A1 zog sich aus seiner philosophischen Gedankenwelt zurück und wandte sich wieder allgemeinen Interessen zu.
Die Werte der Menschen ließen sich mit keiner anderen Kultur im Weltraum vergleichen. Sie überragten alle. Dazu zählten besonders Poeten, Musiker, Bildhauer und Maler. A1 hatte mithilfe seines ausgeströmten Teams künstlerische Werke der Erdenbewohner in seinem Land angesiedelt. Er liebte die Poesie und ganz besonders Friedrich Schiller. Ein Gedicht hatte es seinem Gemüt immer wieder angetan. Es nannte sich die
Ode an die Freude
Friedrich Schiller
Freude, schöner Götterfunken,Tochter aus Elysium,Wir betreten feuer trunken,Himmlische, dein Heiligtum.Deine Zauber binden wieder,Was die Mode streng geteilt;Alle Menschen werden Brüder,Wo dein sanfter Flügel weilt.
Wieder und wieder versuchte er in die Geheimnisse dieser Zeilen Schillers einzudringen und trug sie sich selbst vor. Warum aber, fragte sich A1, schaffen es die Menschen nicht, Brüder oder Schwestern zu werden und leisten es sich im Gegenteil, sich permanent zu bekriegen und warum wollen sie sich stets das Leben schwer machen? Überall in den Universen erforderte es ein besonderes Verständnis ,sich am Leben zu halten. Es blieb offenbar schwierig, die beiden Einheiten Geistwesen und Körperwesen in einer friedlichen Koexistenz zusammenzufügen.
Darum aber schien es vielen Erdenfürsten gar nicht zu gehen. Es war das Ego, das im Vordergrund stand. Die kleinen und großen Wortscharmützel mit anderen Potentaten brachten jeden politischen Führer selbst in gleißendes Licht der Aufmerksamkeit, wenn er es auch noch verstand, selbst jedes kritische Wort über ihn für sich selbst auszuschlachten.
Diese Falschspieler übten sich alle, wie eine der bekanntesten Filmgrößen der Erde in der Rolle der Feiglingsspieler. Vor einigen Jahren - für A1 war es nur ein Hauch der Zeit - hatte auf der Erde der junge Superstar, James Dean, in dem Film „...denn sie wissen nicht, was sie tun“ die Rolle des unverstandenen Jugendlichen fantastisch dargestellt und war damit zum Bösewicht der erwachsenen Elite geworden. Während die Teens ihn über alle Maßen bewunderten und verehrten. Weil der Bursche auch noch in einem Sportauto ums Leben kam war er bis zum aktuellen Zeitpunkt zu einer der Filmikonen geworden.
Das Bild des Feiglingsspielers wurde zur damaligen Zeit auf der Erde gemalt. Ein Bild, das schnell um sich griff und die willkürlich gemachte Größe politischer und wirtschaftlicher Potentaten in Zweifel zog. Wie wurde dieses Spiel im Film gespielt, welchen Sinn hatte es, was bezweckten die Hauptakteure damit?
Zwei Spieler treten in einem Wettbewerb gegeneinander an und treiben das Risiko des Ausgangs bis zum Äußersten. Dean und sein Gegner rasen in zwei gestohlenen Autos auf eine Klippe zu. Wer als erster aussteigt, wird zum Chicken, zum Feigling. Den wahren Irrsinn des Spiels zeigt der Film, weil letztlich der Ausgang des Wettkampfes noch nicht einmal vom eigenen Willen beeinflusst wird, sondern weil die Zufälle und die Umstände es so wollen. So ist es in dem Film „...denn sie wissen nicht, was sie tun“ der Jackenärmel des Kontrahenten, der beim versuchten rechtzeitigen Absprung am inneren Türgriff des Wagens hängen bleibt und den Spieler mit in die Tiefe reißt. Nur um im gleißenden Scheinwerferlicht, wegen des zweifelhaften Beifalls oder wegen ominöser Berater geht der Spieler das Spiel ein und kommt darin erbärmlich um.
Heutzutage sind es oft Politiker oder Wirtschaftsbosse, die den Feiglingsspieler abgeben. Wohl wissend, dass sie in Ihrem Tun die Menschheit in eine Katastrophe stürzen können, gehen sie unverantwortliche Risiken ein. Ausschließlich zum Zweck unter gleißenden Scheinwerfern im Rampenlicht zu stehen, wegen fataler Versprechen an die Wähler, um die nächste Wahl zu gewinnen, um sich selbst als besten aller Nationenführer darzustellen oder einfach um das eigene Säckel mit Moneten füllen.
A1 hatte auf Akriba Informationen über eine Jugend der Erdenmenschen mit verrückten Abenteuern erhalten. Er nutzte die Erinnerungen, um sich die aktuelle fatale Situation auf der Erde klarzumachen.
„Mit Kriegserlebnissen voll gespickt waren wir entweder besonders mutig oder besonders feige“, so hieß es in einem Buch aus der Zeit, „das kam unserem Spiel zu pass. Wir konnten sowohl die Mutigen als auch die Feiglinge gebrauchen. Nur so ergab sich eine andauernde Spannung in unserem Leben.
Mein Bruder war der Mutigste. Er klettere auf eine 20m hohe Fichte im Wald und schwang auf dem Gipfel solange hin und her, bis er den Moment für gekommen hielt, sich loszulassen und mit Schwung die nächste Fichtenspitze anzuspringen. Niemand hat ihm das bisher nachgemacht. So konnte er sich vollkommen durch den Busch, wie wir das Wäldchen nannten, bewegen, bis er wieder an den Ästen der Fichte hinabsauste. Die Bewunderung von uns allen war ihm stets gewiss und er genoss die beispiellose Aufmerksamkeit. Das Spiel spielte er alleine.
Dann gab es ein weiteres Feiglingsspiel, das wirklich eins der gröberen Sorte war. Es gab noch nicht so viele Abenteuer, die wir uns aussuchen konnten. Die ausgewählten aber hatten es in sich. Der „Todessprung“ im Wasser war eins von denen. Dann gab es die „Kreuzigung“, die ein Bursche nicht überstand, die „Panzerfahrt“ zu Tale auf selbst gebastelten Fahrzeugen aus Holzbrettern und Kabelrollen als Räder, die „Baggerfahrt“ mit einem kurz geschlossenen und gestohlenen Bagger, die „Handgranate“, ein Überbleibsel aus dem gerade verlorenen Krieg, ebenso die „Panzerfaust“ und der freihändige „Schlittschuhsprung“, nicht zu vergessen die „Taubenjagd“ in der Dachrinne auf dem Spitzdach unserer Dorfkirche. Was hatte es mit dem „Todessprung“ im Wasser auf sich?. Sommer 1947, heiß und trocken. Unsere einzige Bademöglichkeit ergab sich im mäandrierenden Flüsschen Dhünn. Die Biegungen im Flussbett hatten einen kleinen See ausgebaggert, den wir nutzten.
Die Regeln für unser Feiglingsspiel waren so einfach wie die Folgen schwer waren. Jeweils zwei von uns sollten mit angelegten Armen nebeneinander auf das Wasser zu rennen und einen Kopfsprung in den kleinen See wagen. Wer für den Absprung zu feige war und kurz davor auswich, hatte verloren. So hatten wir bereits nach dem ersten Springerpaar ein starkes Ergebnis, an das wir uns alle bis ins hohe Alter erinnern sollten. Einen Feigling gab es, der für den Sprung nicht mutig genug war und von da an gehänselt wurde. Neben diesem Feigling wurde der mutige Sieger des Spiels geehrt. Ohne vorgestreckte Hände stieß er bei seinem Kopfübersprung mit dem Schädel unter Wasser auf einen spitzen Fels, den niemand zuvor gesehen hatte. Wir bewunderten den Burschen, der mit blutendem Schädel auf einem holpernden Pferdewagen in die Klinik gefahren wurde. Er verließ nie wieder das Krankenhaus, wechselte von einer Klinik zur anderen bis er mit seinem Genickbruch sein Leben in einem Heim für Schwerbehinderte beendete.
Außer diesem Genickbruch hatten wir bei unseren Feiglingsspielen nur einen einzigen Todesfall, ein mit Steinen ausgeschlagenes Auge und eine abgerissene Hand durch eine alte Kriegshandgranate. Noch ein paarmal hatten wir Glück, als wir eine faustvoll Gewehrpatronen in ein Feuer warfen, die nach allen Seiten wie ein Feuerwerk prasselten.
Heute dagegen wirken die Feiglingsspiele eher harmlos. Harmlos vor allem für den Hauptspieler. Weil sie ihn persönlich niemals in Verlegenheit, geschweige denn in Gefahr bringen würden. Als Pfand hat der Feiglinsspieler immer nur ein ganzes Volk, den Verlust von Ländereien, Hungersnot für andere oder Abschlachten von Kindern in einem willkürlich herbeigerufenen Krieg. Der Spieler selbst steht von seinem Spieltisch auf, wäscht sich die Hände rein und zeigt auf den jeweils Nächsten als Schuldigen.
Читать дальше