflug von hoher Freude, welche in ihnen hervorzurufen nicht immer in der Macht ihrer officiellen Obern stand. Vielleicht war Judith das erste Individuum von seiner Farbe, das sich diesen natürlichen Folgen der Wahrheitsliebe und Geradheit von Seiten Wildtödters entschieden unterwarf. Sie hatte wirklich nach seinem Lobe geschmachtet, und jetzt hatte sie es geerntet, und das in der Form, wie es ihrer Schwäche und ihrer Denkungsart am angenehmsten war. Das Ergebnis davon wird sich im Laufe dieser Erzählung zeigen.
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