Dankbar nickte er mir zu.
„Ach ja, eins noch Theo. Klingt schon wieder bescheuert, aber heute haben wir den 8. Januar, das ist der Beginn meiner Notizen. Ich denke, dieses heutige Datum könnte wichtig sein.“
Dieses Statement nahm ich einfach hin. Flori würde mir sowieso nichts Weiteres sagen.
Während des Essens berichtete ich ihm, was ich im Internet herausgefunden hatte.
„Also, Walkenried ist ein kleines, beschauliches Städtchen im südlichen Westen des Harzes, im Länderdreieck zwischen Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dort gibt es tatsächlich ein Zisterzienserkloster. Es wurde im Jahre 1127 von Adelheid von Walkenried gestiftet.
Hinter dem Begriff ‚per alpes Noricas‘ verbirgt sich nichts Geringeres als der heutige Brennerpass. Den nannte man im Mittelalter aber nicht so, dieser Pass bekam seinen heutigen Namen erst wesentlich später.
Auch die Person des Vignolo de Vignoli gab es tatsächlich, er lebte genau zu Rittingaus Zeit und war ein reicher Genueser. Er hatte auch große, einträgliche Besitzungen auf Rhodos, die er durch die Osmanen, die Türken also, bedroht sah. Interessant, oder?
Am merkwürdigsten ist aber: Du hattest Recht, was den Ausdruck Hart betrifft, unser Ritter hat sich nicht verschrieben. Hart bedeutet Bergwald und aus Hart wurde im Laufe der Zeit Harz und genau dort liegt Walkenried. Was sagst du nun?“, erwartungsvoll schaute ich ihn an.
Er murmelte etwas wie: „Dachte ich’s doch. Genau so!“, und sagte dann laut: „Wenn es sich bei unserem Text also um eine Fälschung handeln sollte, dann hat sich der Fälscher aber ziemlich viel Mühe gegeben, die Jahreszahlen, Ortschaften und andere Fakten korrekt einzubauen, ebenso was die Sprache betrifft. Wer sollte das wohl machen, den Text dann in eine kostbare Silbertruhe stecken, ihn am Filerimos einbuddeln, zusammen mit einem verrosteten Schwert, mit geringer Hoffnung, dass er je entdeckt wird?“
„Genau. Und je mehr ich von dieser Geschichte erfahre, desto glaubwürdiger erscheint sie mir. Übrigens, vielleicht sollten wir ja auch mal die Namen Rittingau und Wennengut googeln.“
„Gute Idee. Ich nehme Rittingau und du Wennengut. Einverstanden?“
Voller Schwung machten wir uns ans Werk. Meine Recherche ergab nicht viel, Florian schien aber fündig geworden zu sein. Seine Suche dauerte wesentlich länger als meine. Aufgeregt verfolgte er die verschiedensten links, hielt von Zeit zu Zeit inne, um noch genauer zu recherchieren, bis er schließlich meinte:
„Erst du, Theo! Du warst ja schon viel früher fertig.“
„Na gut. Der Name Wennengut ist im heutigen Gebiet der deutsch/niederländischen Grenze im Mittelalter kein ungebräuchlicher Name gewesen, er leitet sich wahrscheinlich von dem Wort „Weingut“ her. Ich kann jedoch nichts über den Namen im Zusammenhang mit dem Johanniterorden finden.“
„Das ist vielleicht nicht so verwunderlich. Wie viele Dokumente müssen in den Jahrhunderten verloren gegangen sein! Wie viele sind vielleicht noch gar nicht im Internet aufgetaucht?
Aber hör mal: Die Grafen von Rittingau gab es wirklich, und zwar im Gebiet des heutigen Northeim bei Göttingen. Später nannten sie sich zwar nicht mehr von Rittingau, sondern von Northeim, das ist aber die Bezeichnung der Stadt und nicht des Familiennamens, oder? Jedenfalls deuten die Informationen aus dem Netz darauf hin, dass es sich um dieselbe Familie handelt. Außerdem wird bei den Johannitern die Ballei Goslar erwähnt, die zu der Zeit auch schon existierte- und das ist von Northeim gar nicht so weit weg. Passt, oder?“
„Sogar ganz genau. Das ist ja wirklich höchst spannend. Noch ein Baustein, der sich in unser Puzzle in der Recherche im Internet einfügt. Es verdichtet sich immer mehr, dass unser Manuskript echt sein könnte. Da hilft nur eins: Weiterlesen!“
Am 18. März 1306 schifften wir uns zusammen mit weiteren drei Galeeren, beladen mit Waren verschiedenster Art und diversen Waffen, mit dem Ziel Zypern ein.
Der ständig schwankende Boden unter meinen Füßen machte mir anfangs etwas zu schaffen. Es war schwierig, festen Tritt zu fassen, doch bald gewöhnte ich mich an diesen Zustand. Von der schrecklichen Seekrankheit blieb ich verschont, und ich beneidete Bruder Wilhelm nicht, der die ersten Tage mehr an der Reling, möglichst mit Rückenwind, verbrachte. Es ging ihm wirklich schlecht. Leider konnte ich ihm nur mit Verabreichung von Kamillentee helfen, den er jedoch selten bei sich behalten konnte. Indes beruhigte sich sein Magen langsam, sich an das ständige Auf und Ab auf dem Meer gewöhnend.
Ich genoss inzwischen die würzige Luft auf See, das Salz auf meinen Lippen schmeckend, während wir durch das Tyrrhenische Meer pflügten, zu unserer Linken dann und wann den Küstensaum Italiens erahnend, zu unserer Rechten manchmal schemenhaft eine Insel, gleich einem Schildkrötenrücken, manchmal mit Zacken der Berge versehen, aus dem Meer auftauchend.
Einige Zeit bevor wir die südliche Spitze Italiens erreichten, leuchtete uns schon von weitem auf der rechten Seite der immer wieder einmal feuerspeiende Vulkan Stromboli entgegen. Seine flammenden Zungen und Auswürfe, die Sternen gleich besonders bei Nacht weithin ihr funkelndes Licht verbreiteten, erinnerten mich an das Höllenfeuer und es lief mir kalt den Rücken herunter.
Danach bestanden wir die gefahrenvolle Passage durch die Straße von Messina. Die Seeleute erklärten uns, dass die Durchfahrt wegen der Nähe Siziliens zum italienischen Festland oft mit gefährlichen Meeresströmungen und gurgelnden Strudeln gespickt war, unsere Schiffe mitsamt ihrer Mannschaft jedoch bestens darauf vorbereitet seien.
Bei der Durchquerung dieser Meerenge fiel mir der griechische Held Odysseus ein, der der Legende nach auf seiner Irrfahrt von Troja nach den heimatlichen Gefilden eine ähnliche, vielleicht sogar dieselbe Passage beschrieben hatte. Wenn natürlich hier auch keine Felsen zusammenprallten, das war wohl auch eher bildlich zu verstehen, so war die Fahrt doch wagehalsig genug.
Unser Schiff wurde hin- und her geworfen, der Steuermann hatte alle Hände voll zu tun, um es auf Kurs zu halten.
Doch schließlich hatten wir diese gefährliche Passage überwunden. Auch die anderen Schiffe, die uns begleiteten, schlossen wieder zu uns auf.
Danach hatte ich Zeit, mich ein wenig eingehender mit unserem Schiff bekannt zu machen.
Unsere Galeere war die größte des Konvois, besaß vier Segel, zwei größere und zwei kleinere, welche von der Mannschaft mit auffallender Geschicklichkeit bedient wurden. Auf der Spitze des oberen Mastes gab es eine Art Korb, in dem ständig ein Ausguck saß, welcher aufmerksam das Meer beobachtete, um vor etwaigen Gefahren zu warnen. Im Mitteldeck waren die Bordkatapulte samt Munition verankert und die Waren verstaut. Im Unterdeck trieben die Rudersklaven, an ihren Bänken fest angekettet, unser Schiff zusätzlich, oder bei Flaute allein, mit ihren Rudern vorwärts. Zwischen den Bankreihen befand sich der Mittelgang, auf dem Aufseher, ihre Peitschen schwingend, auf und ab gingen, um die Sklaven anzutreiben.
Im untersten Deck waren die Hängematten für diejenigen Rudersklaven festgemacht, die ausruhen durften und dort stank es fürchterlich. Es gab keine Nachttöpfe, in die sie ihre Notdurft hätten verrichten können und auch keinen gnädigen Wind, der den Gestank ihrer nur allzu menschlichen Hinterlassenschaften hätte mildern können. Es huschte und trippelte außerdem von Ratten, die sich hier versammelt hatten.
Wenn ich an die Sklaven denke, wird mir immer noch schwer ums Herz. Natürlich war ich mir darüber klar, dass es Sklaven gibt, bis dahin wusste ich jedoch nicht, was es bedeutete, ein Sklave zu sein. Rechtlos, der Freiheit beraubt, wie Ware behandelt, wie Tiere gehalten, mit Abfällen ernährt, ihre Wunden von den Fesseln und den Peitschenhieben unbehandelt vor sich hin schwärend, im Todesfall ohne Federlesens einfach über Bord entsorgt. Diese Beobachtungen machten mir sehr zu schaffen. Diese Geschöpfe
Читать дальше