Der Schwangerschaftstest war negativ, doch weil es lediglich noch zwei Tage bis zur Abreise waren, hatte Klara beschlossen auf einen Anruf ihrer Frauenärztin zu verzichten. Gleich nach ihrer Rückkehr würde sie sie aufsuchen. Wahrscheinlich war ihr Körper mit der Umstellung der Medikation irgendwie nicht klar gekommen, fernmündliche Konsultation zwecklos. Ein Zusammenfallen einer Schwangerschaft mit den aufkeimenden Ideen zur Familiengründung, wäre in der Tat ein sehr ungewöhnlicher Zufall gewesen. Leicht enttäuscht nahm Tobias das Testergebnis auf. Schade, das hätte gut gepasst , war seine knappe Anmerkung sobald Klara aus dem Badezimmer getreten war und ihn das Ergebnis wissen lassen hatte. Klara setzte sich auf die Bettkante neben ihn, der im Liegen ruhte. Achselzuckend äußerte sie Mutmaßungen über die Gründe des Ausbleibens und ihren Vorsatz, gleich in der kommenden Woche, ihre Ärztin aufzusuchen. Dann schickte sie sich an, zum ersten Mal seit jener Unterhaltung am Strand, in der Tobias den Vorschlag mit dem Au Pair Mädchen unterbreitet hatte, kundzutun, dass sie gewisses Zutrauen in seine Idee gefasst hätte. Nach ihrer Rückkehr würde sie die Bedingungen für den Erhalt eines Au Pair Mädchens in Erfahrung bringen. Tobias richtete sich mittels zweier Kissen im Bett auf, seine Augen bekamen einen lebhaften Ausdruck. Klaras Vorstellungen, wie das Zusammenleben in der Konstellation mit einem Au Pair aussehen könnte, sprudelten aus ihr heraus. Tobias hörte aufmerksam zu, ohne sie zu unterbrechen. Natürlich , meinte sie schließlich zögerlich, da, obgleich Tobias Zustimmung zeigte, er bislang verschwiegen hatte, wie er seine Rolle sah, würde ich gerne wissen, wie du glaubst, Job und Vaterschaft unter einen Hut zu bringen. Nun es freut mich, zu hören, wie du dich mit meinem Vorschlag auseinander gesetzt hast, setzte er an, während er nach seiner Brille am Nachttisch griff, um die Gläser zu putzen. Ich denke, wir sollten realistisch bleiben. Unter der Woche werde ich weiterhin auf Reisen sein, damit wird mein Beitrag begrenzt ausfallen. Ich könnte in jedem Fall versuchen, an den Freitagen vom Hamburger Büro oder gar von zu Hause aus zu arbeiten. Das wird sicherlich nicht durchwegs klappen, aber ein oder zweimal im Monat schon. Kurz blickte Tobias von seiner Brille zu Klara auf. Mit Hilfe eines Au Pair Mädchens sollte allerdings für die unterwöchige Betreuung ausreichend gesorgt sein und du selbst hättest immer noch genügend Freiraum. An den Wochenenden will ich mich natürlich um das Kind kümmern. Außerdem würde ich versuchen, eine mehrwöchige Auszeit nach der Geburt zu nehmen. Das fände ich gut, bekräftigte Klara nickend. Vielleicht direkt nach der Geburt für ein paar Wochen und dann später.. dachte sie laut. Wann genau, ob direkt nach der Geburt oder wenige Monate danach, das wird sich aus der Auftragslage ergeben, unterbrach er sie. Meines Wissens war eine Auszeit aber bei keinem meiner Kollegen ein Problem . Klara nickte stumm, sie hatte nichts hinzuzufügen. Tobias hatte seine Vorstellung von der Aufgabenteilung im Falle eines Kindes präzise umrissen. Wie zu vermuten gewesen war, war seine Denke recht traditionell, konstatierte sie kühl. Das Kind war dem gemäß unter der Woche ihre Verantwortung, am Wochenende ihre gemeinsame. Eigentlich hatte sie so eine Form von Familienleben nie leben wollen. Wenngleich sie sich nie nähere Gedanken darüber gemacht hatte, wie ein Leben mit Kind genau aussehen könnte, schließlich war sie noch so jung, so hatte sie Tobias immer wieder zu verstehen gegeben, dass ein Kind nicht in Frage käme, solange er die ganze Woche geschäftlich unterwegs wäre. Andererseits war Tobias’ Argument nicht von der Hand zu weisen, der Zeitpunkt für eine Familiengründung war gerade günstig. Sie hatten nun ausreichend Platz, Geld und obendrein würde sie mit Hilfe eines Au Pair Mädchens genügend Freiräume besitzen. Unvermittelt klatschte sie auf ihre Oberschenkel, um die in ihr dennoch aufkeimenden Zweifel über den vor ihnen liegenden Weg zu vertreiben, und schlug einen Strandspaziergang vor.
Am kommenden Morgen erwachte sie mit heftigen Kopfschmerzen. Es konnte eigentlich nicht an dem einen Glas Wein vom Abend zuvor liegen, wunderte sie sich, während sie sich im Bett wälzte. Tobias betrat frisch geduscht, in grünen Shorts mit noch nacktem, mittlerweile kräftig gebräuntem Oberkörper das Schlafzimmer. Los, Schlafmütze, wenn wir heute tauchen gehen wollen, ist es höchste Zeit aufzustehen . Heiterkeit schwang in seiner Stimme mit, energisch fuhr er sich mit dem Handtuch zum Trocknen durchs Haar. Klara setzte sich stöhnend auf. Nicht nur den Kopf, auch alle Gliedmaßen spürte sie nun. Irgendwie fühle ich mich heute wie gerädert , murmelte sie. Vielleicht habe ich mir einen Infekt eingefangen. Jetzt gehe erst mal duschen, vielleicht geht es dann besser, schlug Tobias aufmunternd vor und öffnete den Kleiderschrank. Die lauwarme Dusche änderte nichts an Klaras Verfassung. Lustlos blickte sie auch auf ihr morgendliches Rührei auf der Hotelveranda und entschloss sich, lediglich mit einer Scheibe Buttertoast und etwas Tee vorlieb zu nehmen. Meinst du, du kannst überhaupt tauchen gehen?, fragte Tobias sie aufmerksam musternd, nachdem er nahezu sein ganzes Rührei verschlungen hatte. Klara rang mit sich, schließlich war es ihr vorletzter Tag und sie waren extra früh aufgestanden. Es würde keine weitere Gelegenheit zum Tauchen vor ihrer Abreise geben. Der Tauchgang sollte zu einem Schiffswrack führen, mit Muränen und Riffhaien war zu rechnen. Aber in dieser Verfassung, Klara zweifelte. Schließlich war es auch peinlich nach Hause zurück zu kehren, um sich dann sofort krank zu melden. So ein Mist, durchfuhr es sie. Verärgert wischte sie sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Rossschwanz gelöst hatte, aus dem Gesicht. Nein, ich glaube, es ist wohl vernünftiger, wenn ich mich auf unsere Pavillon Veranda lege, um mich auszuruhen. Bestimmt ist dann morgen wieder alles gut, entgegnete sie zerknirscht, ohne die geringste Ahnung zu haben, wie sehr sie sich mit dieser Vermutung irren würde.
Eine dunkle Stimme sagte Atmen Sie ruhiger, mein Kind. Ein hochgewachsener Mann im weißen Kittel, mit rosigem Gesicht, brauner Nickelbrille, stand vor Klaras Bett in einem weißen Zimmer. Wir werden ihnen gleich eine Tauchausrüstung anlegen , fuhr er im ruhigem Ton freundlich lächelnd fort. So können sie das ruhige Atmen besser üben. Ruhiges, gleichmäßiges Atmen, ging es Klara durch den Kopf, das fiel ihr beim Tauchen gerade zu Beginn immer schwer. Neben dem hochgewachsenen Mann tauchte eine zierliche Frau auf, ebenfalls in Weiß, mit kurzem, wasserstoffblondem Haar. Bepackt war sie mit einer bronzefarbenen Helmtauchausrüstung, Klara meinte diese Ausrüstung aus Jule Vernes Erzählungen zu kennen. So ein altes Ding, entrüstete sie sich innerlich. Das sollte sie anlegen? Obschon sie die Lippen zum Protest formte, brachte sie keinen Laut hervor. So, mein liebes Kind, die wird ihnen Schwester Kristin nun gleich anlegen. Und dann üben Sie bitte das ruhige Atmen weiter, fuhr der Mann mit der Nickelbrille milde fort. Sie versauen ja den ganzen Schnitt des Zimmers, wenn sie in einer Tour so schnell weiter hecheln! Lautes Lachen ging von ihm aus, dann schritt er eilig von dannen. Klara drehte den Kopf, schwerfällig, die Umrisse des Mannes verschwammen rasch. Die blonde, zierliche Frau machte sich nun ans Werk, ihr die behäbige Tauchausrüstung in der liegenden Position anzulegen. Wie lange das doch dauerte und wie beschwerlich es doch war. Seltsamerweise blieb ihr Mund erneut stumm, als sie ihre Klagen offenbaren wollte. Während Kristin Klaras Arme und Beine ungelenk in die stählerne Ausrüstung zu bugsieren suchte, entdeckte diese weitere Personen im Raum. Schemenhaft erkannte sie unweit ihres Bettes einen mageren Jungen, halbnackt in einer Zinkbadewanne sitzen, der sich unablässig mit einer Stahlbürste die Füße schrubbte. Die Bürste zischte wie ein Bügeleisen im Dampfbetrieb, seine Fußsohlen glühten feuerrot. Im weißen Bett ihr schräg gegenüber lag eine voluminöse Frau. Aufrecht auf unzähligen weißen Kissen gebettet, jammerte sie nun laut. Komisch sah sie aus in ihrem bonbonrosa Rüschennachthemd, an dessen Spitze ihr monströser, krebsroter Kopf, umgeben von senffarbigem Haar, thronte. Klara blinzelte. Der senffarbige Dutt war gar nicht aus Haar, vielmehr erkannte Klara darin eine dicke Katze, die gleich einem Hut auf dem Kopf der Frau saß. Plötzlich überkam Klara Traurigkeit, denn weder der Junge noch die Frau mussten offenbar wie sie Tauchen gehen.
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