„Warum willst du ihn nicht einladen?“
„Weil ich doch spätestens Samstag eh wieder nach Hause fahre.“
„Okay“, meinte sie, aber ich hatte den Eindruck, dass sie an meiner Aussage zweifelte. Warum, wusste ich nicht, aber möglicherweise war das weibliche Intuition.
„Wollen wir noch etwas zusammen machen, bevor Thomas kommt oder möchtest du etwas allein sein?“, fragte sie mich. Ich zuckte mit den Schultern.
„Ach komm, jetzt tu nicht so.“
„Was meinst du?“, fragte ich etwas verwirrt.
„Schatz, ich seh, dass dich das alles ziemlich aufwühlt und einer Mutter tut das nie gut, ihr Kind so zu sehen.“
„Mama, mir geht’s gut. Da ist nichts...“, begann ich erneut, aber selbst ich merkte, dass sich das falsch anhörte.
„Wenn du möchtest, kannst du auch das Auto nehmen und ein wenig nach Flensburg fahren, dann kommst du mal ein wenig hier raus“, bot meine Mutter an.
„Das ist echt lieb von dir“, sagte ich dankbar und lächelte sie an. Vielleicht haue ich mich noch ein wenig aufs Ohr. Ich finde, die Seeluft macht mich so träge“, lachte sie und irgendwie musste ich mit einstimmen, denn meine Mutter hatte manchmal so ein herzerfrischendes Lachen, das alle Sorgen verschwinden lassen konnte.
Zurück an der Pension überreichte sie mir ihre Autoschlüssel. „Aber sei lieb zu Paulchen“, meinte sie noch zu mir. Ach ja, meine Mutter und die Autos. Nicht, dass sie ein solch riesiger Fan davon war, aber sie hing doch sehr an ihrem Wagen und gab ihm sogar einen Namen. Ich hatte mal gelesen, dass jeder siebte Deutsche das tat, was ich ziemlich lustig fand. Für mich war ein Auto einfach ein Gebrauchsgegenstand, eine Notwendigkeit. Was wollte ich in Flensburg machen? Einen wirklichen Plan hatte ich nicht. Ich würde einfach ein wenig durch die Stadt bummeln und mich inspirieren lassen. Ich entschied mich, in einem Parkhaus zu parken, dann musste ich nicht so weit in die Innenstadt laufen oder überhaupt erst die Innenstadt suchen. Na ja, eigentlich wusste ich ja auch, wo sie war, aber bei meinem Orientierungssinn konnte das auch durchaus mal passieren, dass ich mich verlief, obwohl ich wusste, wo ich eigentlich hinmusste. Ich ging aus dem Parkhaus raus und befand mich fast mitten in der Stadt. Ich fand, dass die Stadt fast noch schöner war, als Glücksburg, natürlich war hier ein bisschen mehr los, aber ich liebte die engen Gassen und die Fachwerkhäuser. Natürlich gab es so etwas ungefähr auch in München, aber hier war es doch irgendwie etwas anderes und dazu noch direkt am Meer. Einfach herrlich. Wurde ich hier tatsächlich ein anderer Mensch? Ich sah schon die Schlagzeile, falls die lokale Zeitung hier auf mich aufmerksam werden sollte (warum auch immer): „Frieda Meyer – Von der erfolgreichen Anwältin aus München zum Glücksburger Landei“. Ich musste bei dem Gedanken lächeln. Sollte ich mich hier einfach nur an die Förde setzen und ein bisschen die Seele baumeln lassen? Ich schalt mich in Gedanken, dass ich meinen Laptop nicht mitgenommen hatte, dann hätte ich zumindest etwas arbeiten können. „Frieda, bist du doof?“, sagte meine andere innere Stimme (wurde ich hier langsam verrückt?), „Du kannst hier doch nicht an Arbeit denken, genieß die Zeit.“ Ja, das würde ich tun. Und ich würde gleich damit anfangen. Ich schlenderte entlang des Hafens und beschloss dann, die kleinen Gässchen zu erkunden und irgendwie konnte ich mich gar nicht sattsehen. Plötzlich hatte ich auch den Wunsch in solch einem kleinen Häuschen oder so einer Wohnung zu leben. Vielleicht später, wenn ich in Rente gehen würde und Zeit dafür hatte. Ob die Leute hier das wohl auch so wertschätzten, in solchen Häusern zu wohnen oder war es für sie normal? So normal, wie es für mich war, in München zu leben?
Während ich so vor mich hinsinierte, merkte ich auf einmal, dass ich auf etwas Solides traf. Diese feste Masse stellte sich als ein Menschenkörper heraus, in den ich hineingerannt war.
„Passen sie doch auf!“, meinte der Mensch unwirsch. „Jetzt habe ich mir Kaffee über die Hand geschüttet. Nein, ich meine nicht Sie, Herr Fuchs, ich bin nur gerade unterwegs.“
„Entschuldigung, das tut mir sehr leid“, sagte ich und meinte es ehrlich. Dann blickte ich in sein Gesicht und sagte: „Oh, hallo Herr Stattmann.“ Sofort schien auch der Ärger aus seinem Gesicht verschwunden zu sein.
„Frau Meyer, das tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein. Es ist ungewöhnlich Sie hier zu treffen.“
„Ja, ich mache nur einen kleinen Stadtbummel. Aber ich will sie nicht aufhalten. Bis Freitag dann.“ „Ja, bis Freitag“, sagte er noch. Und als wir uns getrennt hatten, hörte ich ihn wieder mit seinem Telefon sprechen: „Ja, Herr Fuchs, ich bin es wieder...nein, nur ein kleiner Zwischenfall…“ Und dann war er schon außer Hörweite. Dieser Zwischenfall hatte mich wirklich auf zweierlei Weisen geschockt. Zuerst einmal, dass ich überhaupt in ihn hineingerannt war und dann noch, als ich in seine Augen geschaut hatte. Dieses Blau war aber auch einfach umwerfend. Anscheinend schienen hier die Menschen genauso im Stress zu sein, wie bei uns im Süden. Oder lag es nur an der Berufsgruppe? Ich setzte meinen Schlendergang weiter fort und war entzückt über die vielen kleinen Geschäfte, die Filzwaren und andere handgemachte Sachen anboten. Schließlich betrat ich einen solchen und verließ den Laden mit ein paar neuen Filzuntersetzern. Vielleicht würde ich sie nie als solche gebrauchen, aber zumindest waren sie sehr dekorativ. Ich hatte derweil auch gar nicht darauf geachtet, wie schnell die Zeit verflogen war und war leicht überrascht, als ich merkte, dass ich zwei Stunden nur mit dem Schlendern verbracht hatte. Da ich aber die Ankunft meines Onkels nicht verpassen wollte, bewegte ich mich zurück zum Parkhaus und fuhr zurück nach Glücksburg.
An der Pension sah ich bereits das Auto meines Onkels. Thomas musste also schon da sein. Ich betrat unsere Bleibe und sah ihn an der Rezeption stehen.
„Hi, Thomas“, begrüßte ich ihn.
„Hallo, Frieda“, begrüßte er mich freudig zurück. „Ich bin vor zwei Minuten angekommen. Deine Mutter weiß es auch noch nicht.“
„Ach, mach dir darüber keine Gedanken“, meinte ich mit einem Lächeln und ich sollte Recht behalten, denn kaum hatte ich das gesagt, kam sie um die Ecke.
„Da bist du ja schon, Tommy. Wir haben schon auf dich gewartet.“
„Das ist ja ein schönes Empfangskomitee“, meinte er lachend. „Ich füll nur noch hier kurz alles aus und dann bin ich ganz bei euch.“
„Nur kein Stress“, meinte ich lächelnd. Wir ließen Thomas auch noch die Zeit, sich in seinem Zimmer einzurichten und frischzumachen und gingen dann gemeinsam zum Abendessen aus. Thomas wollte gleich einen schönen frischen Fisch kosten und so war unsere Wahl schnell auf ein eben jenes Lokal gefallen. Auch meine Mutter drückte diesmal keine Kaloriensorgen aus. Für mich als Vegetarierin war die Auswahl zwar eher begrenzt, aber ich entschied mich dann für einen Salat.
„Hast du gut hergefunden?“, legte meine Mutter gleich mit dem Fragenbeschuss los.
„Ja, ich hatte ja ein Navi dabei und stautechnisch war auch alles in Ordnung“, sagte mein Onkel. „Und bei euch? Alles klar?“
„Ja“, übernahm meine Mutter wieder das Wort. „Wir hatten gestern schon ein Treffen mit dem Notar, aber das hatte ich dir ja schon alles erzählt. Heute waren wir im Schloss und es war echt richtig schön. Nicht wahr, Frieda?“ Ich nickte.
„Wie war es eigentlich in Flensburg?“, fragte sie weiter.
„Es war ganz nett. Ich habe in einem Filzladen Topfuntersetzer gekauft, dachte, dass das ganz nett wäre, so etwas als Erinnerung zu haben.“
„Oh ja, du kennst mich ja, ich nehme so etwas auch immer gerne mit.“ Das stimmte. Wir hatten zu Hause tausende solcher Erinnerungen, von denen sich meine Mutter beim besten Willen nicht trennen wollte. Sie sagte zwar immer, dass sie sich bei der nächsten Aufräumaktion von diesen „Staubfängern“ trennen würde, getan hatte sie es aber nie.
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