Wir gaben uns keine Rechenschaft von unsrer Grausamkeit, weil die Puppen die Metzelei geduldig ertrugen, aber indem wir auf unsern eingebildeten Pferden umhergaloppirten und mit unsern unsichtbaren Säbeln die Meubel und das Spielzeug zerschlugen, überließen wir uns einem Enthusiasmus, der zum Fieber wurde. Man machte uns wegen unsrer Knabenspiele Vorwürfe und gewiß ist es, daß meine Cousine und ich nach wilden Aufregungen verlangten. Besonders deutlich erinnere ich mich eines Herbsttages, wo es, während das Diner servirt wurde, finster in der Stube geworden war. Wir befanden uns nicht bei uns, sondern wie ich glaube, bei meiner Tante in Chaillot, denn es waren Bettvorhänge da und wir besaßen keine. Wir, Clotilde und ich, verfolgten einander zwischen den Bäumen, d.h. hinter den Fallen der Bettvorhänge. Das Zimmer entschwand unsern Augen und wir befanden uns beim Einbruche der Nacht wirklich in einer dunkeln Landschaft. Man rief uns zu Tisch, aber wir hörten nicht — endlich kam meine Mutter und nahm mich auf den Arm, um mich an den Tisch zu tragen, und ich erinnere mich noch immer meines Staunens, als ich die Lichter, den Tisch und alle wirklichen Gegenstände erblickte, die mich umgaben. Ich hatte eine vollständige Vision gehabt, und es that mir weh, so plötzlich herausgerissen zu werden. — Zuweilen, wenn ich in Chaillot war, glaubte ich in Paris zu sein, und umgekehrt; und es kostete mich oft eine Anstrengung, mich zu überzeugen, wo ich mich befand, und meine Tochter war als Kind derselben Sinnentäuschung ausgesetzt.
Ich glaube nicht, daß ich seit 1808 in Chaillot gewesen bin, denn nach der spanischen Reise, bis zu der Zeit, wo mein Onkel sein kleines Besitzthum an den Staat verkaufte, weil es sich auf dem Platze befand, der für den Palast des Königs von Rom bestimmt war, habe ich Nohant nicht verlassen. Aber mag ich mich täuschen oder nicht, ich will hier einfügen, was ich über dieses Haus zu sagen habe, welches damals ein wirkliches Landhaus war. Chaillot war zu jener Zeit nicht so gebaut, wie es jetzt ist.
Es war — wie ich jetzt weiß,da mir die Gegenstände, die mir im Gedächtniß geblieben sind, in ihrem wahren Werthe erscheinen — die bescheidenste Wohnung der Welt, aber in meinem damaligen Alter schien sie mir ein Paradies zu sein. Ich würde den Plan des Hauses und Gartens geben können, so genau habe ich noch Alles in der Erinnerung. Der Garten besonders war für mich ein Ort der Wonne, denn es war der einzige, den ich kannte. Meine Mutter, die, was man damals auch meiner Großmutter von ihr sagte, in einer Beschränkung lebte, die an Armuth grenzte und eine Sparsamkeit und einen häuslichen Fleiß zeigte, die einer Frau des Volkes würdig waren, führte mich nicht in die Tuilerien, um unsere Toilette zur Schau zu stellen, denn wir hatten keine, und um mich beim Spiel mit Reifen und Schnur unter den Augen der Laffen in der Ziererei zu üben. Wir verließen unsere traurige Zurückgezogenheit nur, um zuweilen das Theater zu besuchen, das meine Mutter außerordentlich liebte und öfter noch, um nach Chaillot zu gehen, wo wir immer mit Freudengeschrei empfangen wurden. Die Fußpartie und das Passiren der Dampfmaschine war mir zwar zuwider, aber kaum befand ich mich in dem Garten, so glaubte ich auf einer der Zauber-Inseln meiner Märchen zu sein, Clotilde, die sich dort den ganzen Tag in Sonnenschein aufhalten durfte, war frischer und fröhlicher als ich, und sie machte die Honneurs ihres Eden mit der Gutmüthigkeit und ungezwungenen Heiterkeit, die ihr immer eigen geblieben sind, Sie war jedenfalls die Beste von uns Beiden; sie war gesünder und weniger launenhaft als ich, und ich betete sie an, obwohl ich mir oft Ausfälle gegen sie erlaubte, auf die sie mit Spöttereien antwortete, die mich verdrossen. Sie verdrehte zum Beispiel, wenn sie unzufrieden mit mir war, meinen Namen Aurora und nannte mich „Horreur“, eine Beleidigung, die mich außer mir bringen konnte. Aber wie sollte ich lange zürnen bei dieser grünen Hagebuchenhecke, bei dieser mit Blumentöpfen eingefaßten Terrasse? Dort habe ich auch die ersten „Fäden der Jungfrau“ gesehen, die weiß und glänzend in der Herbstsonne umherflogen. Meine Schwester war an tiefem Tage bei uns und erklärte uns mit weiser Miene, daß die Jungfrau selbst diese Faden auf ihrer Elfenbeinspindel zu spinnen pflegte; darum wagte ich nicht sie zu zerreißen, und machte mich ganz klein, um darunter durchzuschlüpfen.
Der Garten war ein längliches Viereck und in Wahrheit sehr klein, aber mir erschien er ungeheuer groß, obwohl ich ihn täglich wohl zweihundert Mal umkreiste. Er war nach alter Weise in regelmäßige Beete abgetheilt und enthielt Gemüse und Blumen, gewährte aber nicht die geringste Aussicht, da er ganz von Mauern umgeben war. Im Hintergründe befand sich eine mit Sand bestreute Terrasse, zu der einige steinerne Stufen führten und die an jeder Seite mit einer großen Vase von gebranntem Thon und von merkwürdig einfältiger Form verziert war. Und auf dieser Terrasse, die mir wie ein zauberhafter Ort erschien, wurden unsere großen Spiele: Schlacht, Flucht und Verfolgung vorgenommen.
In diesem Garten habe ich auch die ersten Schmetterlinge gesehen und große Sonnenblumen, die mir wenigstens hundert Fuß hoch schienen. Eines Tages wurden wir in unsern Spielen durch einen großen Lärm unterbrochen. Man rief: „Es lebe der Kaiser!“ man ging eilig vorüber, entfernte sich und das Rufen dauerte fort. Der Kaiser kam wirklich in der Ferne vorüber: wir hörten den Trab der Pferde und die Bewegung der Menge. Leider konnten wir nicht durch die Mauer sehen; aber in meiner Einbildung war es wunderschön, und wir schrien aus Leibeskräften und von sympathetischer Begeisterung erregt: „Es lebe der Kaiser!“
Wußten wir, was der Kaiser war? ich kann mich nicht mehr darauf besinnen; aber es ist wahrscheinlich, daß wir unaufhörlich von ihm sprechen hörten. Kurz nachher machte ich mir auch einen klaren Begriff von ihm; ganz genau kann ich die Zeit nicht angeben, aber es mußte wohl zu Ende des Jahres 1807 sein.
Er hielt eine Revue auf dem Boulevard und war nicht weit von der Magdalenenkirche, als es meiner Mutter und Pierret gelang, bis zu den Soldaten vorzudringen. Pierret erhob mich in seinen Armen über die Tschacko's, damit ich etwas sehen sollte; dieser Gegenstand, der sich über die Soldatenreihen erhob, zog die Augen des Kaisers unwillkürlich an, und meine Mutter rief mir zu: „Er hat Dich angesehen! vergiß es nie, es wird Dir Glück bringen!“ Ich glaube, der Kaiser hörte diese naiven Worte, denn er sah mich nun wirklich an, und es ist mir, als sähe ich noch jetzt eine Art von Lächeln über das bleiche Antlitz streifen, dessen kalte Strenge mich anfangs erschreckte — und niemals werde ich sein Gesicht vergessen und vor Allem nicht den Ausdruck seines Blickes, den keines seiner Bilder wiederzugeben vermag. Der Kaiser war zu jener Zeit ziemlich stark und bleich; er trug einen Ueberrock über der Uniform, aber ich weiß nicht mehr, ob es ein grauer war. Im Augenblick, als ich ihn sah, hielt er den Hut in der Hand, und ich wurde gleichsam magnetisirt durch seinen klaren, im ersten Momente so harten Blick, der plötzlich sanft und wohlwollend wurde. Ich habe ihn später noch mehrere Male gesehen, aber nur undeutlich, weil er weiter entfernt war und schnell vorüberging.
Auch den König von Rom habe ich als Kind in den Armen seiner Amme gesehen. Sie stand mit ihm an einem Fenster der Tuilerien, und er lachte die Vorübergehenden an. Als er mich erblickte, lachte er noch freundlicher, — denn Kinder üben immer sympathetischen Einfluß auf einander aus — und warf mir ein großes Bonbon zu, das er in seiner kleinen Hand hielt. Meine Mutter wollte dasselbe aufnehmen, um es mir zu geben, aber die Schildwache, die das Fenster bewachte, wollte ihr nicht gestatten, die bezeichnete Linie zu überschreiten, obwohl die Wärterin durch Zeichen zu verstehen gab, daß das Bonbon für mich wäre, und daß man es mir geben sollte. Wahrscheinlich stand davon nichts im Befehl der Schildwache, und so blieb sie taub gegen unsere Vorstellungen. Ich war durch dies Benehmen sehr verletzt und fragte meine Mutter im Weitergehen, warum dieser Soldat so unhöflich wäre. Sie erklärte mir, daß er dies kostbare Kind zu behüten hätte, und daß es seine Pflicht wäre, jede Annäherung zu vermeiden, weil schlecht gesinnte Menschen ihm Böses zufügen könnten. Der Gedanke, daß irgend Jemand im Stande wäre, einem Kinde Böses zu thun, erschien mir fürchterlich; aber ich war damals neun oder zehn Jahre und der kleine König höchstens zwei Jahre alt — so daß diese Anekdote eine Abschweifung ist.
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