Aber der Graf war so sympathisch und geduldig und wusste die richtigen Fragen zu stellen, sodass sie weitererzählte.
Irgendwann erschien ein Bediensteter, um das Licht zu löschen. Er war sehr erstaunt, als er hier zwei Menschen vorfand und sagte, dass sich die Abendgesellschaft bereits aufgelöst habe und nur noch wenige Gäste anwesend seien. Auch der Herr Bundespräsident sei schon vor einiger Zeit gegangen.
„Dann werden wir wohl auch gehen müssen“, sagte der Graf. „Darf ich Sie nach Hause fahren?“
„Mein Fahrer wartet unten.“
„Dann schicken Sie ihn nach Hause. Die Nacht ist so schon kurz für den Mann, schließlich soll er Sie schon morgen früh wieder abholen.“
Suzan nickte. Schaltete ihren Blackberry ein und sagte dem Fahrer, er brauche nicht auf sie zu warten.
Der Graf schien sich im Schloss Bellevue gut auszukennen, denn er führte die Ministerin auf dem kürzesten Weg nach draußen. Als sie aus einer Nebenpforte in die Nacht traten, war es kalt und Suzan fröstelte. Behutsam, wie um sie zu wärmen, legte er den Arm um sie, und sie ließ ihn gewähren. Der Mann führte die Ministerin zum Parkplatz, wo sein Wagen wartete. Es war eine große, schwarze Stretch-Limousine, wie sie in Europa unüblich ist, wohl aber von wichtigen Leuten in den USA gefahren wird. Als der Fahrer seinen Chef kommen sah, sprang er aus dem Auto und riss die hintere Tür auf. Die beiden kletterten hinein. Durch die Standheizung war es angenehm warm. Die Fensterscheibe zum Fahrer war hochgefahren und zusätzlich mit einem Vorhang verdeckt.
„Wo darf ich Sie hinbringen?“ fragte der Graf, und Suzan nannte ihre Adresse.
Der Graf sprach in ein verstecktes Mikrofon, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Nun öffnete er einen kleinen Kühlschrank und entnahm ihm eine Champagnerflasche, die er routiniert öffnete. Er schenkte zwei Kelche voll und stieß mit seinem Gast an.
Dann stellte er die Gläser auf eine Ablage und begann Suzan ohne Umstände zu küssen. Sie ließ es verwundert geschehen. Die Küsse waren nicht intensiv und auch nicht leidenschaftlich. Eher ein wenig zärtlich. Mehr so, wie ein Vater die Tochter auf Wange, Stirn und Augen küsst.
Irgendwann streifte er den Rock ihres Abendkleides hoch und begann sie zwischen den Beinen zu streicheln.
‚Die Frau Minister treibt Petting wie eine Sechzehnjährige‘, dachte sie noch verwundert, bevor sie sich seinen Liebkosungen ganz hingab.
2
Am nächsten Morgen war die Ministerin, Doktor Bergstoh, wie immer pünktlich um sieben Uhr im Büro. Sie war schlecht gelaunt, denn sie hatte kaum geschlafen. Sie war wütend auf sich, dass sie sich von diesem Mann hatte verführen lassen. Aber, und das musste sie sich nun bei Tageslicht hier in ihrem Büro doch eingestehen, sie hatte noch nie einen Mann mit so erfahrenen Händen erlebt.
Die Ministerin zwang sich zum Arbeiten, wühlte sich durch Postmappen und den Presseüberblick. Für neun Uhr war die erste Konferenz angesetzt. Danach hatte sie im Halbstundentakt Termine. Vor elf Uhr in der Nacht würde sie wohl nicht nach Hause kommen.
Sie wurde in ihren Gedanken von ihrer Sekretärin, Frau Warnstrut, unterbrochen, die mit Blumen ins Zimmer kam.
„Das wurde eben für Sie abgegeben“, sagte sie erstaunt.
Blumen erreichen die Ministerin in der Regel nicht. Sie werden unten an der Pforte entgegengenommen und aus Sicherheitsgründen sogleich entsorgt. Doch diesmal hatte einer der Sicherheitsleute den Strauß persönlich gebracht. Der Absender hatte damit ein kleines Wunder vollbracht.
Als das Papier entfernt worden war, kamen drei wunderschöne Orchideen zum Vorschein. An einer war die Visitenkarte des Grafen geheftet. Seine Titel nahmen die halbe Karte ein, aber eine Adresse oder gar Telefonnummer standen nicht auf der Visitenkarte.
Auf der Rückseite fand sich handschriftlich der Satz: „Danke für den wunderschönen Abend. Er bleibt mir unvergesslich!“
Suzan war geschmeichelt und lächelte. ‚Ein Kavalier der alten Schule‘, dachte sie sich. Doch als die Sekretärin die Blumen in eine Vase stellen wollte, fiel ihr Blick auf die Klammer, die die drei Rispen zusammenhielt. Sie sprang auf und nahm Frau Warnstrut den Strauß aus der Hand. Dann ging sie mit der Klammer an Fenster, um im hellen Tageslicht besser sehen zu können.
Es war eine Brosche aus Platin, zu allem Überfluss auch noch reich mit Brillanten besetzt. Flüchtig bemerkte sie auf ihrer Rückseite die eingravierte Zahl 220, die ihr aber nichts sagte. Deshalb dachte sie nicht weiter darüber nach, sondern schätzte stattdessen den Wert dieses Kleinods und kam auf mindestens zwanzigtausend Euro. Suzan Bergstoh erbleichte. Wo war sie da hineingeraten? Solche Geschenke werden nicht ohne Hintergedanken gemacht. Natürlich würde sie das Schmuckstück unverzüglich zurückgeben und die dämlichen Orchideen gleich mit. Was bildete sich dieser Mann nur ein?
Doch wohin sollte sie das Paket schicken? Trotz Visitenkarte hatte sie weder eine Adresse noch eine Telefonnummer. Sie kannte nur den Namen und die angeberischen Titel.
In jedem Ministerium gibt es eine Stelle, bei der offizielle Geschenke abgegeben werden. Schließlich erhält ein Regierungsmitglied eine Fülle von Geschenken und zwar nicht als Person, sondern in seiner Funktion. Dorthin schickte Doktor Bergstoh Frau Warnstrut und ließ die Brosche abgeben. Die Quittung dafür wurde abgeheftet.
Nachdem dies geregelt war, durften auch die Orchideen auf ihren Schreibtisch gestellt werden.
‚So schöne Blumen kann man doch nicht verkommen lassen‘, dachte sie sich.
3
Die Tage vergingen und die Erinnerung verblasste. Suzan Bergstoh hatte andere Sorgen, denn sie war über Nacht in politische Turbulenzen geraten. Eine vertrauliche Planung ihres Ministeriums war einer Zeitungsredaktion in die Hände gespielt worden, und nun gab es in der Öffentlichkeit große Aufregung und Proteste. Sogar ihren Rücktritt hatte man schon gefordert. Eine Konferenz mit Spezialisten aus dem Presseamt jagte die nächste. Bergstoh führte eine Menge Gespräche insbesondere mit Journalisten, um die Gemüter zu beruhigen, telefonierte mit wichtigen Leuten in ihrer Partei, um sich abzusichern und sich den Rücken stärken zu lassen. Endlich wurde sie von der Kanzlerin angerufen. Die erklärte ihr, dass sie hinter ihr stünde und sich ihre Ministerin keine Sorgen machen müsse.
Suzan war erleichtert, fragte sich jedoch, warum die Kanzlerin sich erst so spät vor sie gestellt hatte.
Inzwischen war auch ihr Mann aus den USA zurückgekehrt und hatte in der kurzen Zeit, in der sie sich sahen, viel zu erzählen.
Suzan Bergstoh hatte also wenig Zeit zum Nachdenken, und bald erschien ihr die Nacht in der Stretch Limousine wie trügerische Fantasie. Da war nichts gewesen! Sie hatte es sich nur eingebildet. Sie würde sich doch niemals mit einem Mann, den sie kaum kannte, am ersten Abend auf so etwas einlassen. Und dazu noch im Auto, sie die Ministerin, undenkbar.
‚Ich bin ganz einfach überarbeitet‘, dachte sie, ‚wenn ich schon irgendwelche Fantasien für real halte. ‘
Aber wenn eine der vielen Sitzungen langweilig wurde, und ihre Gedanken abschweiften, dann spürte sie noch immer seine Hände.
Dann kontrollierte sie sogleich ihre Gedanken und verdrängte diese absurden Erinnerungen. Es konnte schon deshalb nichts gewesen sein, weil es nicht gewesen sein durfte. ‚Du bist das, an was du dich erinnerst‘, hatte sie im SPIEGEL gelesen.
Nur die Orchideen verloren nichts von ihrer Pracht. Sie strahlten in der Sonne auf ihrem Schreibtisch und wurden von jedem Besucher bewundert. Suzan konnte sich den Schreibtisch ohne diese Orchideen schon gar nicht mehr vorstellen.
Den Grafen traf die Ministerin überraschend auf einer Sitzung wieder. Geladen waren wichtige Vertreter aus Wirtschaft und öffentlichem Leben. Es war ein erlauchter Kreis, der sich da unter dem Vorsitz der Kanzlerin Kruschka zusammenfand. Aus dem Kabinett waren der Wirtschaftsminister, der Innenminister und eben Bergstoh vom Ministerium für Umwelt anwesend.
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