In der materialen- oder vorbiologischen Evolution sind Masse und Energie die unbelebten Akteure. Energie verändert Masse und diese wiederum die Energie. Ein Gleichgewicht bleibt erhalten und bestimmt die Welt, in der wir leben. Auch die biologische Evolution kennt zwei Akteure. Das Veränderungen unterworfene Umfeld legt fest, welche Organismen überleben. Die biologische Welt der Pflanzen und Tiere muss durch Wandlung Überleben ermöglichen. Wird die materiale Welt von physikalischen Gesetzen gesteuert, so unterliegt die biologische Welt einer genetischen Steuerung. Ein im Zeitablauf regel-mäßiges Aufkommen von genetischen Veränderungen oder Mutationen schafft neue Pflanzen und Tiere die ihren Platz im Umfeld finden müssen oder untergehen. Die biologische Vielfalt demonstriert, wie eine genetische Steuerung sehr unterschiedliche Verfahren der Lebens-sicherung im Umfeld findet. Die Genetik entwirft einen Überschuss oder ein zu Viel an Möglichkeiten der Entfaltung, die vom zweiten Akteur Umfeld zum Teil verworfen oder akzeptiert werden.
Umfeld und Genetik entscheiden, welche biologischen Geschöpfe überleben. Alle müssen sich ernähren, um leben oder wachsen zu können. Dafür ersinnt die biologische Evolution zwei Möglichkeiten. Verortung und Wurzeln lassen Pflanzen und Bäume überleben. Ortsverlagerung oder Beweglichkeit erlauben den Tieren jene Nahrung zu suchen, die sie mögen oder brauchen. Auf diese Weise entstehen nach den Pflanzen auch Tiere. Unter den Pflanzen unterscheidet man wiederum die langsam wachsenden, tief verwurzelten, stämmigen und großen Bäume von Blumen oder Gräsern, die schnell wachsend und flexibel, aber auch dem jahreszeitlichen Wechsel unterworfen und verletzlich sind. Jagende Tiere sind klein, sind schnell und zum Springen ausgerüstet. Der Pflanzen fressende Elefant bewegt sich langsam und gemächlich. Er hat Zeit seine Pflanzen zu finden. Weil er auch kräftig ist, muss er Feinde nicht fürchten. In der belebten Natur sind Verwurzelung, langsames Wachstum, Standfestigkeit, Ausdauer und Kraft eine Möglichkeit des Überlebens. Ortsverlagerung, Wendigkeit, Flexibilität und rasches Wachstum sind das Kontrastprogramm. Beide Muster einer Überlebenssicherung sind in der Vielfalt des Lebendigen auf Kompromisse angewiesen. Sie werden in der Evolution vielfach entwickelt. Auch der Kompromiss ist eine Erfindung der Evolution.
Wer in der biologischen Welt überleben will muss reagieren können. Er muss auf Gefahren adäquat und angepasst antworten. In etwas mehr als fünf Milliarden Jahren entwickelt die biologische Evolution eine unbegrenzte Zahl von angepassten Reaktionen, die ein Individuum oder eine Art so lange zum Überlebenden macht, bis neue Formen des Reagierens einen besser Angepassten hervorbringen. In der biologischen Evolution sind die eine Art schützenden Reaktionen festgelegt oder, wie intelligentere Wesen später definierten, „instinktiv“ verankert. Auch Instinkte enthalten im Fortgang der Evolution bereits ein Verhaltensmuster aus Warnung vor Gefahr, aus Rückzug oder Angriff, aus individueller- oder Rudelstrategie. Noch immer aber sind instinktgeleitete Verhaltensweisen biologisch festgelegte Algorithmen und sind angeboren. Über das angelegte Muster der Instinkthandlung hinaus sind Variationen im Umgang mit Bedrohung oder eine Strategiewahl nicht möglich.
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Dies ändert sich mit der mentalen Evolution, die mit der Entwicklungsstufe der Primaten vor allem beginnt und schließlich die Entwicklung der Hominiden lenkt. Mentalität beschreibt, wie ich als Subjekt auf ein Geschehen blicke, auf mein Umfeld reagiere und dieses zum Objekt meines Handelns mache. An der Mentalität sind Sensorik, sind Neugier und Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Erinnerung, sind Fühlen und Denken und unbewusst gewordene- oder bewusste Erfahrungen beteiligt. Die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Funktionen bestimmt das Verhalten eines Individuums in der Auseinandersetzung mit seinem Umfeld und wird im Begriff „Mentalität“ zusammengefasst. Mentalität beschreibt eine bewusste und auch unbewusste Steuerung des Primatenverhaltens. Sie orientiert sich an subjektiv festgelegten Zielen, führt zu ausgewählten Entscheidungen und variablen Intentionen. Wo Tiere von unbewussten Instinkthandlungen geleitet werden, lenkt Mentalität das Verhalten der nicht-menschlichen Primaten und schließlich der Hominiden. Wo in der biologischen Evolution der Übergang zwischen Instinkt-handlungen oder mental gesteuertem Verhalten anzusetzen ist oder wo und wie dieser Übergang zu definieren ist, wird in der Verhaltensforschung mit Primaten noch immer diskutiert. Evolution ist ein langsamer-, aber kontinuierlicher Prozess, dessen Ergebnis sich erst in der Rückschau als neue Art oder neue Gruppe zu erkennen gibt. In der Entwicklung vom Instinkt zur bewusst gesteuerten Mentalität sind sehr komplexe Funktionen beteiligt. Eine naturwissenschaftlich begründbare Unterscheidung wo Instinkte enden und Mentalität beginnt wird kaum gelingen. Wird diese Unterscheidung trotzdem versucht, so gelingt dies nur mit abstrakter Definition.
Auch mentale Evolution ist eine biologische Evolution und unterscheidet sich von dieser durch den Wechsel von einem instinktgesteuerten- in ein auch bewusst gesteuertes Verhalten von Individuen. Mentales Verhalten ist nicht mehr festgelegt. Es wird, von den subjektiven Zielen eines Individuums gesteuert und variiert. Ein unterschiedliches Bewusstsein verschafft den nichtmenschlichen Primaten, dann den Hominiden und schließlich dem Homo sapiens jenen Vorteil, der ihnen eine Überlegenheit gegenüber ihren Vorfahren sichert. Die organische Basis der mentalen Evolution oder eines Bewusstseins der Primaten ist eine Vergrößerung des Gehirns als neuronales Steuerungssystem. Neuronale Steuerung aber ist in der biologischen Evolution ein sehr früh entstandenes Prinzip der Daseinsvorsorge tierischer Geschöpfe. Neuronale Schaltkreise steuern Organe, steuern Beweglichkeit und Instinktverhalten. Dazu braucht es kein Bewusstsein. In der Primatenreihe und v.a. bei den Hominiden führt eine neuronale Fortentwicklung zu einer Hirnvergrößerung, zu einem im Überlebenskampf variablen und auf Herausforderungen reagierenden Verhalten und schließlich auch zu Bewusstsein. Die Fortentwicklung zum Menschen aus der Primatenreihe ist eine neuronale Fortentwicklung mit Entstehung eines Bewusstseins. Aus Instinktverhalten wird ein vom Bewusstsein koordiniertes mentales Verhalten. Allein diese mentale Entwicklung unterscheidet den Menschen von seinen tierischen Vorfahren. Biologisch gelten für den Menschen Gesetze, wie sie mit Variation im Tierreich nachweisbar sind. „Biologisch sind wir zwar auch Steinzeitmenschen“11, doch ist der Mensch biologisch betrachtet eher ein aufrechter Primat oder ein Säuger auf zwei Beinen. Der Steinzeitmensch ist v.a. mental an der menschlichen Entwicklung beteiligt.
Mentales Verhalten ist jedoch nicht auf einmal oder plötzlich entstanden. Auch mentales Verhalten unterliegt einer Entwicklung, für die ich den Ausdruck „mentale Evolution“ wähle. Sie macht aus einer artspezifischen Fremdbestimmung durch das Umfeld eine neue Form der Selbstbestimmung durch eine mentale Variation des Verhaltens. Auch die mentale Evolution vollzieht sich in Schritten und begleitet die anthropologische Evolution, wie sie in aller Kürze etwa so zu beschreiben ist:
Mit den Australopithecinen kommt vor ca. 5 - 6 Millionen Jahren der „aufrechte Gang“ ins Spiel welcher den noch kleinhirnigen Primaten in ein aufgerichtetes Wesen, in ein Wesen zwischen Affe und Mensch verändert. Arme und Hände bekommen eine Greif- und Haltefunktion. Der erste Hominide hat als Homo habilis vor 1.8 bis 2 Millionen Jahren bereits eine Hirngröße von 500 bis 800 cm3. Der Homo erectus als nächster Nachfahre ist 1.5 Millionen Jahre alt mit einem Hirnvolumen von 700 bis 1300 cm3. Er verlässt vor ca. einer Million Jahren erstmals Afrika, taucht als Java-Mensch in Asien auf, kommt als Homo heidelbergensis nach Europa und entwickelt sich als Neandertal-Mensch zum europäischen Homo erectus mit einem Hirnvolumen von bis zu 1500 cm3. Das Hirnvolumen des Neandertal-Menschen ist größer als das des späteren Sapiens-Menschen. Trotzdem verschwindet der Neandertal-Mensch auf bisher nicht geklärte Weise vor ca. 30 000 Jahren aus Europa. Er wird vom neuen-, vor etwa 200 000 Jahren in Afrika auftauchenden, Menschentyp, dem Homo sapiens abgelöst oder verdrängt. Dieser besiedelt in den letzten 40 000 bis 50 000 Jahren allein die gesamte Erde.
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