»Adamcyk, wie kann ich helfen?«
»Der Einkauf war erfolgreich, aber der Vater hat seine beiden Kinder verloren.«
»In Ordnung. Wir werden sie suchen.«
Ein Klicken im Lautsprecher und die Leitung war tot.
Der Mann lehnte sich in seinem Fahrersitz zurück.
Wir werden sie suchen.
Das bedeutete für ihn: jegliche Verbindung zu seinen beiden Kollegen abbrechen und die Spuren vernichten. Er startete den Motor und fuhr auf die Straße. Einen geeigneten Platz fand er wenig später. Von der spärlich befahrenen Straße führte ein schmaler Feldweg zu einem kleinen Wäldchen. Dort angekommen entnahm er dem eben benutzen Handy die SIM Card, ebenso dem Telefon, mit dem er Verbindung zu seinem Team gehalten hatte. Er packte die beiden Apparate und die Karten und begab sich hinter den mächtigen Stamm einer Eiche. Dort legte er die SIM Karten auf den Boden, die beiden Handys daneben. Dann griff er zu einem Taschenfeuerzeug. Dass sich im Inneren des Edelstahlkorpus gegenüber herkömmlichen Feuerzeugen die fünfzigfache Menge hochkomprimierten Gases befand, war dem Gerät nicht anzusehen. Er drehte die Flammengröße auf Maximum, betätigte den Zündknopf und richtete den 1000°C heißen Flammenwerfer zuerst auf die SIM Karten, dann auf die beiden Handys. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis von den Elektronikteilen nur noch ein schwarzer, übelriechender Klumpen aus verbranntem Plastik und Metall übrigblieb. Danach ließ er das Feuerzeug einige Minuten auskühlen, steckte es wieder ein und fuhr zurück Richtung Straße.
Als Karen Polocek und Nico Berneram Höllental eintrafen, war die Straße ab der Ausfahrt Burg-Birkenhof immer noch gesperrt. Lediglich Anwohner der dahinterliegenden Häuser durften an dieser Stelle weiter auf der B31 fahren. Glücklicherweise funktionierte die Umleitung über Sankt Märgen und den Thurner so gut, dass sie nur unwesentlich mehr Zeit bis zu der Ausleitung gebraucht hatten. Da jenseits der Absperrung bereits alle Fahrer ihr Fahrzeug gewendet und das Höllental verlassen haben mussten, trafen die beiden Ermittler eine vollkommen leere Straße an, auf der Nico Berner mit unverhohlener Freude dem Mercedes Kombi die Chance gab, zu zeigen, was er konnte. Karen Polocek, die sich in der ein oder anderen Kurve krampfhaft an dem Griff über der Beifahrertür festhielt, nahm die Situation trotzdem gelassen.
»Kann es sein, dass dein Date gestern Abend geplatzt ist, oder hat man dir im Fitnessstudio wieder Testosteron untergejubelt?«, fragte sie spöttisch. »Wenn du so weiter fährst, endet unsere Fahrt noch im Acker!«
Berner ließ sich jedoch nicht abhalten, alle drei Spuren der B31 auszunutzen und alles aus dem Auto herauszuholen. Unter dem Ruckeln des einsetzenden Antiblockiersystems brachte er das Fahrzeug schließlich wenige Meter vor den Einsatzkräften zum Stehen – nicht ohne das ein oder andere Stirnrunzeln oder Kopfschütteln der Kollegen und Feuerwehrleute zu provozieren. Hätten sie nicht schon bei Abfahrt das Blaulicht auf den zivilen Mercedes gesetzt, wären sie sicher mit einer Hasstirade empfangen worden. Berner und Polocek stiegen aus und bahnten sich den Weg zu dem schwarzen Autowrack, das von Technikern der Spurensicherung in ihren weißen Overalls umgeben war. Gerade als sie ankamen, reichte einer der KTUler eine Tüte an einen weiteren Beamten, in der sich ganz offensichtlich eine Pistole befand.
»Hallo Kollegen«, begrüßte Berner alle Anwesenden. »Können Sie mir gleich mal geben.«
Mit einem Nicken gab der Mann die Pistole an Berner weiter. Unter der Sicherheitsbrille und dem Mundschutz des Technikers konnten er und Polocek ein blasses Gesicht erkennen. Erst jetzt sahen die beiden Ermittler die entsetzlich zugerichteten Körper zweier Menschen auf ausgebreiteten Planen liegen. Hier konnte man mit schonungsloser Klarheit erkennen, was die kinetischen Kräfte des außer Kontrolle geratenen LKW mit den beiden Insassen angerichtet hatten. Die Bestatter waren mit ihrer Arbeit immer noch nicht fertig. Eben reichte einer der Männer seinen Kollegen ein nicht zu identifizierendes Stück Knochen, an dem blutiges Fleisch hing. Ohne das Fundstück näher zu betrachten, legte er es zu den Überresten auf die Plane, die mit Nr. 2 beschriftet und offenbar dem Beifahrer zugeordnet war. Berner und Polocek sahen sich an und in ihren Blicken war das Mitgefühl für die Bestatter zu erkennen. Obwohl sie selbst im Job immer wieder mit furchtbaren Situationen konfrontiert wurden, dieser Anblick stellte das meiste bei Weitem in den Schatten.
Berner wandte sich mit der Beweismitteltüte an seine Kollegin, die außer einem etwas gequältem Schlucken äußerlich nicht auf die Szenerie reagierte.
»Eine G&J HFP im Kaliber 9mm«, sagte Polocek. »Und«, sie drehte die Tüte in Berners Hand etwas ins Sonnenlicht, »die Seriennummer ist entfernt. Professionell, würde ich sagen. Sieht nach Flex mit anschließender Säurebehandlung aus.«
Auch Berner sah sich die Waffe genauer an.
»Sie haben noch mehr?«, fragte er, nachdem er Polocek mit einem Nicken zugestimmt hatte.
»Da drüben in dem Plastikcontainer«, antwortete der bleiche Kollege und deutete auf eine transparente Ikea-Box.
Die beiden Ermittler gingen zu der Box, in der weitere Beu- tel mit Fundstücken aus dem Fahrzeug lagen. Gut sichtbar war eine MaPi 5 , ebenfalls von G&J und eine weitere HFP . Nach kurzer Begutachtung durch Polocek war klar, dass auch bei diesen beiden Waffen die Seriennummern mit handwerklichem Können entfernt worden waren.
»Zumindest ist eines sicher», meinte Berner trocken. »Gröber hat uns nicht umsonst hergeschickt. Waffen mit verschleierter Herkunft, eine davon fällt unter das Kriegswaffengesetz… Hier ist etwas oberfaul, wenn du mich fragst.«
Karen Polocek antwortete nicht, sondern untersuchte das Magazin der Maschinenpistole. Durch die Tüte hindurch drückte sie zwei Patronen heraus.
»Megafaul, würde ich sagen«, gab sie schließlich von sich. »Das Magazin ist abwechselnd mit Vollmantel und Hohlspitzgeschossen geladen. Da weiß jemand, was er tut.«
Berner nahm die Munition ebenfalls in Augenschein.
»Eine Waffe für Notsituationen. Für den ungeplanten Ein-satz, wenn man nicht weiß, ob man hohe Durchschlagskraft oder hohe Mannstoppwirkung braucht. Mir wird ganz anders, wenn ich daran denke, was die beiden vorgehabt haben könnten.«
»Auf alle Fälle waren es Profis. Personenschutz? Behörde?«, stellte Polocek in den Raum.
»Werden wir herausfinden. Auf keinen Fall deutsche Behörde. Der Wagen war meines Erachtens einmal ein Land Rover. Unsere Behörden fahren G-Klasse oder M-Klasse beziehungsweise gepanzerte Limousinen von Audi, BMW oder Mercedes. Keine ausländischen Fabrikate.«
Berner runzelte die Stirn.
»Organisiertes Verbrechen? Russische Mafia? Das kann ja heiter werden.« Polocek hatte kaum ausgesprochen, als einer der Mitarbeiter der Spurensicherung mit zwei weiteren Tüten auf sie zukam.
»Das dürfte Sie sicher interessieren.«
Er übergab der Ermittlerin die beiden durchsichtigen Beweismittelbeutel. Noch bevor sie sie in den Händen hielt, war ihr klar, dass es sich bei dem Inhalt um Ausweise handelte. Als sie diese genauer untersuchte, musste sie unwillkürlich schnauben. Berner, der hinzugetreten war, sah sich die Dokumente ebenfalls an und erkannte sofort den Grund für Poloceks Reaktion. Sie hatten Diplomatenpässe in der Hand, ausgestellt von der Republik Polen.
»Das wird ja immer besser«, murmelte er. »Jetzt haben wir aber was an der Backe!«
Seinem Gesicht nach zu urteilen, sah er bereits Berge von Papierkram, die es zu erledigen galt. Doch zunächst pfiff er die Kollegen von der SpuSi zurück.
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