Bereits am nächsten Tag ließ sich Suzan Bergstoh durch ihr Vorzimmer beim Grafen anmelden und dann zu dessen Villa fahren. Sie trug einen eng geschnittenen, rosenfarbenen Hosenanzug von Pierre Cardin, dazu beinahe minimalistischen Goldschmuck. Graf Manderscheidt erwartete sie in seinem Rosengarten, einem gärtnerischen Meisterwerk. Dort war bereits ein Tisch mit Kaffee und süßen Leckerbissen aus aller Welt gedeckt.
Wie immer war der Graf von ausgesuchter Höflichkeit. Er machte ihr Komplimente für den ausgezeichneten Geschmack ihrer Garderobe, küsste ihr die Fingerspitzen und bat sie Platz zu nehmen. Nach vielen Komplimenten und amüsanten Anekdoten fragte Manderscheidt auf einmal: „Was gefällt dir an dem Redeentwurf nicht?“
„Dieser Plan mit der CO 2-Rückgewinnung ist doch Unsinn. Ich kann ihn in dieser Form der Weltöffentlichkeit nicht präsentieren“, antwortete die Ministerin vorsichtig.
„Ob er durchdacht ist oder nicht, musst du schon uns überlassen“, war die barsche Antwort. „Glaube mir, wir haben uns eine Menge Gedanken gemacht, und der Plan ist genial.“
‚Ja, ein genialer Weg, um unendlich viel Geld zu verdienen, ohne dass jemand den Betrug merkt‘, dachte sie. Aber laut antwortete sie dem Grafen: „Er ist doch wahrscheinlich noch im Stadium der Vorüberlegung, mehr eine Absichtserklärung.“
„Du irrst! Wir werden das durchziehen, und du hast die Ehre, es auf einer großen internationalen Bühne zu verkünden. Bist du nicht ein wenig stolz, dass wir dir diese wichtige Rolle übertragen?“
Plötzlich hatte Suzan das Gefühl, als würden sich Eisenklammern um ihre Brust legen.
„Und wenn ich nicht mitmache? Wenn ich mich weigere?“
„Du wirst dich nicht weigern!“
Die Drohung in der Stimme war unüberhörbar.
Sie versuchte ruhig zu bleiben und sagte einlenkend: „Lass uns doch in Ruhe das Projekt diskutieren.“
Die Entgegnung des Grafen war hart und duldete keinen Widerspruch: „Mit dir diskutiere ich nicht. Du hast einen Auftrag, und ich erwarte, dass du ihn ausführst. Es kann dir völlig gleichgültig sein, ob die CO 2-Rückgewinnung sinnvoll ist oder nicht. Auf jeden Fall, so viel kann ich dir verraten, bringt sie viel Geld. Es wird wahrscheinlich das größte Geschäft seit der Entdeckung des Erdöls zum Antrieb von Autos. Aber das hast du dir wahrscheinlich schon gedacht. Dumm bist du ja nicht!“
„Ich frage noch einmal. Was ist, wenn ich mich weigere, mitzuspielen?“ entgegnete sie trotzig.
„Und ich antworte dir noch einmal, du wirst dich nicht weigern. Du hast bereits einen kleinen Vorgeschmack bekommen, wie es ist, wenn von heute auf morgen deine Existenz ruiniert wird. Und das war nur ein harmloses Geplänkel. Wir wollten dir nicht wirklich wehtun. Doch wir können auch anders. Wir können es so weit treiben, dass du dir wünschst, nie geboren zu sein. Wir können dich so vernichten, dass du an keinem Ort dieser Welt mehr zur Ruhe kommst. Und du weißt, dass dies keine leere Drohung ist.“
Der Graf machte eine lange Pause, und sie starrten sich feindselig an. Plötzlich lächelte er, seine Stimme wurde weich und herzlich, als er sagte: „Mädchen, hast du dir nie darüber Gedanken gemacht, wieso du als kleine Ortsvereinsvorsitzende plötzlich diese Karriere gemacht hast? Deine Berufung zur Ministerin hat doch alle Kenner der politischen Szene total überrascht! So naiv kannst du doch nicht sein, dass du dies alles auf deine eigenen Leistungen oder gar auf Zufälle zurückführst. Inzwischen müsste dir doch klargeworden sein, dass wir dahinterstecken, dass wir dich ausgesucht haben. Mädchen, du bist unser Geschöpf und deshalb wirst du deine Aufgabe erfüllen und diese Rede wortgetreu halten.“
Seine anfangs warme Stimme war immer drohender geworden, und die mächtige Ministerin immer mehr in ihrem Stuhl zusammengesunken. Doch nun entspannten sich seine harten Gesichtszüge wieder. Mit weicher und einschmeichelnder Stimme sagte er: „Was reden wir hier für dummes Zeug! Ich weiß doch, dass ich mich auf dich verlassen kann. Und es wird dein Schaden nicht sein. Ich mag dich nämlich, und ich habe noch Großes mit dir vor. Du wirst sehen, du hast an diesem Abend beim Bundespräsidenten das große Los gezogen.“
„Aber ich kann doch ohne Rückendeckung der Kanzlerin und des übrigen Kabinetts keine derartigen Pläne verkünden“, stammelte sie.
„Um die Rückendeckung durch die Kruschka kümmere ich mich! Und dem Kabinett legst du eine Vorlage vor, die die übrigen Minister garantiert einstimmig beschließen werden. Mach dir da keine Sorgen!“
Suzan wollte etwas entgegnen, fragen, ob die Kanzlerin eingeweiht sei, aber Graf Manderscheidt stand auf, zauberte von irgendwo eine Gartenschere hervor und schnitt eine wunderbare blaue Rose ab. Es war eine Blüte, wie sie Suzan noch nie gesehen hatte. Ein seltenes Kunstwerk der Natur von beinahe überirdischer Schönheit. Diese Rose überreichte der Graf formvollendet seinem Gast.
„Alles was uns beide betrifft, soll sub rosa geschehen“, sagte er dabei.
Doch bevor Suzan fragen konnte, was damit wohl gemeint sei, hatte er sich wieder gesetzt und fragte nun mit weicher, einfühlsamer Stimme: „Bist du neulich meiner Erlaubnis gefolgt? War es schön?“
Suzan antwortete nicht. Dieser abrupte Themenwechsel hatte ihr die Sprache verschlagen. Auch rief diese Direktheit, mit der er ihre innersten Gefühle und Geheimnisse ansprach, bei ihr Verlegenheit und Abwehr hervor. Was war das für ein Mann, der innerhalb von Sekunden von eiskalter Drohung auf größte Liebenswürdigkeit umschalten konnte?
„Ich werde dich verwöhnen und glücklich machen“, sagte er nun, und Suzan wusste, dass dies kein leeres Versprechen war.
Doch sie hatte Angst vor dem Mann und gleichzeitig ganz tief in ihrem Innern die Sehnsucht, sich ihm auszuliefern, sich ihm zu übergeben. Dieser Graf strahlte eine ungeheure Macht und gleichzeitig eine Feinfühligkeit aus, die ihr Gänsehaut bereitete.
Als sie sich schon verabschiedet hatte, rief er sie noch einmal zurück. In einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, fragte er: „Übrigens, hast du morgen öffentliche Auftritte?“
„Ja, drei Reden und eine große Fragestunde im Bundestag.“
„Du wirst morgen den ganzen Tag einen Rock und darunter kein Höschen tragen!“
Obgleich sie den Grafen hasste, wusste sie doch, dass sie seinem Gebot folgen würde.
15
In ihrem Büro ließ Ministerin Suzan Bergstoh ihren Referenten, Bernd Lohwitz, kommen, der inzwischen sein Versetzungsgesuch zurückgezogen hatte. Sie beauftragte ihn, in der Bibliothek des Deutschen Bundestages zusammen mit dem dortigen Personal in alten Unterlagen und Büchern nach Bildern von Personen zu suchen, die dem Grafen ähnlich sahen. Ihr Mitarbeiter sah sie verwundert an. Sie wusste, nun denkt er, ‚die Alte spinnt total‘. Doch er widersprach nicht. Nachdem sie die gefährliche Bewirtungs-Krise überstanden hatte, war sie im gesamten Ministerium hoch angesehen. Man wusste nun, dass sie über mächtige Verbündete verfügte, und wollte sich auf jeden Fall mit ihr gut stellen.
In den Ministerien hatten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stets ihre Karriere im Blick und mit schlafwandlerischer Sicherheit erkannten sie die Zeichen der Macht und stellten sich darauf ein.
Lohwitz war bereits an der Tür, als sie ihn noch einmal zurückrief.
„Besorgen Sie mir bitte ein ausführliches Dossier über einen Grafen Manderscheidt und stellen Sie mir knapp und übersichtlich alles zusammen, was Sie über die historische Figur des Grafen von Saint Germain herausfinden können. Mich interessieren auch Legenden und Gerüchte.“
Stumm nahm der Referent den seltsamen Auftrag entgegen und unterdrückte seine Verwunderung.
Als Lohwitz gegangen war, kam die Sekretärin mit den Postmappen. Es war die übliche Routine. Dienstpost, die über ihren Schreibtisch zu laufen hatte, und die sie abzeichnen musste, Einladungen, Protokolle, Dankesschreiben von Organisationen, bei denen sie eine Rede gehalten hatte, Bitten und Gesuche aus ihrem Wahlkreis und so weiter und so fort. Doch in der letzten Mappe fand sich ein verschlossener Umschlag. Auf ihm stand handschriftlich: „Persönlich, vertraulich, unter Umschlag“.
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