Jeweils acht Personen waren um die großen runden Tische gruppiert. Der Mann links neben Suzan gehörte zu einer ausländischen Gesandtschaft und sprach nur wenig Englisch und kein Deutsch.
Da saß sie nun zwischen diesem selbstbewussten Grafen und einem Gast, dessen Namen sie nicht einmal aussprechen konnte.
‚Das kann ja heiter werden‘, dachte Suzan. ‚Warum habe ich mir das angetan und mich nicht einfach mit einer Ausrede entschuldigt. Aber die schlimmsten Strafen sind die, die man sich selbst auferlegt. ‘
Höflich wandte sich der neben ihr sitzende Graf an sie: „Liebe, gnädige Frau! Wie schön, dass ich mich mit Ihnen unterhalten kann, und dass mir der Zufall eine Prominente als Tischnachbarin geschenkt hat.“
Bergstoh lachte ein wenig verlegen: „Prominent bin ich sicher nicht.“
„Sie sollten nicht so bescheiden sein. Zumindest die Zeitungen berichten, dass sie dem Kabinett unserer hochverehrten Bundeskanzlerin angehören. Was war doch gleich Ihr Ressort?“
„Da sehen Sie, wie prominent ich bin. Sie kennen nicht einmal meinen Geschäftsbereich.“
„Lassen Sie mich raten! Außenministerium?“
Nun lachten beide gleichzeitig so laut, dass sich alle Gesichter am Tisch ihnen zuwandten.
„Nein, zum Glück nicht“, gluckste sie, „ich bin ein Reisemuffel. Und für eine Vizekanzlerin bin ich wohl noch etwas jung.“
„Was nicht ist, kann noch werden. Ich kann mir vorstellen, dass Sie eine ausgezeichnete Außenministerin wären. Sie würden bei allen Staatsoberhäuptern den Kavalier herauskitzeln. Wahrscheinlich würden Sie von jeder Dienstreise eine Menge unanständiger Anträge mit nach Hause bringen.“
‚Dieser Graf von und zu weiß gar nicht, wie recht er hat‘, dachte Suzan.
Laut sagte sie: „Ich bin mit meinem Job als Ministerin für Umwelt und Naturschutz recht zufrieden. Es ist eine wichtige und hochinteressante Aufgabe.“
Suzan Bergstoh war eine schlanke, gepflegte Person und sah mit ihren zweiundvierzig Jahren recht gut aus. Das rötliche Haar trug sie kurz und mit den Sommersprossen auf der Nase sah sie noch jünger aus. Sie hatte grüne Augen, mit denen sie ihre Gesprächspartner fest fixierte. Die Journalisten waren begeistert von der gut aussehenden Ministerin, und der STERN hatte sie sogar auf die Titelseite als Covergirl genommen.
Natürlich gab es stets irgendwelche Männer, die sich selbst etwas beweisen mussten, indem sie Suzan anmachten. Aber das war sie gewohnt und konnte damit umgehen. Sogar beim ersten gemeinsamen Treffen nach der Regierungsbildung, als sich alle Minister zusammen mit der Kanzlerin den Fotografen präsentierten, hatte der neue Innenminister leise zu ihr gesagt, sie sei eine Sünde wert.
Manche Männer, selbst in hohen Positionen, halten eben noch immer starr an der Meinung fest, dass Frauen nur auf anzügliche Komplimente warten und sich davon beeindrucken lassen. Natürlich ist dieses Gerede nur Angeberei und dummes Geschwätz. Wenn sie tatsächlich einmal echtes Interesse an einem Mann zeigte, so wurde der rasch verlegen und machte einen Rückzug.
‚Männer mögen keine starken Frauen‘, das wusste sie. ‚Jemand wie ich macht den Männern Angst. Sie sind wie Pfauen, sie schlagen ein Rad, um zu imponieren. Doch ihre bunte Angeberei fällt rasch in sich zusammen, wenn man sie beim Wort nehmen will.‘
Hätte sie ihren Mann nicht schon vor vielen Jahren auf der Uni kennengelernt, als sie noch beide Studenten gewesen waren, sie wäre sicher heute ledig.
Der Graf unterbrach ihre Gedanken: „Ich habe gelesen, Sie sind so etwas wie ein politischer Shootingstar. Sie haben in Ihrer Partei nicht die Ochsentour gemacht und es dennoch in wenigen Jahren zu einem Ministeramt gebracht. Kompliment!“
„Ich glaube, dass sich die Außenstehenden falsche Vorstellungen von der Politik machen“, wies sie ihn zurecht. „Letztlich zählen in den Spitzenpositionen doch nur Sachverstand und Können. Die treuen Parteisoldaten bleiben alle auf halber Strecke hängen, auch wenn sie sich noch so anstrengen und intrigieren. Ich glaube nicht an den Willen zur Macht. Solides Wissen, Fleiß und Verhandlungsgeschick sind eher Garanten für eine Karriere.“
Der Graf sah sie skeptisch an.
„Sie müssen es ja wissen“, sagte er endlich.
‚Wie bin ich eigentlich wirklich zu diesem Ministeramt gekommen?‘ dachte sie auf einmal.
Sicher sie hatte sich im Ortsverein ihrer Partei engagiert und war schließlich sogar zur Vorsitzenden gewählt worden. Irgendwann bot man ihr dann einen Platz auf der Landesliste für die Landtagswahl an. Doch noch bevor sich das Landesparlament konstituiert hatte, bekam sie einen Anruf von der Kanzlerin, die ihr das Umweltministerium im Bund anbot. Diese Berufung war mehr als seltsam, denn bis dahin war sie eine recht unauffällige Nachwuchspolitikerin gewesen. Eine engagierte Frau, wie sie in allen Parteien zuhauf vertreten sind. Weshalb war gerade sie für das hohe Amt auserwählt worden? Sie wusste es nicht und beschloss, ein andermal darüber nachzudenken.
Das Essen war ausgezeichnet, aber Suzan Bergstoh bekam wenig davon mit, denn ihr Tischnachbar zog sie mehr und mehr in eine immer intensivere Unterhaltung. Dabei war die Verständigung schwierig, denn der große Saal summte und brummte von all den Gesprächen an den Tischen. Der Bundespräsident hatte seine offizielle Rede längst gehalten, der letzte Gang war abgetragen und Kaffee mit Cognac serviert worden. Nun löste sich auch die Sitzordnung auf. Man setzte sich zu Bekannten an andere Tische und sprach dem Wein ohne weitere Hemmungen zu.
„Ich glaube, hier wird es jetzt ungemütlich“, sagte der Graf. „Was halten Sie davon, wenn wir uns ein ruhigeres Plätzchen suchen.“
Dagegen hatte die Ministerin nichts einzuwenden. Aber sie war gespannt, wo der Mann in dieser Abendgesellschaft ein ‚ruhiges Plätzchen‘, wie er sagte, finden wollte. So stand sie mit ihm zusammen auf und folgte ihm nach draußen. Sie durchquerten den Schinkelsaal und landeten im Salon Luise. Dort war es dämmrig, denn es brannten nur die vier Wandlampen neben den Türen. Als der Graf die Türen geschlossen hatte, war es ganz still. Der Lärm und der Trubel der Abendgesellschaft waren ausgesperrt, waren weit weg. Als sie auf der klassizistischen Sitzgruppe Platz genommen hatten, waren sie in einer anderen Welt gelandet.
Und nun änderte sich auch der Mann, der sie hierhergebracht hatte. Er sprach nicht mehr von Politik und erzählte witzige Anekdoten über abgetretene Politiker. Vielmehr berichtete er jetzt von längst vergangenen historischen Ereignissen, so als sei er dabei gewesen: „Sie können sich nicht vorstellen, was für ein Gesicht Ludwig der XV. gemacht hat, als ihn die Pompadour vor allen Leuten auf seine nachlassende Potenz ansprach.“
Er hatte seine ganze Aufmerksamkeit der Ministerin zugewandt, und diese hatte das Gefühl, dass sie in diesem Augenblick für ihn der wichtigste Mensch auf dieser Welt war.
„Erzählen Sie mir von sich“, bat er irgendwann, und sie tat es, ohne lange nachzudenken.
Sie berichtete von ihrem Mann, einem Berufsschullehrer, der nun auch noch einen Beraterjob bei einer Firma für Sonnenkollektoren hatte.
„Haben Sie da nachgeholfen?“ fragte der Graf.
Sie schüttelte den Kopf.
„Sie sind an ihn herangetreten, und er hat nicht ‚nein‘ gesagt. War mächtig stolz. Ich habe erst davon erfahren, als der Vertrag bereits unterschrieben war.“
„Vorsicht, vorsicht!“ murmelte der Mann. „So etwas macht Sie erpressbar.“
Suzan erzählte von ihrem Elternhaus, von ihren verstorbenen Schwestern und erwähnte sogar ihre erste Liebe, und wie unglücklich sie damals gewesen war.
Plötzlich kam sie zu sich.
‚Bin ich denn verrückt‘, schalt sie sich. ‚Ich sitze hier mit einem wildfremden Mann, von dem ich nichts weiß, und schütte ihm mein Herz aus. Frau Minister reißen Sie sich endlich am Riemen! ‘
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