Ich gewöhne mich langsam an den Anblick von Karin, die hinter ihrem Laptop versunken ist und auf ihrem Rechner parallel zwischen 24 Fenstern jongliert. Manchmal sehe ich von meiner Verlobten nur die Augenbrauen. Und die verheißen oft nichts Gutes.
Eine Website lässt mich aufhorchen: www.crashyourdress.com. Es scheint gängig zu sein, das Kleid nach der Hochzeit nicht aufzubewahren, sondern komplett zu zerstören. Ich sehe auf den Bildern durchgeknallte Bräute, die mit ihrem Kleid ins Wasser springen, Scheiterhaufen mit verbrannten Kleiderfetzen und Paare, die ihre Kleidung unter einer 100-jährigen Eiche verbuddeln. Ich bin überrascht, dass sich meine Zukünftige um das Vernichten eines Kleides Gedanken macht, das sie noch gar nicht getragen, geschweige denn gekauft, ja nicht mal ausgesucht hat. Soll mir recht sein, wenn damit kein schlechtes Omen verbunden ist.
Karins zweite Wahl für die Trauzeugin hat größte Bedenken. Sybilla hat sich ganz und gar dem christlichen Glauben verschrieben. Die Rolle der Missionarin erfüllt sie mit beinahe fundamentalistischem Eifer. Wo andere Frauen eine Handtasche tragen, führt Sybilla eine handliche Bibel mit. Ihr Motto: Moses statt Missoni. Ihr Geld wandert nicht in den verantwortungslosen Konsumkreislauf, sondern direkt in den Klingelbeutel von „Herde und Hirte“. Was Sybilla eine Glaubensgemeinschaft nennt, ist in Karins und meinen Augen nichts anderes als eine Sekte, die ihre Jünger hermetisch abzuschotten versucht.
Wir lassen jedem seinen Glauben, aber reagieren allergisch auf Sybillas mehr oder weniger unterschwellige Bemühungen, uns zu bekehren. Zum letzten Geburtstag hat sie Karin das Buch „Der Tod des Guru“ geschenkt. Dazu gab sie den freundlichen Hinweis, dass die christliche Lehre doch alles beinhalte, was man als guter gütiger Mensch in diesem Leben brauche. Karins lakonische Antwort: Mit dem Tod des Guru habe sie kein Problem und auch nur eingeschränkt mit dem Tod des Buddha, da dieser ja reinkarnieren könne. Sie solle doch bitte etwas sorgfältiger bei der Geschenkeauswahl sein, wenn Sybilla sie von den Vorzügen des Christentums überzeugen wolle.
Sie zur Trauzeugin zu machen ist unser vermutlich letzter Versuch, sie wieder in den Kreis der Moderat-Gläubigen zurückzuholen. Wir beißen auf religiösen Granit.
Karin, du weißt, dass ich als gläubige Christin nicht eine buddhistische Ehe bezeugen kann. Ich will auch nicht auf eine Insel, auf der ich alle paar Meter an einem Tempel oder einer Götter-Statue vorbeikomme.
Hat Jesus nicht gesagt, alle sind an meinem Tisch willkommen?
So groß ist Jesu Tisch nun auch wieder nicht.
Als ob Sybilla beim letzten Abendmahl live dabei gewesen wäre.
Aber unser Tisch. Wir würden uns sehr freuen, wenn du unsere Einladung annimmst.
Da hat Karin Recht. Bei uns bekommen mehr als 12 Apostel was zu essen, und das Menü wird 1. reichhaltiger sein und 2. (hoffentlich) nicht in einer Kreuzigung enden.
Ich möchte, dass du mir am Altar zur Seite stehst.
Und auf dem Altar steht eine Buddha-Statue?
Richtig, ein Buddha sollte niemals auf dem Boden stehen.
Ach?
Du musst ihm ja nicht direkt in die Augen schauen. Und bring gerne deine Reisebibel mit.
Die wird mir am Zoll bestimmt aus dem Gepäck genommen.
Nur wenn du darin Rauschgift schmuggeln willst.
Ich überleg‘s mir.
Mit dem Rauschgift?
Nein, mit eurer Hochzeit.
Das ist mehr, als wir erwarten können. Sybilla wird nun ein mehrstündiges Zwiegespräch mit Gott führen – Ausgang völlig ungewiss.
Handys Reaktionszeiten sind von tiefer buddhistischer Entspanntheit geprägt. Er ist auch kein Freund großer Worte. Mit einem kurzen „Hello“ schreibt er uns zurück und sagt zu, nicht ohne das kleine finanzielle Offering für sein Kloster zu erwähnen, das wir aufbringen müssten. Um die Zeremonie scheint er sich keine Sorgen zu machen. Kein Wunder, im Gegensatz zu uns wird er schon einige abgehalten haben.
Wir insistieren trotzdem. Schließlich sind wir nur drei Wochen auf Bali. In dieser Zeit muss alles Gesetzliche geregelt werden. Wir werden wohl so schnell nicht noch mal vorbeikommen, sollte eines der beteiligten Ämter und Würdenträger (deutsches Konsulat auf Bali, deutsche Botschaft in Djakarta, Handy selbst, sein Kloster und das Standesamt) aus Versehen etwas vergessen haben – oder vielleicht auch mit etwas Absicht. Erst mit der fünften Antwortmail erfahren wir:
Do not worry. Wedding is no problem if you have all the papers.
Wir gehen – wegen des Nebensatzes immer noch leicht beunruhigt – ins Bett.
Während ihres Zwiegesprächs mit Gott – oder was auch immer sie als letzte Instanz sieht – sind in Sybilla zwei endgültige Erkenntnisse gereift: Ihre Teilnahme an der Hochzeit ist mit ihrem Glauben nicht vereinbar. Und sie kann uns auch nicht ihren Segen geben. So viel religiöse Standfestigkeit imponiert mir. Wegen des ausbleibenden Segens mache ich mir keine Sorgen, dafür zahlen wir schließlich Handy eine Gebühr. Doch ursprünglich dachte ich, Sybilla hätte mit drei Ave Marias nach unserer Hochzeit Absolution erhalten können und wieder gute Chancen, in ihrer Herde aufgenommen zu werden. Aber der Hirte scheint strenger zu sein als gedacht. Karin wirft einen nicht allzu freundlichen Blick in den Himmel und ruft als nächste ihre Studienfreundin Brittany an. Die Yogini aus London sagt als Trauzeugin sofort zu („it’s so amaaaaaazing, darling!“). Sie will den Urlaub und unsere Hochzeit mit einem mehrwöchigen Retreat verbinden. Ich bin kurz davor, für Karin und mich nach der Hochzeit auch ein Retreat zu buchen, mit digitalem Detox als festem Bestandteil der veganen Menükarte. Wir planen erst seit wenigen Wochen, und schon geht uns langsam die Puste aus.
Draußen bahnt sich der Frühling an. Ich beschließe, mit Karin einen Ausflug zu machen – praktisch unser erstes Wedding Sabbatical nach Beginn der Vorbereitungen. Hauptsache weg vom Rechner, weg von allen Todo-Listen. Ich bekomme meine Verlobte nur unter Gewaltandrohung ins Auto.
Wie kannst du so ruhig sein? Wie kannst du jetzt einen Ausflug machen, wo wir noch so viel zu erledigen haben? Und warum antwortet Helen eigentlich nicht?
Schatz, darf ich dich daran erinnern, dass sie gebürtige Hawaiianerin ist? Sie hält uns ohnehin schon für verrückt, dass wir ein Jahr vorher ihre Villa gebucht haben und sechs Monate vorher eine Entscheidung zur Tischdeko erzwingen wollen.
Man kann nie früh genug anfangen. Das soll der schönste Tag in meinem – pardon – in unserem Leben sein.
Sie beißt sich auf die Zunge, hat ihren Faux-pas gerade noch korrigiert. Der Rest ist Schweigen.
Karins dritte Wahl für die Trauzeugin meldet sich noch mal und schränkt ihre Teilnahme wieder ein. Sie hat in England den berühmten Yogi Sakresh Hindavar himself getroffen. Seine Heiligkeit hat ihr angeboten, im August gemeinsam ein Retreat durchzuführen. „He is so amaaaaaaazing, darling!“ Auf Deutsch: Sie gibt dem Inder den Vorzug vor Karin. Fun schlägt Freundschaft. Dabei tun wir alles dafür, dass bei unserer Hochzeit der Fun nicht kurz kommt.
Bei Karin hört der Spaß auf. Sie geht weitere mögliche Trauzeugen durch, das heißt Freunde, die sich eine balinesische Hochzeitszeremonie wirklich zutrauen und die weder eine andere Religion noch ein Retreat noch ihren Rücken vorschieben. Sie landet bei ihrem Schulfreund Tim. Er ist zurzeit solo und unseres Wissens auch an keine Yogini gebunden, also in Sachen Urlaub und Freizeitgestaltung maximal selbstbestimmt. Tim soll offiziell zum 2. Trauzeugen ernannt werden, damit er für die 1. Trauzeugin im Notfall (das heißt, wenn der Yogi Brittany ruft) einspringen kann. Ich stimme Karin zu, dass ein Trauzeuge in Reserve noch Gold wert sein kann. Dagegen fühle ich mich mit nur einem einzigen Trauzeugen plötzlich sehr dünn aufgestellt. Tim sagt dann auch tatsächlich zu – unter der Bedingung, dass er rund um die Uhr WLAN-Zugang hat und zur Hochzeit seinen eigenen Gin mitbringen kann. Der Mann gefällt mir. Er setzt klare Prioritäten.
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