„Mein Kind, bleibe immer gut, so wird der liebe Gott dir auf deinen Wegen beistehen und ich werde dich vom Himmel aus mit meinen guten Wünschen begleiten.“
Dann schloss sie die Augen und atmete nicht mehr.
Susanne Hauser hatte unter diesem Verlust sehr zu leiden und trauerte lange um ihre Mutter, jeden Tag fuhr sie auf den Friedhof, betete und pflegte das Grab, selbst im strengen Winter war sie täglich dort.
Ihr Vater, Erwin Hauser, hingegen hatte sich entschlossen, nach einem Trauerjahr nach einer neuen Frau zu sehen, denn er war mit Mitte vierzig nicht bereit, die kommenden Jahre allein zu leben. Als moderner und zupackender Mensch beteiligte er sich an einer Partnervermittlungsbörse und landete nach einiger Zeit einen Treffer, eine gut aussehende Frau mit zwei Töchtern (siebzehn und zwanzig Jahre alt) zog ihn in ihren Bann und er arrangierte eine Begegnung in einem Kaffee. Eigentlich war er nicht sonderlich glücklich darüber, dass die beiden Mädchen in sein Haus kommen sollten aber Rita Brosius, die Frau, verfügte über so ausgefeilte sexuelle Verführungskünste, dass er ihr unheimlich schnell verfiel und seine Bedenken in den Hintergrund traten. Da Rita ihm lautstark einen Höhepunkt nach dem anderen vorgaukelte fühlte er sich so als ganzer Kerl, was seine Befürchtungen über mögliche Differenzen zwischen den Frauen endgültig zerstauben ließen.
Leider stellte sich schnell heraus, dass Ulrike und Tanja, die Töchter der Frau, zwar ausgesprochen nett anzusehen waren aber über Charaktereigenschaften verfügten, die den häuslichen Frieden bald in Frage stellen sollten. Beide waren durch ihre Mutter (da ihr Vater bald nach der Geburt der Mädchen das Weite gesucht hatte) sehr verzogen worden und damit auch allen Tätigkeiten im Haushalt entwöhnt. Diese schoben sie nun alle auf Susanne mit dem Argument ab, dass sie durch ihre Jobs als Kosmetikerin und Bekleidungsverkäuferin nicht in der Lage wären sich mit Kochen, Abwaschen, Wäsche waschen und anderen Dingen zu beschäftigen ohne ihre Hände (als wichtiges Arbeitsmittel) zu schädigen. Susanne Hauser sah in den Augen ihres Vaters die stumme Bitte sich zu fügen (weil er von den sexuellen Verführungskünsten von Rita Brosius einfach nicht genug bekommen konnte), so dass die junge Frau die von den anderen verschmähten Arbeiten übernehmen musste. Da sie dies neben ihrer Arbeit als kaufmännische Angestellte tat kam sie locker auf eine 60-Stunden-Woche. Ihre Stiefschwestern beließen es allerdings nicht dabei sich überall zu drücken, sondern verhöhnten sie auch noch bei allen Gelegenheiten und gingen soweit, ihr eines Tages, als sie Linsen (süß sauer) kochen wollte, diese in eine Schüssel mit Mehl schütteten (die sie zum Andicken des Eintopfs benötigte) so dass sie diese mühsam wieder herauslesen musste, was sie enorm viel Zeit kostete. Nun war durch den Einzug der anderen drei Frauen der Platz in den Schlafräumen knapp geworden und Susanne musste abends, wenn sie müde von der vielen Hausarbeit war (für fünf Personen fällt ja einiges an), mit einem Campingbett vorlieb nehmen, das in der geräumigen Küche aufgeschlagen wurde. Da die anderen Frauen die Angewohnheit hatten, bis in die Puppen fern zu sehen, und sich das eine und andere Weinchen zu genehmigen und sich nach Mitternacht lautstark durch das Haus bewegten, kam hinzu, dass Susanne auch nicht ausreichend Schlaf bekam. Ihr Vater nahm alles schweigend zur Kenntnis, seine erste Frau war eher spröde (und fromm, vielleicht deswegen) gewesen und Rita Brosius war eine Meisterin darin, ihn regelmäßig zu verführen, so dass er jedes Mal den Verstand verlor und die Dinge so laufen ließ. Dass die beiden bösartigen Mädchen seine leibliche Tochter auch noch „Puttelchen“ nannten spielte da schon keine Rolle mehr.
Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören; erst sachte dann immer stärker, dann war’s ein bißchen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihn hin. “Heda!” rief er, “noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.” Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte und fiel die andere Hälfte auch herab. “Wart,” sprach er, “ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.” Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und saß da ein greulicher Mann auf seinem Platz. “So haben wir nicht gewettet,” sprach der Junge, “ die Bank ist mein.” Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich’s nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen Platz. Da fielen noch mehr Männer herab, einer nach dem andern, die holten neun Totenbeine und zwei Totenköpfe, setzten auf und spielten Kegel. Der Junge bekam auch Lust und fragte: “Hört ihr, kann ich mit sein?” - “Ja, wenn du Geld hast.” - “Geld genug,” antwortete er, “aber eure Kugeln sind nicht recht rund.” Da nahm er die Totenköpfe, setzte sie in die Drehbank und drehte sie rund. “So, jetzt werden sie besser schüppeln,” sprach er, “heida! nun geht’s lustig!” Er spielte mit und verlor etwas von seinem Geld, als es aber zwölf schlug, war alles vor seinen Augen verschwunden. (24)
„Wo soll das sein Opa“ fragte Olaf Furcht seinen Großvater.
„Vielleicht drei Kilometer weg von hier“ antwortete Paul Furcht „aber überleg’ es dir, man erzählt sich ziemlich schlimme Dinge von diesen Typen.“
„Wir werden sehen“ sagte Olaf, zog sich an und ging durch den Wald zum angegebenen Ort. Laute Musik wies ihn den Weg, als er sich der Stelle näherte zeigten ihm die Motorräder, dass er richtig war.
Das Gebäude sah aus wie ein langgestreckter Schuppen und aus seinem Inneren drang ein fortlaufendes Poltern. Olaf schaute durch eines der kleinen Fenster und erblickte bärtige und in Leder gehüllte Männer, die kegelten. Das Besondere an dem Spiel war, dass sie Totenbeine als Kegel aufgestellt hatten und die Kugeln wie Totenköpfe aussahen, die allerdings nicht sonderlich gut rollten. Er suchte den Eingang und trat ein. Die Männer sahen auf und einer sagte herrisch:
„Verpiss’ dich, du Rotzer.“
„Ich habe gehört, dass ihr um Geld spielt, da würde ich gern mitmachen“ war Olafs Antwort.
„Du halbe Portion, du kannst doch nicht mal die Kugel anheben“ höhnte einer „los zeig mal, was du kannst.“
Olaf warf, zehn Kegel fielen um und die Männer sahen ihn erstaunt an. Plötzlich kam einer im Rollstuhl heran (die anderen machten ehrfürchtig Platz und schauten betreten weg), dessen Beine nicht mehr vorhanden waren und der deswegen wie ein halber Mann wirkte. Das war schon kein schöner Anblick aber noch erträglich, sein Gesicht war allerdings das eines Monsters. Dem Mann fehlte ein Auge (aber er trug keine Augenklappe), beide Ohrmuscheln war verschwunden, die Nase zur Hälfte, und die linke Seite seines Schädels großflächig verbrannt, in seinem Mund gab es nur noch wenige und schief sitzende bräunliche Zähne. Olaf schaute ihn unbeeindruckt an und der andere schien aus der Fassung zu geraten.
„Hast du gar keinen Schiss, mich anzukucken“ nuschelte er.
„Nö, warum“ antwortete der junge Mann „du siehst aus, als wärst du mal mit deiner schweren Mühle zu schnell in die Kurve gegangen oder hast zu waghalsig überholt, Abflug und Rettungsdienst.“
„Stimmt“ erwiderte der andere verblüfft „woher weißt du das?“
„Sieht man doch, aber ich kenne Schlimmeres, es gibt da paar ordentliche Videos aber alles nichts Welt bewegendes, ziemlich langweilig.“
„Los, kegele jetzt mit mir“ legte der Versehrte fest und griff mit der rechten Hand (jetzt sah Olaf, dass er auch noch den anderen Arm eingebüßt hatte) zu einem der Totenköpfe, holte Schwung und ließ die Kugel los, er schaffte sieben Kegel.
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