1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 Noch ganz am Anfang unserer Reise machten wir in einem Mittelgebirge namens Hart in einem Zisterzienserkloster in Walkenried Rast. Dort traf ich auf einen Klosterbruder, der mich die Herstellung eines besonderen Balsams aus dem Öl der Nadeln von Fichten lehrte, gut gegen Husten und Halskatharr, wie er mir versicherte. Ebenso lehrte er mich ein bitteres Gebräu aus Weidenrinde und anderen Zutaten, welches Schmerzen besonders gut lindern sollte. Die Wirkung von Weidenrindentee war mir bekannt, doch die Mixtur mit anderen Zutaten war mir neu. Dankbar nahm ich sein Angebot an, mich mit getrockneter Weidenrinde, dem Öl aus Fichtennadeln und den anderen nötigen Pflanzen auszustatten. Dafür entschädigte ich ihn aus der Reisekasse: Geld, welches er hoch erfreut annahm.
Immer, wenn sich die Gelegenheit bot, sammelte oder tauschte ich Heilkräuter ein.
So füllte sich nach und nach meine Kräutertruhe, was ich mit tiefer Befriedigung zur Kenntnis nahm, wenn ich an die vor mir liegenden Aufgaben dachte.
Öfter als einmal waren Bruder Wilhelm und ich Komtur Wennengut dankbar, dass er uns so vorausschauend eine Eskorte mitgegeben hatte, denn die Truhen, die wir mit uns führten, weckten häufig die Begehrlichkeiten von Diebesgesindel. Wenn es uns auch immer in den Fingern juckte, dieser Plage aller Reisenden tüchtig heimzuleuchten, hielten wir uns doch an die Worte des Komturs und behüteten die Truhen getreulich vor Diebstahl. Den Rest übernahm stets unsere Eskorte.
Gut, dass ich meine Kräuterkiste dabei hatte, so konnte ich die Verletzungen meiner Brüder aus der Eskorte schnell lindern und heilen. Und tatsächlich, das Weidenrindengebräu aus Walkenried schmeckte zwar fürchterlich, war dafür aber sehr wirksam, nicht nur bei Fieber, sondern auch bei Schmerzen aller anderen Art.
Eines Abends fragte ich Bruder Wilhelm, warum der Komtur der Meinung war, dass er als mein Leibwächter fungieren sollte und warum ich überhaupt einen benötigte.
Bruder Wilhelm zuckte jedoch nur mit den Schultern und entgegnete mir:
„Bruder Hans, der Komtur hat mir aufgegeben, euch und die Truhen sicher nach Limassol zu bringen. Ihr seid ein Heiler und ein Ritter, darauf scheint es anzukommen. Mehr weiß ich auch nicht.“
„Bruder Wilhelm, dann danke ich einstweilen für eure Fürsorge.“
Ich beschloss, nicht weiter in ihn zu dringen, obwohl er sicherlich mehr wusste, als zu sagen er bereit war. Außerdem war ich müde, meine Gliedmaßen waren eiskalt, unsere Unterkunft ebenso, und so wickelten wir uns in die verwanzten Decken, die man uns zur Verfügung gestellt hatte.
Wie beschwerlich und gefahrvoll eine Überquerung der Alpen im Winter doch war! Wir benutzten unter anderen einen langen und schwierig zu bewältigenden Pass, per alpes Noricas genannt, der uns quer durch einen Teil des eindrucksvollen Hochgebirges mit seinen atemberaubenden Gipfeln, schroffen Abgründen und weiten Ausblicken führte. Mehr als einmal waren wir dicht daran, auf den verschneiten und vereisten Pfaden auszurutschen und abzugleiten oder an den steilen Abhängen unsere wertvolle Fracht zu verlieren. Des Nachts wärmten wir uns, wenn möglich, an einem kleinen Feuer. Konnten wir kein Brennholz finden, rückten wir unter unseren Decken eng zusammen, um uns die gegenseitige Körperwärme zu spenden.
Mehr als einmal erwachten wir mit fast steif gefrorenen Gliedern und nur unsere Aufgabe, die Komtur Wennengut uns gestellt hatte, trieb uns unter Flüchen, unsere Arme und Beine heftig schlenkernd, damit die Blutzirkulation wieder in Gang kommen sollte, weiter an.
Endlich hatten wir das Hochgebirge durchquert, und wir kamen an dem südlichen Rand der Alpen an. Ein Hauch von Frühling wehte uns entgegen. Wir waren dankbar für jede frische oder getrocknete Frucht, jedes junge, grünes Gemüse, welches wir bekommen konnten. Wir waren erschöpft und nur der Gedanke, dass wir spätestens am 20. März in Genua ankommen mussten, verlieh uns den Willen, weiter zu reisen.
Es ging weiter nach Südwesten und je weiter wir gen Süden kamen, desto wärmer wurde es. Um diese Jahreszeit ist es in der Heimat fast nie so warm, so dass wir unter unseren Umhängen und Ringpanzerhemden tagsüber zuweilen recht schwitzten. Nachts blieb es jedoch kalt, zwar nicht so entsetzlich, wie in den Höhen der Alpen, aber kalt genug, um ein abendliches Kaminfeuer zu schätzen, an dem wir unsere müden Knochen erwärmen und unsere von langen Tagesmärschen versteiften Glieder entspannen konnten.
Schließlich erreichten wir am 16. März 1306 Genua, wo wir uns mit Hilfe der Eskorte den Weg zum Kontor des Signore Vignolo di Vignoli durch den großen, geschäftigen und bunten Hafen bahnen mussten.
Zum ersten Mal sah ich eine Hafenstadt und das Meer, Mare Nostrum, wie die Römer es nannten. Staunend betrachtete ich die Fischstände, die Obst- und Gemüseauslagen, die so ganz andere Waren feilboten als alles, was ich bisher gesehen hatte. Welch eine Vielfalt der unterschiedlichsten Angebote, Früchte und Gemüse, von denen ich viele nicht kannte. Fische, deren bunte Farben der Schuppen in der Sonne blinkten, zeugten von einem Fang, der gerade erst aus dem salzigen Wasser des Meeres gezogen worden war.
Die Wellen schaukelten die Schiffe sanft und verursachten ein Rauschen, wie ich es noch nie vernommen hatte. Am Horizont sah man nichts als Wasser, so etwas Überwältigendes hatte ich noch nie erblickt. Und auf diese nicht enden wollende, schaukelnde Fläche sollten Bruder Wilhelm und ich uns hinauswagen? Etwas beklommen war mir doch zumute und nach Bruder Wilhelms skeptischer Miene zu schließen, ging es ihm nicht anders.
Der Stellvertreter von Signore di Vignoli nahm uns höchstpersönlich in Empfang, hocherfreut über unser rechtzeitiges Eintreffen. Er erklärte uns, dass Signore di Vignoli schon vorausgereist sei und bedeutete uns, dass wir uns schon in zwei Tagen einschiffen würden. Er wies uns eine Unterkunft zu und mahnte uns zur Erholung von der langen Reise, denn der vor uns liegende Abschnitt unserer Reise nach Limassol würde gefahrvoll sein, da die Stürme über dem Mittelmeer um diese Jahreszeit immer noch heftig sein könnten. Auch sollte es von angriffslustigen und beutegierigen Piraten nur so wimmeln. Mit dem Verspechen, uns mehr über den Zweck der gemeinsamen Weiterreise an Bord seiner Galeere zu berichten, entließ er uns.
„Theo, du kommst jetzt schon ziemlich gut klar mit dem Entziffern dieser Schrift und du liest auch immer flüssiger vor! Wie glaubwürdig findest du die Geschichte bislang?“
„Hört sich ziemlich authentisch an. Der Ritter nennt Namen wie per alpes Noricas und Vignolo di Vignoli, Walkenried und Hart. Ob er sich da wohl verschrieben hat, und den Harz meint?“
„Nee, hat er nicht...“ mitten im Satz stoppte er und warf die Hände wie fragend nach oben. „Halte mich jetzt nicht für verrückt, aber ich muss mir dringend ein paar Notizen machen.“
Sprach es, und verschwand in sein Schlafzimmer.
Kopfschüttelnd schaute ich ihm nach. Seit wir dieses Manuskript in den Händen hielten, benahm sich Flori wirklich sehr komisch, ganz so, als wäre er manchmal gar nicht richtig anwesend, als sähe er vor seinem geistigen Auge Dinge, die mir verborgen blieben.
Ich beschloss, die Begriffe Hart, Walkenried und per alpes Noricas, sowie den Namen Vignolo de Vignoli zu googeln. Ich war gerade damit fertig, als Flori, mit einem Notizbuch unter dem Arm, wieder auf der Bildfläche erschien.
„Theo, du musst mir bitte eins versprechen: Lies meine Notizen nicht, bis wir mit dem Text von Hans fertig sind. Das ist für mich sehr wichtig, hörst du? Und bitte frage mich nichts, du musst mich sowieso schon für total bekloppt halten, ich tu’s auch schon fast.“
„Na gut, Florian, ich verspreche es dir, wenn es mir auch schwer fällt und ich vor Neugierde fast platze. Zeit zum Abendbrot!“
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