„Die schöne Jahreszeit ist nun wieder gekommen! wie lebst Du, meine Geliebte? Ach, mit wie traurigen und entzückenden Erinnerungen erfüllt mich der Anblick einer schönen Wiese oder eines grünenden Waldes. Welche köstlichen Augenblicke verlebte ich vergangenes Jahr mit Dir an den Ufern des Rheines. Ihr kurzen Augenblicke des Glückes, von wie viel Sehnsuchtsschmerzen seid ihr gefolgt! Bei Marienwerder bin ich allein am Ufer der Weichsel spazieren gegangen, meinem Kummer hingegeben, mit einem Herzen, das von Traurigkeit und Unruhe zerrissen war. In der Natur sah ich Alles wieder aufleben, aber mein Herz war dem Gefühl des Glückes verschlossen. Ich befand mich an einem Orte, der demjenigen in der Nähe von Coblenz gleich war, wo Du Dich so fürchtetest, wo wir uns auf das Gras setzten und wo ich Dich in meine Arme schloß, um Dich zu beruhigen. Ich fühlte mich von der Erinnerung an Dich durchglüht, ich irrte wie ein Wahnsinniger umher, ich suchte Dich, ich rief Dich umsonst. Endlich habe ich mich niedergesetzt, von Schmerz ermüdet und zerschlagen, und statt meiner theuern Sophie habe ich an diesen traurigen Ufern nur Einsamkeit, Unruhe und Eifersucht gefunden. Ja, Eifersucht, ich muß es gestehen! auch ich werde in der Ferne von Gespenstern umlagert; aber ich sage Dir nichts davon, weil ich fürchte, Dich zu erzürnen. Ach! wenn die Anstrengung der Märsche und der Lärm der Schlachten einen Augenblick für mich aufhören, werde ich tausend Qualen zur Beute. Alle Furien der Leidenschaft bestürmen mich; ich empfinde alle Beängstigungen, alle Schwachheiten der Liebe. Oh! gewiß, mein theures Weib, ich liebe Dich, wie am ersten Tage! Möchten unsere Kinder Dich unaufhörlich an mich erinnern; gehe nur mit ihnen spazieren, laß Dich durch sie zu jeder Stunde an unsre Schwüre und an unsern Bund erinnern. Sprich auch von mir mit ihnen; ich lebe ja nur für sie, für Dich und für meine Mutter! —
„Der Ort, den wir einnehmen und der Frühling erinnern mich an Fayel. Aber ach! wie fern ist Boulogne — das traurige Schloß überläßt mich ganz meiner Sehnsucht. Als ich ankam, habe ich es ganz leer gefunden; Alles war mit dem Prinzen nach Elbing gegangen, wo die große Revue des Kaisers stattgefunden hat. Der Prinz hatte den Oberbefehl und hat mich schön herumgejagt. Lebe wohl, theures Weib; man spricht viel vom Frieden, nichts verkündigt die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten. Ach! wann werde ich bei Dir sein! ich drücke Dich und unsre Kinder tausendmal in meine Arme. Denke an Deinen Gatten, Deinen Geliebten.
Moritz.“
„Wie liebenswürdig von meiner Aurora, daß sie an mich denkt, und daß sie es Dir schon zu sagen weiß.“
Im Monat Juni desselben Jahres begleitete mein Vater den Prinzen Murat, der seinestheils in Napoleon's Gefolge war, als dieser sich zu der berühmten Conferenz auf dem Floße von Tilsit begab. Im Juli kehrte mein Vater nach Frankreich zurück, begab sich aber mit Murat und dem Kaiser, der neun Könige und neun Fürsten ernennen wollte, bald darauf nach Italien.
Venedig, 28. Sept. 1807.
„Nachdem ich allen Abgründen von Savoyen und vom Montcenis entgangen war, bin ich in einen morastigen Graben des Piémont gefallen; es war die schwärzeste, widerwärtigste Nacht und noch dazu inmitten eines Holzes, das als Mördergrube berüchtigt ist, und wo am Tage zuvor ein Kaufmann aus Turin erschlagen und beraubt worden war. Mit dem Säbel in der einen, die Pistole in der andern Hand haben wir Wache gestanden, bis man uns mit verstärkten Kräften zu Hülfe gekommen ist. Bald nachher fehlten uns die Pferde zum Weiterkommen und endlich wurden die Wege entsetzlich schlecht. Als wir an das Ufer des Meeres kamen, hat sich der Wind gegen uns erhoben, so daß wir in den Lagunen beinahe Schiffbruch gelitten hätten. Endlich sind wir nun in dem schönen Venedig, wo ich noch nichts, als sehr häßliches Wasser in den Straßen gesehen, und nichts als sehr schlechten Wein an Duroc's Tische getrunken habe. Seit ich Paris verließ, ist dies die erste Nacht, die ich in einem Bette zubringen werde. Der Kaiser bleibt nur acht Tage hier. Ich habe nicht Zeit, Dir mehr zu sagen. Ich liebe Dich, Du bist mein Leben, meine Seele, mein Gott, mein Alles!“
Aus Mailand, den 11. December 1807.
„Diese Ueberschrift, meine Geliebte, muß Dir sagen, daß ich womöglich noch einmal so viel als sonst an Dich denke, da ich an einem Orte bin, der von den Erinnerungen unserer Liebe erfüllt ist, erfüllt von meinen Schmerzen, meinen Qualen und meinen Freuden. Ach! mit welchen Gefühlen habe ich die Gärten in der Nähe des Corso durchstreift. Nicht alle diese Gefühle waren angenehm, aber was sie alle beherrscht, ist meine Liebe für Dich, meine Ungeduld, in Deine Arme zurückzukehren. Zu Ende des Monats sind wir ganz gewiß wieder in Paris. Es ist unmöglich, daß Du Dich mehr langweilst als ich; ich stecke in Festen und Ceremonien bis über die Ohren. Alle meine Kameraden sagen dasselbe, und doch haben sie nicht so ernste Gründe, das Ende aller dieser Komödien zu wünschen, als ich. Für mich wird die Luft durch diese Größe, diese Würde, diese Steifheit, diese Langeweile ordentlich schwer. Der Prinz ist krank und aus diesem Grunde werden wir hoffentlich noch vor der Rückkehr des Kaisers abreisen, und ich werde Dich bald wiedersehen — Dich, meinen Engel, meinen Dämon und meine Gottheit. Wenn ich in Turin keinen Brief von Dir finde, werde ich Dich an den kleinen Ohren zupfen. Lebe wohl und tausend zärtliche Küsse für Dich, für Aurora und meine Mutter. Ich schreibe Dir aus Turin.“
Das Leben meines Vaters, dieses reine, edle Leben nähert sich seinem Ende. Ich werde von ihm nur noch eine fürchterliche Katastrophe zu erzählen haben. Von jetzt an werde ich durch meine eigenen Erinnerungen geleitet, und da ich nicht die Kühnheit habe, die Geschichte meiner Zeit außerhalb der Grenzen meiner eigenen Lebensgeschichte zu erzählen, werde ich von dem Feldzuge in Spanien nur das berichten, was ich mit eignen Augen davon gesehen habe — und zwar zu einer Zeit gesehen, als die äußern Dinge mir noch fremd und unverständlich waren, aber doch wie geheimnißvolle Bilder meine Aufmerksamkeit erregten. Man erlaube mir, etwas zurückzugehen und mein Leben in dem Augenblicke wieder aufzunehmen, wo ich begann, desselben bewußt zu werden.
Zweite Abteilung.
22. Kapitel.
Die ersten Erinnerungen. — Die ersten Gebete. — Das silberne Ei der Kinder. — Der Vater Noël. — Das System J. J. Rousseau's. — Das Lorbeergehölz. — Polichinelle und die Straßenlaterne. — Die Romane zwischen vier Stühlen. — Militärische Spiele. — Chaillot. — Clotilde. — Der Kaiser. — Die Schmetterlinge und der Sohn der Jungfrau. — Der König von Rom. — Das Flaschenet. —
Man muß wohl glauben, daß das Leben an und für sich etwas Schönes ist, da der Beginn desselben so lieblich und die Jugend eine so glückliche Zeit ist. Es giebt Keinen unter uns, dem diese Zeit nicht wie ein goldner, längst entschwundener Traum erschiene, mit dem Nichts im späteren Leben sich vergleichen läßt. Ich sage ein Traum, denn wenn wir in diese ersten Lebensjahre zurückdenken, wo unsere Erinnerung noch unbestimmt umherschweift und nur einzelne Eindrücke aus der Unsicherheit des Ganzen in uns zurückbleiben, so wissen wir nicht zu sagen, warum diese Lichtblicke, die Andern unbedeutend erscheinen, auf uns selbst einen so mächtigen Zauber ausüben.
Das Gedächtniß ist eine Fähigkeit, die sich bei jedem andern Individuum anders zeigt, und die, da sie bei Keinem vollständig ist, tausend Inconsequenzen hat. Bei mir, wie bei vielen andern Menschen ist sie in gewisser Beziehung außerordentlich entwickelt und in anderer außergewöhnlich schwach. Ich erinnere mich nur mit Anstrengung der kleinen Begebenheiten vom vergangenen Tage und den größten Theil der Einzelnheiten vergesse ich für immer — aber wenn ich den Blick weiter zurückwende, so finde ich Erinnerungen an ein Alter, in das die meisten Menschen nicht zurückzudenken vermögen. Hängt dies nun nothwendig von der Natur dieser Fähigkeiten in mir ab, oder von einer gewissen Frühreife des Selbstbewußtseins?
Читать дальше