Seine neuste Strategie ist völlig vernichtend. Sie besteht darin, mich nicht nur jovial lächelnd vorzulassen, sondern zudem ein extrem langwierig zuzubereitendes Gericht zu ordern. Natürlich spricht daraus eine schwer erträgliche Hybris, und die kommt ja stets vor dem Fall. Leider verfügt seine Hybris über zu wenig Allgemeinbildung, um dieses Sprichwort zu kennen, denn bereits Minuten später schaufelt er mit schmatzendem Grinsen und grundzufrieden Unsagbares in sich hinein, während ich weiterhin grollend auf das eigentlich sofort lieferbare Fertiggericht warte. Ergebnis: 25 Minuten längeres Mittagsmahlmümmeln.
Was soll ich bloß tun? Härter trainieren, vielleicht zu Hause? Doch Ms. Columbo ist definitiv keine Gegnerin. Was aber sonst? Nicht mehr mit dem Franken essen gehen? Auch keine Lösung. Vielleicht mische ich ihm demnächst mal Valium ins Vierländer Apfelkompott; dann gäbe es die vage Chance, mich auf zehn Minuten Rückstand zu verbessern.
Natürlich sind die extremen Methoden der Nahrungszufuhr das auffälligste Attribut des Franken. Doch er trägt eine weitere schwere Bürde mit sich herum, die ihn scharf trennt vom Rest der Zivilisation, zumindest der norddeutschen. Dabei handelt es sich um seine ungebrochen fränkisch eingetrübte Sprechweise. Während es den Hamburgern mit einfachen phonetischen Methoden im Lauf der Jahre gelang, mir die hessische Sprachfärbung weitgehend auszuwaschen, scheiterten sie damit beim Franken auf ganzer Linie.
Beweise dafür liefert das Faktotum täglich. Neulich standen wir mittags sinnierend vor einem Fressstand im Mercado, und der Franke orderte eine „Greeb-Pfanne“. Wir schauten ihn verwundert an, die Verkäuferin tat es uns gleich. Eine „Greeb-Pfanne“? Was sollte das sein – eine fränkische Spezialität? Doch wie konnte der Franke sicher sein, hier, im Reich des Labskaus und Frischfischs, einen Koch zu finden, der die Kunst der Zubereitung dieser exotischen Rarität beherrschte?
Alles war natürlich ganz anders, und zwar viel profaner. Allerdings konnte das Rätsel nur mithilfe einer Übersetzungstafel gelöst werden, die offenbar speziell für solche Fälle überm Tresen hing und als „Mittagskarte“ deklariert war. Eins der offerierten Gerichte war nämlich eine Crêpe-Pfanne …
Wir lachten schallend, wovon der dickfellige Franke sich natürlich nicht beeindrucken ließ. In der Regel wird die Öffentlichkeit übrigens selten Zeuge seines ethnologisch bedingten Handicaps. Wir hingegen, seine Bürokollegen, haben öfter das Vergnügen. Wie vor einiger Zeit, als der Exkatholik aus bis heute ungeklärten Gründen anfing, den ödesten Christenhit aller Zeiten vor sich hin zu singen.
Die meisten dieser von Vollsocken wie Manfred Siebald komponierten Langweiler sind schon beim ersten Anhören in der Lage, selbst den Gläubigsten am ewigen Leben zweifeln zu lassen. Ein möglicher Kirchenaustritt gewinnt augenblicks an Strahlkraft. Die ewige Nummer eins dieser Charts des Schreckens ist ohne Zweifel das sich seit Jahrzehnten lappig und müde durch Jugend- und Gebetskreise schleppende, offenbar unkaputtbare und selbst von den Ärzten mal gecoverte „Danke für diesen guten Morgen“.
Melodie und Refrain müssen nach dem Willen ihres unseligen Schöpfers Martin Gotthard Schneider auf einlullend leiernde Weise dahergebrummelt werden. Warum dieser tote Strumpf von einem Lied trotzdem nicht längst als glaubenszersetzend ad acta gelegt wurde, wissen die Götter bzw. nur einer davon.
Jedenfalls überlebte das Stück, und der Franke hatte Gelegenheit, es an besagtem Morgen vor sich hin zu summen. Aber er tat es natürlich auf seine Art. „Dang’ge für diesen guden Morgen“, sang er, „dang’ge für diesen guden Tach …“
Es war, ganz ehrlich, die absolut geilste Coverversion, die ich je davon gehört habe.
Dang’ge, Frang’ge.
Neulich bei der Aldi-Flanage faselte der Franke plötzlich etwas von einem „Karaoke-Sender“, und ich dachte sofort an eine Radiostation mit Instrumentalversionen gängiger Hits. Eine Horrorvorstellung, offen gesagt. Ich konnte mir auch nicht recht vorstellen, was der eigentlich für seinen zwar hoffnungslos verengten, doch akzeptablen Musikgeschmack (Giant Sand, Calexico, Prince, und das war’s) bekannte Franke an einem solchen Nullniveausender wohl finden könnte.
Wie immer aber war es optisch ganz anders, als es sich akustisch dargestellt hatte. Denn als ich mich umdrehte, stand der Mann vor einem großräumig verpackten HiFi-Gerät, welches in Großbuchstaben seine Funktionalität auf folgenden Punkt brachte: „Karaoke-Center“.
Warum falle ich immer wieder rein auf seine milieubedingten Zungenunfälle? Eigentlich müsste ich doch allmählich über ein eingebautes Übersetzungsprogramm verfügen, welches die verhunzten Silben, die tagtäglich aus des Franken Mund taumeln wie ein Schwarm betrunkener Dörrobstmotten, in verständliches Deutsch übersetzen. Das ist aber nicht der Fall.
Auch in meiner Abwesenheit hören die Unfälle nicht auf (warum auch?), wie mir der lebende Konsonantenverweichlicher unlängst berichtete. Diesmal stieß er allerdings an seine sprachlichen Grenzen, obwohl er sich sogar tapfer darum bemüht hatte, Weltläufigkeit zu simulieren. Wie so oft war die bedauernswerte Verkäuferin einer Konditorei im Mittelpunkt des Geschehens.
Die erstaunte Frau wurde konfrontiert mit folgender Frankenfrage: „Haben Sie Nuhgattgrosohngs?“ So weit, so viertelverständlich. Doch nicht das eigenwillig verfränkischte Französisch stieß bei der hanseatischen Verkäuferin auf Nichtbegreifen: Sie kannte das Produkt einfach nicht.
Schließlich klärte sich – mithilfe deskriptiver Annäherung und Gebärdensprache – die Sache auf. Hier in Hamburg nämlich heißt das Süßgebäck nicht Nougatcroissant, sondern angeblich Nusskipferl. Klingt zwar eher bayerisch, aber so erzählt’s der Franke. Und so verengt auch sein Musikgeschmack ist, so unverfälscht vermag er doch die kleinen Dramen seines Alltags wiederzugeben; deshalb will ich ihm mal glauben.
Selbst als wir vergangenes Wochenende in Berlin waren, gemahnte manches an das urige Redaktionsoriginal. Beispielsweise durchschritten wir schmunzelnd und seiner eingedenk eine gewisse Frankenstraße. Und wie hieß die Kneipe ebenda? Franken-Eck. Wir fühlten uns gleich wie zu Hause, obwohl dies in Berlin, während man an einen nach Hamburg exportierten Würzburger denken muss, recht schräg anmutet.
Die Kneipe hatte übrigens noch nicht auf, sonst hätten wir uns dort Kaltgetränke einverleibt und gegenseitig „Dang’ge!“ zugerufen. Nächstes Mal.
Über das Restaurant Tai-Pan („Sushi all you can eat!“ abends für laue 14,90) habe ich schon einmal berichtet, und zwar recht positiv. Damals gab es das Sushi aber auch noch mit Fisch …
Zwischen zwei WM-Spielen laufen Ms. Columbo, der Franke und ich dort wohlgemut auf. Doch nachdem wir eine Viertelstunde lang ratlos suchend auf die kreisenden Gemüsetellerchen, frittierten Hähnchenunterschenkel, Gurkenstücke in Reisröllchen und pappigen Dim Sums gestarrt haben, moniere ich bei der schüchternen deutschen Bedienung die erschütternde Fischarmut, die vermutlich exakt jener der Elbe bei Dresden in den 70er Jahren entspricht. Das sage ich zwar nicht explizit, lasse es aber mitschwingen.
Der Sushikoch, beschwichtigt die junge Frau mich daraufhin eilends, sei im Verborgenen – nämlich der Küche – bereits fleißig tätig, und bald würde der Kreisverkehr, so fuhr sie sinngemäß fort, nur so strotzen vor Köstlichkeiten maritimer Herkunft.
Nach weiteren fünf Minuten des traurigen Betrachtens fischloser Sushischälchen wende ich mich erneut an die zuständigen Instanzen, diesmal aber auf höherer Entscheidungsebene, der chinesischen. Der Mann lächelt ebenso peinlich berührt wie deeskalierend und versichert mir unter unablässigem Nicken die baldige, ja gleichsam sofortige Niveauanhebung der Setlist. Murrend gehe ich zurück zu Ms. Columbo und dem Franken, und kaum sitze ich, liefert uns der Chinese unter Umgehung des Kreisverkehrs umstandslos eine kleine Kollektion von Lachssushi direkt an den Tisch.
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