„Das hier ist die Anlegestelle von Mark Blaubutts Kutter. Hier könnt ihr nicht festmachen,“ sagte er mit einer Kellerstimme, die wohl autoritär klingen sollte.
„Wo denn dann?“ fragte ich.
Er musterte mich gerinschätzig. „Von welchem Schiff kommt ihr denn?“
„Wieso Schiff?“ fragte Sven. „Das hier ist unser Boot. Mit dem sind wir in den Hafen gekommen.“
„Soo,“ der Fettwanst runzelte die Augenbrauen. „Mit diesem Boot seid ihr in den Hafen gekommen?“
„Und?“ wollte Kat wissen. „Was ist daran so besonderes?“
Der Dicke triumphierte boshaft. „Wisst ihr Kinder, Torglund ist nicht irgendein Strandnest, sondern eine Reichshandelsstadt. Hier gibt es eine Hafenordnung. Und,“ schnaufte er wichtig, „als Hafenmeister ist es meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie eingehalten wird.“
„Haben wir denn dagegen verstoßen?“ fragte ich wütend.
Der Fettwanst begann, mich aufzuregen.
„Die Hafenordnung besagt,“ leierte er wichtigtuerisch herunter, „dass der Kapitän jedes Schiffes, welches in den Hafen von Torglund einfährt, sich unverzüglich in der Hafenmeisterei zu melden hat, woselbst er sein Kapitänspatent nebst dem Ermächtigungsschreiben der Schiffseigentümer und den Frachtbrief vorzulegen hat.“
Er sah uns böse an. „Ich glaube kaum, das einer von euch ein Kapitänspatent vorzuweisen hat. Vermutlich könnt ihr nicht einmal nachweisen, dass ihr diese Jolle da nicht geklaut habt. Wir dulden hier nämlich keine Schmuggler und Seeräuber.“
Er nickte den Soldaten zu. Die Männer packten ihre Hellebarden und rückten näher.
„Das Boot gehört meinem Vater. Wir sind Fischer,“ rief ich bebend vor Wut.
„Soo,“ rollte der Wanst mit den Augen. „ Fischer seid ihr? In Torglund benötigt man aber ein Fischereipatent, um fischen zu dürfen. Und um dir gleich weitere dumme Fragen zu ersparen: Fischereipatente müssen bei der Torglunder Fischereigilde beantragt werden und werden einzig an Bürger mit vollen Stadtrechten vergeben, gegen Patentgebühr, versteht sich. Und Stadtrecht erhält in Torglund nur, wer wenigstens acht Jahre unbescholten hier gelebt hat. Verstehst du, Junge?“
„Aber wir wollen hier gar nicht handeln oder fischen,“ schrie ich. „Wir wollen nur eine Nacht ankern und Proviant kaufen, um weiter nach Norden nach Lüdersdorf zu segeln.“
„Nach Lüüdersdorf wollt ihr segeln? Nie davon gehört. Nördlich von hier gibt es überhaupt nichts mehr. Torglund ist die nördlichste Handelsstadt im Reich. Woher kommt ihr denn eigentlich, ihr Schlitzohren?“
„Wir kommen aus Brögesand. Südlich von Zwiesund,“ meinte Sven.
„Süüdlich von Zwiesund? Mit dieser Nußschale?“ rief er spöttisch.
„Wieso denn nicht?“ fragte Kat empört.
„Wir haben das gute Wetter ausgenutzt, so lange es noch möglich ist,“ sagte ich schnell.
„Soo, das gute Wetter habt ihr ausgenutzt,“ grollte er. „Und das Seemannsgarn soll ich euch glauben?“ Er winkte seinen Soldaten. „Solche Schmuggler wie ihr wandern bei uns nämlich in den Zwingturm!“
Die Soldaten machten Anstalten, in die Jolle zu steigen. Katrina richtete sich auf.
„Ich bin Ärztin,“ sagte sie mit Kommandostimme. „Meine Mutter in Lüdersdorf ist schwerkrank. Ich habe diesen Jungs die Passage bezahlt, damit sie mich so schnell wie möglich nach Lüdersdorf zu meiner Mutter bringen. Wenn ich sie nicht behandeln kann, stirbt sie.“
Sven und ich sahen uns mit großen Augen an. Die Soldaten zögerten und schauten über die Schulter zum Hafenmeister.
„Also soo verhält sich das?“ der Wanst strich sich das Kinn. „Warum sagt ihr das nicht gleich? Eine Ärztin bist du? Habe mich schon gewundert, wie eine junge Dame mit diesen abgerissenen Gaunern in dasselbe Boot kommt.“
Die Soldaten traten langsam einen Schritt zurück.
„Hör mal, junge Dame,“ überlegte der Schmerbauch. „Wenn du wirklich eine Medizinerin bist, dann könntest du doch auch meinen Bruder kurieren. Der liegt seit Wochen mit der Wassersucht danieder. Die hiesigen Kurpfuscher bringen es nicht zustande, ihn zu heilen.“
Er schaute zweifelnd auf Katrina herab.
„Klar kann ich das,“ sagte sie hochmütig. „Hat er Atemnot?“
„Das kann man wohl sagen, junge Dame. Er schnauft ganz entsetzlich. Und stöhnt vor Qual.“
Kat nickte wissend. „Vermutlich sitzt er ständig angelehnt im Bett, will sich nicht hinlegen und kann keinen Schritt mehr laufen. Hat er blaue Lippen?“
Der Dicke machte große Augen. „Woher wisst Ihr das? Ganz genau so verhält es sich. Die Doktoren sagen ihm immer, er solle sich hinlegen, er müsse ruhen, aber er will nicht, er schreit und sagt, er bekommt Angst, wenn er liegt.“
Kat verzog das Gesicht. „Typische Anzeichen für Wassersucht im letzten Stadium. Wenn sie ihn flach aufs Bett legen, bringen deine Herren Doktoren ihn um. Ich schau ihn mir an. Vielleicht kann ich etwas für ihn tun.“
Erschrecken und Hoffnung spiegelten sich im Gesicht des Dickwanstes.
„Jaa soo,“ überlegte er. „Dann kommt Ihr am besten gleich mit zu meinem Bruder. Und wegen eurer Jolle - wenn ich es mir recht überlege, ist Mark Blaubutt mit seinem Kutter für ein paar Tage auf See. Er wollte zum Drusensteiner Archipel hinaus, um Robben zu fangen. Meinetwegen könnt ihr bis morgen hier liegen bleiben. Aber nur eine Nacht! Wenn ich euch morgen früh, wenn die Sonne dort oben über den Felsen kommt, noch hier erwische, wandert ihr alle drei in den Zwingturm, verstanden?“
„Ist ja gut. Sehr gnädig von Euch,“ knurrte Sven.
Der Fettwanst machte ein Schlangengesicht. „Die Hafengebühr muss ich euch dennoch abnehmen. Einen Silberling berechne ich euch für die Nacht.“
„Einen Silberling?“ rief Kat empört. „So viel Geld für eine Nacht am Steg?“
Sie sah Sven und mich hilflos an.
„Wenn ihr nicht zahlen wollt, könnt ihr eure Schmugglerjolle gleich wieder aus dem Hafen herausbuxieren! Allerdings werde ich euch dann eine Karavelle mit Wachmannschaften hinterherschicken, um die Küste von euch Kroppzeug zu reinigen!“
„Der Silberling ist schon in Ordnung,“ sagte ich beschwichtigend.
Ich holte das Ledersäckchen heraus, das Mutter mir in die Hand gedrückt hatte und reichte ihm die Münze.
Als seine fleischigen Finger sich um das Geldstück schlossen, warf er mir einen tückischen Blick zu. „Ich werde dich jetzt nicht fragen, woher du diese Börse hast, Junge! Und nun - “ er sah Katrina an, „ - darf ich Euch ersuchen, mir zu meinem Bruder zu folgen, junge Dame?“
Katrina zerrte die Arzttasche aus ihrem Gepäck hervor und warf sich ihren grauen Kapuzenmantel um.
„Begleitest du mich, Leif?“ fragte sie.
Ich sprang aus dem Boot.
Sven wollte mir folgen, aber Kat bestimmte: „Einer muss beim Boot bleiben!“
Sven guckte böse, aber er fügte sich.
***
Am Quai angelangt, entließ der fette Hafenmeister drei seiner Soldaten mit einem Kopfnicken. Jedoch nach einem kurzen Blick auf mich winkte er zweien von ihnen, ihm weiter zu folgen. Wir folgten dem schnaufenden Wanst durch das Menschengedränge am Hafen. Am Quai reihte sich ein hölzerner Speicher am anderen. Männer in abgerissenen Fetzen, barfuß die meisten, entluden Ruderbarken, schleppten Fässer, Säcke und Kisten. Frachtgut stapelte sich am Wasser, zwischen den Stapeln lagen Kabel, Taue und tote Fische.
Durch das Gewirr kleiner Holzhäuser hinter den Speichern schlängelte sich eine gepflasterte Straße hinauf zu den wuchtigen Stadtmauern. Mir stockte der Atem angesichts der Menschenmenge in der Straße. Zu beiden Seiten reihten sich Handwerkerläden aneinander. Die Buden der Seiler, Schreiner, Tischler, Schmiede und Segeltuchmacher standen dicht an dicht. Dazwischen hingen die Schilder kleiner Tavernen auf den Gehsteig hinaus. Tabakqualm und Lärm drang aus den niedrigen Türen. Unbehaglich sah ich mich um. Die zivilisierte Weltstadt Torglund hatte ich mir anders vorgestellt.
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