1 ...8 9 10 12 13 14 ...26 „Steht hier ganz klar. Deine Mutter wollte sich daran festbinden lassen, um einem Pulk in Kutten und Kapuzen gekleideter Männer und Frauen ausgeliefert zu sein, die dann machen, was ihnen gerade in den Sinn kommt.“
Ich zische wütend: „Das war nicht meine Mutter! Die hat sowas nicht gemacht!“
„Ist ja schon gut. Vielleicht waren es ja nur Fantasien. Die hat ja jeder und sind nicht verboten.“
Ich bin wirklich wütend, weil es eigentlich offensichtlich ist und mir weitere Skizzen und die vielleicht dazugehörigen Geschichten einfallen. Und was das für ein Licht auf meine Mutter wirft, kann ich fast nicht mehr ignorieren. Aber das kann einfach nicht sein. Meine Mutter war nicht so!
Und um meine Wut rauslassen zu können, zische ich Manuel entgegen: „Ja, deine Fantasien hat man heute beim Frühstück gesehen. Manoman. Dir ist bei Katjas Anblick fast einer abgegangen.“
Manuel öffnet den Mund und schließt ihn wieder, als wäre ihm die Antwort abhandengekommen. Dann setzt er sich in meinem Lederschreibtischstuhl zurück und sieht nur zu mir auf. Leise, als solle das bloß keiner hören, nicht mal ich, raunt er: „Ey, Joel. Sei nicht sauer. Aber du glaubst nicht, was sie gestern gemacht hat!“
Ich kann mir nicht denken, was er meint. Aber er wartet nicht ab, dass ich danach frage.
„Die Lektüre hat mich gestern echt durcheinandergebracht. Sie ist wirklich verstörend und ich war etwas geladen. Aber ich dachte, es schlafen alle, als ich ins Badezimmer wollte.“ Manuel sieht mich nicht an und beginnt das Blatt, dass er noch in der Hand hält, aufzurollen. „Katja war aber noch wach und kam aus dem Bad. Sie sah mich und sie sah … naja.“ Er schluckt schwer und als wolle er es schnell hinter sich bringen, raunt er noch leiser: „Sie hat mir einen geblasen.“ Er sieht auf, weil ihm wahrscheinlich einfällt, dass ich nicht weiß, was er meint. Aber ich weiß das. Ich habe es in einem Porno gesehen.
Er fügt hinzu und kann die Begeisterung in seiner Stimme kaum im Zaum halten: „So richtig. Bis zum End. Ich schwör dir, das war der Wahnsinn!“
Ich starre Manuel nur an und versuche nicht die Bilder hochtreiben zu lassen, die Katja mit einem Schwanz im Mund zeigen. Mit meinem Schwanz. Denn das Bild drängt sich plötzlich in mir hoch.
„Das ist so eine elende Schlampe“, zische ich aufgebracht. „Die macht auch alles, um hier weiterhin umsonst wohnen zu können.“
Manuel sieht mich perplex an. „Hat sie dir auch schon?“
Ich brauche, bis ich erfasse, was er meint. „Neiinnn! Um Gottes willen!“
„Aber du sagtest gestern, dass dir die Wohnung gehört. Dann sollte sie dir besser einen …“, weiter kommt Manuel nicht.
„Sie will uns gegeneinander ausspielen. Deshalb macht sie das. Und sie weiß nicht, dass mir die Wohnung gehört und soll es auch nicht erfahren“, unterbreche ich ihn barsch.
Kurz sperrt sich etwas in mir. Es ist der Gedanke, was sie mit mir alles anstellen würde, wenn sie wüsste, dass die Wohnung mir gehört. „Ich habe ihr angedroht, sie hinauszuwerfen. Deshalb fährt sie schweres Geschütz auf. Und sie weiß, was sie tun muss, um hier weiterhin wohnen zu können.“
Ich bin wirklich wütend. Ich weiß nur nicht worauf. Vielleicht, weil Katja mir immer mehr die Möglichkeit nimmt, wirklich etwas gegen sie auszurichten. Das ärgert mich. Sie ist so viel schlauer als wir alle zusammen.
„Wie, und sie zahlt nichts dafür?“, fragt Manuel in dem Moment verwirrt. „Wir haben doch unseren Satz extra gekürzt, als sie einzog.“
Ich nicke und sehe ihn nicht an. Ich weiß, ich bin selbst schuld. Ich bin bisher nicht resoluter gegen sie vorgegangen, weil ich immer dachte, dass sie irgendwann von sich aus kommt, wenn sie Geld hat. Aber die zwei Einsätze von ihr blieben bisher aus.
„Sie hat noch nichts gezahlt? Nicht mal für das Essen?“ Manuel ist wirklich aufgebracht.
Ich schüttele den Kopf.
„Was sagt Timo dazu?“ Ihm scheint der Gedanke, dass Katja sich durchschmarotzt, nicht zu gefallen und ich bin froh darüber. Denn als ich es Timo gegenüber erwähnte, meinte der nur: „Sie hat halt noch keinen Job, der genug abwirft.“
Mittlerweile hat sie eine Lehrstelle bei einem Friseur begonnen. Zumindest laut ihren Äußerungen über das Elend, anderen in den Haaren herumwühlen zu müssen, - wenn sie dann jemals soweit mit ihrer Lehre kommt. Im Moment darf sie wohl nur an Plastikköpfen hantieren, obwohl sie schon ein Lehrjahr in einem anderen Friseursalon hinter sich gebracht hat, was sie dann aber hinschmiss. Deshalb setzten ihre Eltern sie wohl vor die Tür. Zumindest stellte Timo das damals so hin. Aber ich weiß nicht, was an ihrer Geschichte wahr ist und was nicht. Wahrscheinlich hat sie schon einige WGs geprellt und musste gehen, als es nicht mehr reichte, die Beine breit zu machen.
„Hm, und wer zahlt ihren Anteil?“, fragt Manuel und sieht mich groß an.
Das ist mir wirklich peinlich. Denn bisher ging das allein auf meine Kappe. Timo hat auch keine Kohle und Manuel wusste bisher nichts davon.
„Du!“, sagt Manuel im nächsten Moment und nickt, als wäre ihm alles klar. Kopfschüttelnd fügt er hinzu: „Unglaublich. Und dann bläst sie dir nicht mal einen.“
„Weil ich die nicht will!“, rufe ich aufgebracht und laufe durch mein Zimmer, als wäre ein beißwütiger Hund hinter mir her. „Ich will doch keine, die für jeden die Beine breitmacht.“
Ich schlucke schwer, als mir in den Sinn kommt, dass alles danach aussieht, als wenn sogar meine Mutter uns so ernährt hatte. Und das macht mich fertig.
Ich sehe Manuel an und er nickt verstehend. Aber er spricht nicht aus, was in seinem Kopf zu rotieren scheint. Nämlich: „Wie deine Mutter!“
Ich werfe mich auf das Sofa und winke ab. „Lass uns das Thema wechseln. Also, eins ist klar. Meine Mutter hat das nicht mit sich machen lassen, was dort steht. Das muss irgendwie anders zusammenhängen und wir beide müssen herausfinden, wie.“
Manuel sieht mich noch einen Moment lang skeptisch an. Doch dann nickt er und raunt: „Überlässt du mir noch ein wenig den Laptop deiner Mutter? Vielleicht finde ich ja doch noch was.“
Ich winke nur zum Schreibtisch. „Nimm mit! Wenn einer etwas damit anfangen kann, dann du.“
Manuel legt das zusammengerollte Stück Papier auf das Heft und greift nach Mamas Laptop. „Ich sage dir Bescheid, wenn ich mehr herausfinde.“
„Danke!“, erwidere ich nur und bin froh, dass er geht. Die Sache mit Katja und Manuels Mutmaßungen über meine Mutter setzen mir zu. Ich brauche etwas Ruhe und Bedenkzeit. Ich muss das erst mal alles verkraften.
Manuel findet nichts Brauchbares. Er regt sich sogar darüber auf, dass meine Mutter nicht mehr Einträge bei Google aufweist. Es gibt nur die Homepage des Internetcafes, die aber wirklich klasse ist. Ich hatte sie mir noch nie angesehen und sie hatte sie mir noch nie gezeigt. Aber selbst Manuel meint, dass die ein professioneller Webdesigner gemacht hat. Also nicht meine Mutter.
Manuel hat sie außerdem bei den sozialen Netzwerken gesucht. Aber nichts gefunden, obwohl ich weiß, dass sie früher schon bei Facebook war und auch in einem Chat. Aber es gibt keine Daten dazu, die uns auf irgendeine Internetseite von ihr bringen. Aber ihr Mailaccount läuft noch, bietet aber nur Werbung. Da ist nichts Brauchbares bei. Auch keine Einträge, die auf einem Facebookaccount deuten. Es ist enttäuschend.
Ich habe noch in Mamas Koffer aus Kinderzeiten geforscht. Da waren allerlei Briefe drinnen, die man als Liebesbriefe einstufen könnte. Sie sind von verschiedenen Jungen. Mama war früher sehr beliebt.
Dann gibt es ein Tagebuch. Aber es fehlen viele Seiten, die herausgerissen wurden. Daher fand ich nichts Interessantes, was mir erzählt hätte, wie meine Mutter in ihrer Jugend drauf war oder was sie erlebt hatte.
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