Als aber mehr als ein Monat verstrich und von Kmicic keine Kunde kam, begannen die Laudaer freier zu atmen. Die Adligen, die sich in Wodokty aufgehalten, kehrten in ihre Gehöfte zurück.
Eines Tages erschien bei Panna Alexandra ein Bote mit einem Brief von Kmicic. Er schrieb:
»Vielgeliebte, teure Alexandra! Jedem Wesen auf der Welt ist es gegeben, sich für erlittene Unbill zu rächen. Und wenn ich diese ganze Laudaer Adelsbrut niedergemetzelt habe, so weiß Gott, daß ich es nicht aus Blutgier tat, sondern weil sie meine Kameraden, den göttlichen und menschlichen Gesetzen zum Trotz, ohne Rücksicht auf ihre Jugend und Abstammung so mitleidlos hingeschlachtet haben. Nicht wie Ritter, selbst Türken und Kosaken hätten es so nicht getan. Wer will sich darüber wundern, daß mich bei ihrem Anblick ein unmenschlicher Zorn erfaßte? Das Blut der in der Blüte ihrer Jahre und ihres Ruhmes hingemordeten Offiziere schrie zu mir und stärkte meinen Arm. Und dies alles in dem Augenblick, wo ich – ich rufe Gott zum Zeugen – wo ich Frieden mit der ganzen Laudaer Schlachta schließen, wo ich meine ganze Lebensweise nach Ihren Ratschlägen ändern wollte. Sie, die Sie willig meinen Anklägern Ihr Ohr leihen, weisen Sie meine Verteidigung nicht zurück und urteilen Sie gerecht! Viele der Hingemordeten tun mir jetzt leid, denn auch Unschuldige werden durch mich ihr Leben eingebüßt haben. Aber ein Soldat, der Bruderblut rächt, kann nicht Unschuldige von Schuldigen unterscheiden; er nimmt auf nichts Rücksicht. Gebe Gott, daß mein Ansehen durch dies alles nicht Schaden in Ihren Augen gelitten hat. Schon jetzt, nachdem ich Sie verloren habe, gehe ich mit Verzweiflung in der Seele schlafen, und mit Verzweiflung erwache ich. – Mögen mich, den Unglücklichen, die Gerichte verurteilen, möge der Landtag das Urteil bestätigen, möge mein Name mit Schimpf und Schande überhäuft werden, möge sich die Erde unter meinen Füßen öffnen, – ich will alles ruhig ertragen, – nur weisen Sie, um Gottes Barmherzigkeit willen, mich nicht aus Ihrem Herzen! Ich will alles tun, was Sie von mir verlangen. Ich werde Ihnen Lubicz abtreten, meine Güter in Orsza, ich habe viele Rubel Kriegsbeute in Wäldern vergraben, auch die will ich Ihnen geben, nur sprechen Sie – sagen Sie, daß Sie die Meine werden wollen, wie es der selige Großvater befiehlt. – Sie haben mein Leben gerettet, retten Sie auch meine Seele. – Helfen Sie mir, mein Verbrechen gutzumachen, helfen Sie mir, mein Leben zum Guten zu führen! – Wenn Sie sich von mir abwenden, wird mich auch Gott verlassen. Und die Verzweiflung wird mich zu noch schlechteren Taten treiben!« – –
Wer kann es unternehmen zu erzählen, wie das Mitleid in Alexandras Seele zur Verteidigung Pan Andreas' zu sprechen begann!
Die Liebe gleicht dem Blumensamen, ein Wind führt sie her, ein Wind kann sie vertreiben. Aber hat sie in einem Herzen erst Wurzel geschlagen, so kann man sie nicht herausreißen, sie stirbt mit dem Herzen zusammen. Panna Billewicz gehörte zu denen, die ihr Herz nicht teilen können. – Sie weinte beim Lesen von Kmicic' Brief; aber sie konnte nicht mit einem Male alles verzeihen, alles vergessen. Kmicic' Reue war ohne Zweifel aufrichtig; aber seine Seele blieb ebenso wild wie früher. Sein durch nichts gezügelter Charakter konnte sich so schnell nicht ändern, daß sie ohne Bedenken der Zukunft entgegensehen konnte. Nicht Worte, sondern Taten mußte sie von Pan Andreas fordern. Und dann, wie konnte sie zu einem Menschen sagen, der ein ganzes Dorf mit Blut getränkt, dessen Name an den Ufern der Lauda mit Abscheu ausgesprochen wurde: »Kehre zurück, für die Leichen, die Feuersbrunst, die Tränen und all das Blut der Menschen gebe ich dir meine Liebe und mich selbst?!« –
Und sie schrieb ihm folgendes:
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich von Ihnen nichts wissen will, daß ich Sie nicht kenne. Ich werde mein Wort halten, auch wenn mein Herz darüber brechen sollte. Das, was Sie getan haben, kann weder mit Geld noch mit Gütern gut gemacht werden, denn die Toten können Sie dadurch nicht lebendig machen. – Mögen die Edelleute, die Sie gemordet und gebrandschatzt haben, Ihnen verzeihen, so werde auch ich Ihnen verzeihen. Wenn diese für Sie eintreten, so werde auch ich für Sie eintreten. Da aber dies nie geschehen kann, so suchen Sie Ihr Glück irgendwo anders. Am allerersten aber suchen Sie Gottes Verzeihung; sie ist wichtiger als die der Menschen.« –
Und wieder flossen Tage und Wochen dahin, ohne eine Nachricht von Kmicic zu bringen; aber andere Nachrichten kamen, eine schlechter als die andere. Das Moskowiter Heer Chowanskis überschwemmte das Land weiter und weiter. Und die Republik, auf dem höchsten Punkt ihrer Schwäche angelangt, war nicht imstande der feindlichen Macht Widerstand entgegenzusetzen.
Es war ein ungewöhnlich strenger Winter. Obgleich man im April war, lag der Schnee noch dicht auf den Feldern und in den Wäldern. Die vorjährigen Erntevorräte gingen allerorten zu Ende, und der Bruder des Krieges, der Hunger, begann im Reiche zu wüten. Auf den Feldern und den Wegen stieß man auf Leichen von Menschen, die von Wölfen zerrissen waren, die rudelweise bis dicht an die Dörfer und Gehöfte kamen. Ihr Geheul mischte sich mit dem Hilfegeschrei der Menschen. Tausende von Holzhaufen wurden auf den Feldern angezündet, an denen unglückliche Obdachlose ihre erstarrten Glieder wärmten. Eine unerklärliche Furcht fesselte alle Gemüter. Viele behaupteten, daß das unerhörte Unglück des Landes eine unmittelbare Beziehung zu dem Namen des Königs habe. Man deutete die Buchstaben I. C. R., die auf den Münzen geprägt waren, nicht mit den Worten Johannes Casimirus Rex, sondern mit »Initium Calamitatis Regni«.
Pan Wolodyjowski, der berühmte Soldat, wohnte noch immer in Pacunele bei Pakosz Gasztowt. Man überhäufte den jungen Oberst von allen Seiten mit Beweisen der größten Achtung. Man sandte ihm Fische, Wild, Pilze, Heu für seine Pferde, Teer für seine Wagen, kurz alles, was er irgend brauchen konnte, damit es ihm und seiner Dienerschaft an nichts fehle.
Nach Kmicic' Niederlage und Flucht faßte die in Wolodyjowski vernarrte Laudaer Schlachta den Plan, ihn mit Alexandra zu vermählen. Die älteren Herren fuhren daher zu Wolodyjowski, der, ohne viel zu überlegen, sich mit allem einverstanden erklärte. Dann teilten sie auch Alexandra ihren Beschluß mit, die ihrerseits, ohne zu überlegen, mit nichts einverstanden war.
»Über Lubicz konnte nur der Verstorbene verfügen,« erklärte sie, »und das Gut kann dem Pan Kmicic nur auf Gerichtsbeschluß weggenommen werden. Was meine Verheiratung betrifft, so bitte ich Sie, davon überhaupt nicht zu reden. Ich habe jetzt zu viel Kummer, als daß ich an Ähnliches denken mag. Jenen habe ich aus meinem Herzen verbannt, und einen anderen, wer es auch sein mag, bringt nicht her zu mir: Ich werde ihn nicht heiraten.«
Bei dieser entschlossenen Ablehnung war nichts zu machen, und traurig kehrten die Edelleute zurück. Pan Wolodyjowski war nur wenig betrübt bei dieser Nachricht, und die drei jüngeren Töchter Gasztowts gar nicht. Es waren dies große, kräftige, breitschulterige Mädchen mit frischen Farben und blondem Flachshaar. Der Organist aus Mitruni hatte sie das Lesen und Singen von Kirchenliedern gelehrt; die älteste spielte sogar die Laute.
An den langen Winterabenden pflegte Pan Wolodyjowski mit den drei Töchtern Gasztowts am Kamin zusammen zu sitzen. Die Mädchen spannen oder schleißten Federn, und Wolodyjowski erzählte ihnen von den Kriegen, an denen er teilgenommen, und von den Wunderdingen, die er in den Schlössern der Magnaten gesehen hatte.
Einmal, als Pan Michail Wolodyjowski sich über die Schönheiten des königlichen Schlosses zu Warschau verbreitete, vernahm man im Flur heftigen Lärm.
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