Auf dem ersten Blick schien es keinen unmittelbaren Bezug zu einem der mexikanischen Drogenkartelle zu geben, was möglicher Weise das sofortige Interesse der mexikanischen Botschaft und des italienischen Außenministeriums erklären könnte, aber: wieso waren sowohl die mexikanische Botschaft und das Außenministerium bereits drei Stunden nach dem die Vermisstenanzeige bei den Carabinieri eingegangen war, vom Verschwinden der Schülerinnen informiert?
Eigentlich unmöglich?
Irgendwer musste hier nachgeholfen haben.
Und wo waren die Gastfamilien?
Die Vermisstenanzeige hatte die Direktion des örtlichen Liceo erstattet, von den Gastfamilien fehlte bisher jede Stellungnahme zu dem Ereignis, was doppelt merkwürdig war, da nicht nur die Gastschülerinnen, sondern auch die eigenen Teenager verschwunden waren, was aber deren Eltern nicht weiter zu wundern schien.
Der General schickte Cillo zu den bekannten Adressen der Gastfamilien, doch dort war niemand anzutreffen, im Gegenteil. Laut Cillo waren die privaten Wohnhäuser verlassen und fest versperrt.
Das gefiel dem General nicht. Wieso verreiste jemand, der Teenager im schulpflichtigen Alter hat?
Normaler Weise wurde zu Schulbeginn zu Hause der Ausnahmezustand ausgerufen, doch hier verreisten die Eltern einfach mit unbekanntem Ziel. Wäre es möglich, dass sie ihre Gören mitgenommen hatten?
Wenn ja: wieso wusste das Liceo nicht, dass die betreffenden Eltern mit dem Nachwuchs und den Gastschülern verreist waren?
Rätsel über Rätsel und das Außenministerium war schon wieder lästig.
Endlich kam die Malverde daher, in ordnungsgemäßer Uniform, die der Kollegin perfekt stand, wie der General wohlwollend bemerkte und es passte ihm gar nicht, dass die Malverde für die nächsten Tage und Wochen in Zivil herumschwirren würde, um ihre Ermittlungen als Kriminalpolizistin zu führen.
„Was hältst du vom örtlichen Gymnasium?“ fragte der General.
„Nichts.“
?
„Rein gar nichts.“
„Wie kann so etwas sein?“
„Das liegt dort traditionell nur am Personal. Unterste Kajüte. Eine echte Baumschule“, wetterte die Malverde.
„Du hast dort maturiert?“
„Ja. Klar. Einmal und nie wieder. Ist dort etwas geklaut worden?“
„Schön wär’s. Sieben Schüler sind vom Liceo als abgängig gemeldet worden.“
„Sieben Schüler? Abgängig? Wie kann jemand so einfach aus dem Liceo verschwinden? Da scheint mir einiges nicht sehr katholisch zu sein, Herr General.“
„Die Vermisstenanzeige wurde heute Mittag eingebracht. Was hältst du davon?“
„Die Gören werden einfach stiften gegangen sein und sich in Udine herumtreiben. Wahrscheinlich gibt es dort einen Sommerschlussverkauf oder sie gehen ins Kino. Alles keine Gründe, um die Kripo in Bewegung zusetzen“, mutmaßte die Malverde.
„Meinst du?“
„Klar. Welcher Teenager schwänzt nicht ab und zu die dumme Penne? Gerade zu Schulbeginn versäumt man sowieso nichts. Ich jedenfalls war zu Schulbeginn nur fallweise in dem Saftladen anwesend und bin auch mühelos durchgekommen, dazu brauchte es nur einen möglichst knappen Minirock und eine durchsichtige Bluse“, erläuterte die Malverde.
„Minirock? Durchsichtige Bluse? Wem interessiert so etwas im Gymnasium?“ fragte der General.
„Ach dort gibt es einige, die darauf abfahren. Der Italienischlehrer, der Philosophieprof, der Mathematiker, der Lateinpauker. Das sind alles geile Spechte. Ein Mädel hat Probleme in so einem Fach, rein in den Mini, kein BH, die Tittchen wippen unter der dünnen Bluse, schon bist du durch. Ich musste mich in der Oberstufe regelmäßig betatschen lassen“, berichtete die Malverde wichtig.
„Ist das dort ein Puff oder ein Liceo?“ fragte der General zunehmend irritiert über das Sittengemälde, das die Malverde vor ihm ausbreitete.
„Formal ein Liceo mit sämtlichen Fachrichtungen in Wahrheit ein letztklassiger Puff, in dem mit guten und schlechten Noten bezahlt wird“, antwortete die Malverde gewissenhaft.
„Vielleicht sollten wir in diese Richtung ermitteln?“ sagte der General.
„Nichts lieber als das. Ich nehme sofort ein paar Verhaftungen vor und die Teenager haben bis Weihnachten ihre Ruhe vor den Lumpenhunden“, schlug die Malverde vor.
„Abwarten. Wie ist das mit dem Schuleschwänzen? Welche Konsequenzen haben die Schüler zu erwarten, wenn sie erwischt werden?“
„Eigentlich gar keine. Theoretisch könnten sie von der Schule fliegen, aber das ist die absolute Ausnahme, meistens werden die Eltern in die Schule zitiert, eine Spende von Links und die Sache ist zumindest fürs Liceo erledigt, zu Hause gibt es eine ordentliche Kopfwäsche, das war’s“, berichtete die Malverde über ihre unrühmliche Vergangenheit.
„Also kein besonderes Risiko“, stellte der General fest.
„Ach, Herr General, denken sie doch mal an ihre Schulzeit. Die Schule zu schwänzen ist keine große Sache oder sind sie nicht auch lieber ins Kino gegangen um ‚la terra trema’ anzusehen, als dem Lateinlehrer zu lauschen?“
„Hüte deine Zunge, Flintenweib. Ich bin in den siebziger Jahren im Gymnasium gewesen und nicht 1942“, donnerte der General los. So eine wie die Malverde war ganz nach seinem Geschmack, die hatte Haare an den Zähnen, genau so eine Kollegin brauchten die Carabinieri. Zu dumm, dass sie dienstlich dem Kommissar Sollier von der Mordkommission in Triest zugeteilt war, auch so einem Bürokraten, der sich hinter seinen Paragraphen verschanzte, statt einfach dem Verbrechen den Garaus zu machen.
„Was ist mein Auftrag?“ fragte die Malverde.
„Du stellst Recherchen über das mysteriöse Verschwinden der Schülerinnen an, aber diskret. Verhaftungen sind vorerst keine vorzunehmen“, bestimmte der General.
„Verstehe. Ich fahr sofort ins Liceo und hör mich dort um“, sagte die Malverde.
„In Zivil?“
„Besser in Uniform. Dass die Polizei im Haus ist spricht sich in so einem Liceo schnell herum. Wenn wirklich das Personal oder die jugendliche Belegschaft Butter am Kopf hat, wird das Lumpenpack schnell kalte Füße bekommen und die Sache löst sich praktisch von selbst“, sagte die Malverde.
Keine schlechte Idee, stellte der General fest.
3. Ein Höflichkeitsbesuch
Der Auftritt der Malverde im Liceo war unüberhörbar und unübersehbar.
Sie parkte den Streifenwagen direkt vor dem Schuleingang, ließ die Sirene heulen und das Blaulicht kreisen, dann ging sie in ihre ehemalige Schule.
Ihrem ehemaligen Direktor war mehr als unangenehm, dass ausgerechnet die Absolventin seiner Schule mit den Ermittlungen in der heiklen Angelegenheit betraut worden war, die als ausgesprochene Querulantin, ewig renitente, großmäulige Jugendliche, Ultralinke, angehende Feministin, Gewerkschaftlerin, Filmfreak, Kettenraucherin, Drogenexpertin und Schwätzerin der schlimmsten Sorte vielfach Schulgeschichte geschrieben hatte.
Ausgerechnet dieses aufdringliche, unverschämte, lästige Persönchen saß, in der Uniform der Carabinieri, in seinem Büro und schlürfte mit einer Seelenruhe, dass es schon wehtat, Kaffee.
Immerhin ließ sie gleich zu Beginn ihres Auftritts durchblicken, dass sie von der ganzen Affäre nichts hielt und die Angelegenheit eher als gründlich überzogenen Akt der Schulschwänzerei einstufte, die sich wohl in Kürze aufklären würde. Unverschämter Weise wagte die Malverde in Gegenwart ihres Ex-Schuldirektors zu behaupten, dass man im Liceo sowieso nichts versäume und man daher aus der ganzen Angelegenheit keine große Sache zu machen brauchte.
Der Direktor kniff die Augen zusammen, aber was blieb ihm übrig, als gute Mine zum bösen Spiel dieser Angeberin in Uniform zu machen?
Leider erkundigte sich die Malverde nach ihren ehemaligen Italienischlehrer Matteo Monicelli, der im schlechten Ruf stand seine Schülerinnen zu verführen, sich aber, dank seiner guten Beziehungen zur Gewerkschaft noch immer im Schuldienst halten konnte, sowie nach anderen Kollegen aus seinem Lehrkörper, denen sie es wohl aus der Vergangenheit her, heimzahlen wollte, das aber in dieser Direktheit natürlich nicht sagen würde.
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