1 ...8 9 10 12 13 14 ...30 »Wir danken ergebenst für Ihre Güte, Madame«, knickst Jeanne Abadie.
Die drei nehmen nicht denselben Weg wie François Soubirous mit seinem pestilenzialischen Karren am heutigen Morgen. Sie laufen einen Pfad landeinwärts. Dieser Pfad führt zur Savy-Mühle am linken Ufer des Bachs. Dort können sie später über den Mühlsteg auf die Chalet-Insel gelangen. Bernadette denkt sehr langsam. Die Vorstellung, über den Parkzaun kriechen zu müssen, um das frische Holz zu stehlen, erfüllt sie mit Unbehagen. Zugleich aber ist es ihr auch unangenehm, sich als ›fades Huhn‹ zu erweisen und den beiden Lebenstüchtigen ihre Bedenken einzugestehen. Man hat bereits die Mitte des Weges erreicht, ehe Bernadette eine Einwendung versucht:
»Das Pappelholz ist immer grün und schlecht. Nach all dem Regen wird es ganz nass sein und nur rauchen ...«
»Holz ist Holz«, meint die Abadie. »Wir können nicht wählen wie die Kunden im Laden.«
»Aber wir haben ja kein Messer, um die Äste abzuschneiden«, versucht Bernadette noch einmal ihr Glück.
»Ich habe Papas Taschenmesser mitgenommen«, triumphiert Marie und zieht das plumpe Ding aus der Schürzentasche. Das Gespräch wird von Leyrisse und seinen grunzenden Schweinen unterbrochen, die den Heimweg von Massabielle ums Mittagläuten angetreten haben. Der gute Sauhirt grinst übers ganze Gesicht und zieht vor Bernadette eigens die Mütze. Sie lächelt ihn an.
»Oh, Leyrisse hat für Bernadette eine große Vorliebe«, spottet Marie, die, um der überlegenen Jeanne zu gefallen, sich dann und wann auf Bernadettes Kosten lustig macht. »Die beiden sind ja Kollegen ...«
»Ich habe keine Schweine gehütet«, stellt Bernadette ohne Gekränktheit fest, »sondern Ziegen und Schafe ... Ah, wenn ihr wüsstet, wie süß so ein ganz kleines Lamm ist, ein fast neugeborenes, wenn's einem im Schoß liegt ...«
Marie beginnt sich wieder über ihre Schwester zu ärgern, denn sie fühlt sich als Städterin und verachtet Viehzucht und Landwirtschaft.
»Geh, du Blöde, mit deinem süßen Wollknäuel ... Wenn nur etwas ganz kleinwinzig und niedlich ist, dann wird sie verrückt ...«
»Ich habe Schweinernes lieber als Lämmernes«, behauptet Jeanne Abadie kennerisch, obwohl man auch in ihrer Familie nur selten zu beiderlei Genüssen kommt.
Die Schleuse am Sägewerk ist zurzeit geschlossen, damit das Staubassin sich füllen kann. Wenn das geschieht, so senkt sich jedes Mal der Wasserstand des Baches so tief, dass die Räder der Savy-Mühle stillstehen. Antoine Nicolau, der junge Müller, benutzt die Gelegenheit, um ein paar der schadhaften Radschaufeln auszuflicken. Mutter Nicolau steht vor der Tür, denn obwohl die Kälte eher schärfer geworden ist, hat sich das Wetter ein wenig aufgeheitert. Die Windstöße haben die Wolkendecke zwar nicht zerrissen. Aber die Wintersonne dahinter durchdrängt sie mit einem feuchten Licht, das die Chalet-Insel mit leichten Schauern übersprüht.
»Das sind die Soubirous-Kinder«, sagt die Müllerin. »Das dritte Mädel kenn ich nicht.«
»Ich glaub, die heißt Abadie, ein naseweiser Fratz«, meint Antoine, legt das Handwerkszeug beiseite und strafft seine Gestalt. Er ist ein hübscher großer Junge mit treuen Augen und einem schwarzen, ausgezwirbelten Schnurrbart, auf den er nicht wenig stolz ist. Die Mädchen grüßen zur Mutter Nicolau hinüber.
»Wie geht es euren Eltern«, ruft die Müllerin. »Richtet eine schöne Empfehlung aus von der Savy-Mühle!«
Obwohl François Soubirous kein Mühlenbesitzer mehr ist, sondern nur ein arbeitsloser Tagelöhner, so befleißigt sich Madame Nicolau dennoch einer herablassenden Freundlichkeit, hat sie es doch mit ehemaligen Standesgenossen zu tun.
»Und mir wünscht niemand einen guten Tag«, beklagt sich Antoine.
Da geht Bernadette auf ihn zu und reicht ihm die Hand:
»Verzeihen Sie bitte, Monsieur Nicolau!«
»Und wohin des Wegs, meine Damen?«
»Oh, wir bummeln nur ein bisschen so herum«, erwidert Marie vorsichtig, »und vielleicht nehmen wir vom Weg eine Welle Reisig mit nach Hause ...«
»Ist es erlaubt, den Mühlsteg zu benutzen?« fragt Jeanne Abadie mit gewohnter Höflichkeit. Antoine macht eine galante Geste:
»Von den Damen wird keine Brückenmaut eingehoben.«
Der Steg besteht aus drei schmalen Brettern mit fast ebenso breiten Spalten dazwischen. Marie und Jeanne balancieren geschwind hinüber. Bernadette bleibt in der Mitte stehen und beugt sich tief hinab, um durch die Spalten des Stegs die hüpfenden Wellchen des Savy zu betrachten. Sie liebt es über alles, ins Wasser zu schauen. Die Stimmen der Müllersleute hört sie nicht mehr: »Wie schnell man herunterkommt, wenn man nicht zusieht«, meint die Nicolau. »Jetzt schicken die Soubirous ihre Kinder Holz stehlen in den Schlosspark ...«
»Warum nicht«, versetzt Antoine großmütig. »Vielleicht stehlen sie gar kein Holz bei Lafite, sondern holen nur ein bisschen Reisig im Saillet-Wäldchen. Das tun wir doch auch ...«
Mutter Nicolau aber runzelt die Stirn:
»Wer spricht von Reisig? Der gute Soubirous hat doch schon einmal Pech gehabt mit frisch geschlagenem Holz ...«
Antoine nimmt den Hammer und beginnt das neue Brett an die bemooste Radschaufel anzunageln. Die Hammerschläge des Müllers verfolgen die Mädchen auf ihrem ganzen «Weg. Jetzt haben sie das Parktor erreicht, das zum Herrenhaus führt. Eine breite Platanenallee gewährt den Durchblick zur Rampe. In dieser Allee geht ein einsamer Herr in einem weiten Mantel mit großen Schritten auf und ab. Er scheint äußerst erbittert zu sein, denn er gibt auf den Gruß der Kinder keine Antwort, sondern spricht mit taktierenden Armen zu sich selbst. Hie und da macht er Eintragungen in ein Taschenbüchlein.
»Das ist Monsieur de Lafite, der Cousin aus Paris«, flüstert Jeanne Abadie ehrfurchtsvoll. »Sicher zählt er jetzt alle Bäume des Parks zusammen und berechnet, was sie kosten ...«
»Guter Gott«, erschrickt Marie. »Da wäre es besser, wir würden den Rat der Piguno nicht befolgen ...«
»Freilich, das ist jetzt ganz unmöglich«, ruft Bernadette und fühlt sich befreit.
»Wie seid ihr doch feige, ihr Soubirous«, erklärt die Abadie, läuft aber ebenso schnell wie die andern davon, um den Augen des vermeintlichen Baumzählers zu entkommen. Und dies war die vierte Begegnung der Mädchen.
Sie stapfen nun durch die weglose, feuchte, stark bebuschte Heide. Bernadette beginnt aus den Sträuchern Ruten zu knicken. Die beiden Lebenstüchtigen lachen:
»An dem Zeug da wird sich niemand die Fingerspitzen verbrennen.«
»Am besten, man geht hier immer weiter«, sagt Bernadette, die diese Gegend kaum kennt. »Man wird schon weiter unten mehr finden ...«
Jeanne Abadie, eine patente Geographin, deutet mit der Hand großartig nach Westen:
»Wenn wir da weiterlaufen, werden wir leicht in Betharram sein, ohne etwas gefunden zu haben ...«
Sie irrt sich insofern, als ein natürliches Hindernis, der Zusammenfluss des Mühlbachs mit dem Gave, sich ihnen in den Weg stellt. Sie haben die Landzunge voll Geröll und Sand unter den Füßen und können die schwarze Brandstelle sehn, wo Vater Soubirous heute, um das Entgelt von fünfundzwanzig Sous, sein Autodafé fleischlichen Elends abgehalten hat. Zu ihrer Linken zieht sich der niedrige bewaldete Rücken des Spelunkenberges hin, und die Höhle Massabielle liegt da im Licht- und Schattenspiel des trägen ziehenden Gewölkes.
»Da«, schreit die Abadie. »Seht nur dort die vielen Knochen ...« Und sie zeigt mit den Fingern auf ein paar weißliche Hammel- oder Rindsknochen, die das Wasser an den Fuß des Grottenfelsens gespült hat. Die leuchten unterm Geröll deutlich hervor.
»Wenn man diese Knochen an Gramont, den Lumpenhändler, verkauft«, berechnet Marie eilig, »so bekommt man zwei bis drei Sous mindestens. Dafür gibt einem Maisongrosse ein großes Weißbrot oder einen ganzen Kristall Kandiszucker ...«
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