Gesprächsnotiz des Telefonats von Marie Lente mit Paul Z. am 19. Januar 1989 (an Barbara Köhler 2009 geschickt)
Marie Lente, Protokollnotiz vom 19. Januar1989: Eben habe ich mit Paul Z. telefoniert und ihn um ein Gespräch gebeten. Die technische Qualität des Telefonats war erstaunlich gut. Hatte das ZK ein eigenes Netz oder einen Mobilfunk?
Paul Z. war sehr höflich, aber angestrengt, dennoch ziemlich präzise in seinen Fragen zu meiner Arbeit. Die erste Frage war keine Frage, sondern ein kaum abzulehnendes Angebot: Er habe ein kleines Büro außerhalb des ZK-Gebäudes auf der Frankfurter Allee, ob ich übermorgen, am 22. Januar früh zu ihm kommen könne. Nachdem ich zugestimmt hatte, gab er mir die Adresse. Er hatte also keine Sorge, dass sein Telefon von irgendeinem Geheimdienst abgehört würde, oder vielleicht war dieses Büro auch allgemein bekannt. Nachdem ich so viel über das illegale Leben von Kommunisten seiner Altersgruppe im Nationalsozialismus gehört hatte, war ich offensichtlich angesteckt und hatte angenommen, diese Leute würden nur mit ihrem „Nom de Guerre“ und ohne Angaben von Adressen das Telefon benutzen. Ich schaute strafend mein blasses Spiegelbild in der Ostberliner Telefonzelle an.
Seine zweite Frage war: „Wird das Interview mit mir veröffentlicht?“
Ich: „Nur in Auszügen oder Zusammenfassungen.“
Er: „Dann werde ich das für meinen Fall nur nach Durchsicht erlauben. Und auch Ihre anderen Gesprächspartner dazu anhalten.“
Das war ein zentraler Punkt und konnte meine Unabhängigkeit gefährden. Laut sagte ich: „Ich nehme das Interview auf, so dass ich nichts schreiben kann, was Sie nicht gesagt haben.“
Er: „Aber ob ich immer das sage, was ich auch veröffentlicht sehen will?“
Dabei beließ er es und stellte nur noch eine Frage: „Bei wem wurden Sie habilitiert?“
Ich sagte es ihm. „Gut“, sagte er, „ich habe ihn mal kennen gelernt.“ Ich glaubte ihm nicht, aber es stimmte.
Notiz des Gesprächs von Marie Lente mit Robert Junge am 20. Januar 1989 (an Barbara Köhler 2009 übermittelt)
Wie es der Zufall so will, heute, kurz nach meinem Telefonat mit Paul Z., traf ich den oppositionellen Schriftsteller Robert Junge wieder. Sagen wir, es war höchstwahrscheinlich zufällig – oder auch nicht. Ich war auf dem Wege zu Walter Friedrichsen und irgendwann kam mir Robert Junge nachgelaufen. Er war auf dem Weg nach Hause, nun gingen wir eine Weile zusammen durch den Schnee. „Wie kommen Sie voran?“, fragte er als erstes.
„Ich habe jetzt bereits 18 Leute interviewt, morgen spreche ich mit Paul Z., und ich bekomme erstaunlich viele Akten vorgelegt.“
„Ich möchte Ihnen die Laune nicht verderben“, antwortete er, „aber Paul Z. ist ein politisches Arschloch, ein liebenswürdig auftretender Mann mit guten Manieren, aber seine angebliche sozialistische Überzeugung ist nur noch die Maske eines Zynikers aus der Nomenklatura. Er ist gefährlich. Außerdem geht er jeder Frau an den Hintern – bildlich gesprochen. Also, passen Sie auf.“
Ich: „Na, hören Sie mal, er ist über siebzig!“
Er: „Na, und?“
Seine Bemerkungen verdarben mir in der Tat die Laune. Er setzte noch hinzu: „Und sind Sie sicher, dass Ihnen die wesentlichen Akten nicht vorenthalten werden?“
Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, aber gut einen Meter auseinander. Er setzte noch einen drauf und sagte: „Ich glaube übrigens nicht, dass Sie mit Befragungen bei dieser Art Mensch irgendetwas Wesentliches erfahren.“
„Da haben Sie etwas gemeinsam mit Ihren SED-Freunden, die halten das auch für ‚subjektivistischen Unsinn‘, was ich mache.“
Er meinte, er habe eigentlich nichts gegen Befragungen, aber diese Menschen würden mich nutzen und nicht umgekehrt.
Als wir uns an der Haltestelle trennten, sagte er: „Erinnern Sie sich an meine Bemerkung über Polen bei unserer letzten Begegnung? Meine polnischen Freunde haben mir gestern berichtet, dass es am 16. Januar einen Beschluss der polnischen Parteiführung gegeben habe, die Solidarność wieder zuzulassen. Wissen Sie, was das bedeuten wird? Der Osten grollt nicht nur, er bekommt tiefe Risse. Wenn Sie Ihre Arbeit fertig haben, wird es auch hier krachen – spätestens.“
Damit verschwand er. Ich wisse ja, wo er wohne, hatte er noch hinzugefügt.
Walter Friedrichsen über Paul Z. (nach Marie Lentes Aufzeichnungen vom 20. Januar 1989)
Es handelt sich im Folgenden um die Aufnahmen oder Zusammenfassungen, die Marie Lente von den Gesprächen am 20. Januar 1989 mit Walter Friedrichsen machte (die Herausgeberin):
Wir hatten uns für das Mittagessen bei ihm verabredet. Ich kam etwas zu spät. Er war deshalb leicht verschnupft, denn er hatte etwas Besonderes gemacht, was es in der DDR nicht alle Tage gibt, wie er lachend erklärte. Bananen umwickelt von Schinkenscheiben in einer Käse-Curry-Sauce überbacken, dazu Reis. Schon beim Essen fragte ich ihn, was er eigentlich heute von Paul Z. hielte.
Walter F.: Er ist ein sehr gebildeter Mann. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, so viel zu lesen – ohne eine wirkliche Ausbildung. Er ist ein Autodidakt, und ab und zu merkt man das. Er ist zum Beispiel immer sauer auf Leute, die eine Universitätsausbildung hinter sich haben, aber zu irgendetwas Wesentlichem in den Augen von Paul nichts sagen können, auch wenn es gar nicht in ihr Feld gehört. Ein Studierter muss eigentlich alles wissen, sonst hat er sein Studium verfehlt. Das war und ist seine Ansicht.
Marie L.: Ich habe auch so einen Zug. Ich vermute bei allen Kindern aus besseren Schichten, dass sie vielleicht nicht alles, aber doch viel mehr wissen müssen als ich, die Tochter eines versoffenen Bauarbeiters und einer angelernten Verkäuferin. Aber ich bin im Gegensatz zu Paul Z. froh, wenn es sich als falsch herausstellt.
Walter F.: Er kann Leute überzeugen, gewinnen oder mitreißen, das ist wohl das Wesentliche. Und er ist unerschrocken, kennt keine Hindernisse, vielleicht auch keine Hemmungen. Nur vor einigen Genossen im Politbüro kuscht er.
Marie L.: Wie passt denn das zusammen? Unerschrocken, aber vor den big numbers kuschen?
Walter F.: Tja, wenn ich das wüsste. Vor Mielke, unserem obersten Geheimpolizisten zum Beispiel. (Dieses Mal schaute ich erschrocken an die Decke.) Das ist eigentlich schon ganz lange so, wenn ich genauer darüber nachdenke. Von einigen Juden weiß ich, dass sie nach den Slánský -Prozessen Angst bekamen, dass es einen Antisemitismus in der SED geben könne, der sich auf einen Antisemitismus in der Bevölkerung der DDR stütze. Aber bei Paul war es eigentlich gleich nach 1945 so. Warum weiß ich nicht.
Marie L.: Ich habe gerade von irgendwem gehört, dass Paul Z. ein Zyniker sei, der seinen Glauben an die Sache verloren habe und Überzeugungen nur noch als Maske vor sich her trage.
Walter F.: Wer sagt denn so was? Nein, ich glaube, er ist überzeugter Sozialist, fühlt nur manchmal, dass das heute nicht mehr reicht, dass wir etwas falsch machen, den Sozialismus mit Rechtstaatlichkeit verbinden müssen. Zyniker wird er nur, wenn es um die Wirtschaftspläne geht. Der Bürokratismus, der dabei entsteht, ersticke jede Initiative und verhindere dynamisches Wachstum.
Marie L.: Na, das ist ja grundsätzlich. Da müsste er doch Gorbatschow-Anhänger sein.
Walter F.: Ach was, er hält Gorbatschow für den Totengräber des Sozialismus und für einen heimlichen Sozialdemokraten.
Marie L.: Eigentlich wollte ich Dich schon länger fragen, ob Du unbefangen über Paul Z. reden kannst. Immerhin war er der Lover Deiner Mutter, in gewisser Weise wie ein junger Vater zu Dir. Und dann nimmt er Dir die Frau weg.
Walter F.: Na, was hast Du denn für Ansichten über den Besitz von Frauen in der Ehe? Ich dachte, damit hätten die Achtundsechziger und die Feministinnen bei Euch aufgeräumt. (Ich sagte nichts) Also, Gabi hatte mich schon vor Paul satt. Ich weiß nicht warum, aber ich fürchte, dass sie mich für einen Opportunisten ohne Rückgrat hielt. Sie hatte von mir als jungem „wilden“ Regisseur gehört, sie machte fast zeitgleich eine Ausbildung als Dramaturg (Dramaturgin, warf ich ein, was er überhörte) . Sie mochte mich, meine Theaterarbeit, auch dass ich mich vom Schatten meines Vaters befreit hatte. Aber sie machte mir immer Dampf, wenn ich mich von irgendeinem Parteibonzen wie am Nasenring durch die Manege führen ließ, bei jedem Zensureingriff, wie sie meinte. Und das stimmte leider. Ich gewann erst nach ihrem Weggang größere Sicherheit und mehr Mut auch gegen Parteieingriffe. Lange Jahre hatte ich diesen Mumm nicht. Manchmal habe ich gedacht, ich habe als Jude eine gewisse Grundangst.
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