„...aber ich dachte, wir hätten... unsere Differenzen überwunden.“ Er sah, mit tränenzerflossenen Augen, auf. „Ich konnte doch nicht wissen, dass sie...“ Er ließ es ungesagt.
„Litt Ihre Frau unter Schlafstörungen?“
„Ja. Sie war deswegen in Behandlung... sie hatte deswegen...“ Es war der Tag des Ungesagtlassens.
„Der Arzt, bei dem Ihre Frau in Behandlung war...“ folgte ich dem Trend. Er nannte uns, was wir wissen wollten. „Haben Sie noch Fragen an ihn?“ nötigte ich meiner Kollegin eine Entscheidung ab. Sie schüttelte den Kopf und wir gingen. „Na, meine Liebe“, fragte ich, als wir außer Hörweite waren, „wie lautet Ihr Tipp?“
„Was für ein Tipp? Sie haben den Mann gesehen. Eheprobleme. Vielleicht war die Frau etwas zu sensibel, soll ja auch bei Frauen vorkommen...“
„Ja, davon habe ich auch gehört.“
„...und hat sich umgebracht. Und Sie Meisterdetektiv wittern einen Mord dahinter? Lachhaft!“
„Ich finde es halt originell, dass man seine Selbstmordabsichten neuerdings per Telefon bekannt gibt. Obwohl, sie hätte ja auch faxen können. Oder ein E-Mail schicken!“ Oder eine SMS, wie es heutzutage wahrscheinlich üblich war. Wahrscheinlich nahm man dann seinen Selbstmord auch noch mit der eingebauten Kamera auf… ach, die Fortschritte der modernen Welt! Damals dagegen waren die Dinge noch ein klein wenig anders gewesen… aber eben nicht viel.
„Vielleicht war sie ja eine von denen, die gerettet werden wollen?“
„Nicht, wenn man das Verkehrsaufkommen um diese Zeit kennt! Dass ihr Retter im Verkehr stecken bleibt, nein, sowas würde nur Leuten wie mir passieren.“
„Leuten wie Ihnen? Sie meinen: Männern?“
„Kann es sein, dass Sie was gegen Männer haben?“
„Männer?!“ Sie spie das Wort aus. „Männer glauben doch nur, dass sie besser sind als Frauen!“
„Richtig, ja, das hatte ich vergessen. Und Männer sind in Wirklichkeit alle Ausbeuter, wollen von den Frauen nur Sex, äh, gut, äh, haben keine Gefühle...“
„Und sie erkennen die Frau nicht an. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Frauen den Männern zeigen, dass sie besser sind als sie. Männer glauben, sie können sich alles erlauben.“
„Das sollen Frauen jetzt auch?“
„Ja.“ Sie stutzte. „Was meinen Sie?“
„Ich? Oh, ich habe nicht das Recht, etwas zu meinen. Ich bin eben nur... ein Mann!“
„Ja... Warum sollen die Frauen nicht an die Macht?“
„Ich habe nicht gesagt, dass sie es nicht sollen. Ich habe nur gesagt, dass jede fanatische Richtung einseitig ist, dadurch wird sie dumm. Falsch und faschistisch ist es ohnehin und außerdem ist der Weg des knallharten Feminismus, den Sie da bestreiten, ziemlich genau die Art und Weise, die Sie den Männern vorwerfen. Nur eben mit anderem Vorzeichen. Und deswegen finde ich das ganze ziemlich primitiv und oberflächlich. Und unreflektiert dazu!“
Sie starrte mich, aber, was mich freute, nachdenklich an. Einen Moment schwieg sie, dann meinte Frau Fischer: „Ach.“ Dann schmollte sie, wenn auch etwas nachdenklicher. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass viel zu wenig Leute darüber nachdachten, bevor sie irgendeine leicht faschistoid angehauchte Fanatismusidee übernahmen... aber das lag ja auch irgendwie in der Natur dieser Dinge.
„Hauen wir hier ab!“ murmelte ich.
Kurz vor dem Wagen brach sie ihr Schweigen: „Wissen Sie was?“ Ich hob fragend eine Braue. „Ich werde darüber nachdenken. Über das, was Sie gesagt haben!“ Klang ein bisschen zu gut für einen chronisch negativ eingestellten Menschen wie mich.
Ich nickte ihr zu. „Klingt doch okay.“ Ich wedelte mit den Autoschlüsseln. „Wollen Sie fahren?“
Wir fuhren zurück ins Präsidium.
„Glauben Sie, dass es Mord war?“
„Keine Ahnung.“ Ich wusste es nicht. Es wäre zuviel gesagt zu behaupten, dass es mir egal war, aber... naja! „Aber hierzu sei angemerkt, dass ein Mord einen Fall weitaus spannender macht, als wenn es keiner ist!“ (Was nun zugegebenermaßen eine extrem beschissene Satzkonstruktion war!) „Warten wir doch einfach auf den Autopsiebericht.“ Das bedeutete auch, dass hiermit der Dienst für heute beendet war. „Es wäre natürlich nett, wenn wir Ihnen gleich zu Beginn hier einen netten Mord bieten könnten, aber... sieht wohl ziemlich unwahrscheinlich aus.“
„Eine Frage.“
„Hmm?“
„Mögen Sie die Musik von Richard Kleidermann?“ Kleidermann? Derjenige, der die schlechteste, mir bekannte Version meiner mehr als geliebten Rhapsody in Blue verbrochen hatte? Ich hob geringschätzig eine Braue und sie schrie auf: „Oh nein... machen Sie das noch mal!“
Meine Braue hob sich wieder, diesmal vor Verwunderung. „Bitte?“
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihre Braue...“
„Ich gebe zu, nicht die originellste Geste heutzutage und ich hab sie auch bei Spock geklaut...“
„Sie sind nicht zufällig... Star-Trek -Fan, oder?“
„Hmmm.“ Meine Wohnung war überfüllt mit Raumschiffen, Figuren, Büchern, Zeitschriften und Videos, wobei der Löwenanteil allerdings an die Figuren ging, die ich aber, im Gegensatz zu wahren „Sammlern“ ausgepackt hatte. Ein „Sammler“ ließ seine Figur verpackt, damit sie wertvoller blieb und ihr Preis im Laufe der Zeit stieg – eine Theorie, die nicht so richtig aufgegangen war! „Ja, kann man, glaube ich, so sagen.“
„Das war ja zu befürchten.“ Kam es zurück. „Können Sie sich vorstellen, dass ich auf dieses Augenbrauenheben stehe und können Sie sich vorstellen, dass ich noch nie jemanden getroffen habe, der ein so absoluter Fan von Star Trek ist und dass ausgerechnet ein Mensch wie Sie...“ Sie schüttelte den Kopf. Sie musste sich so fühlen wie ich, wenn ich mal wieder festgestellt hatte, dass das Mädchen, in das ich mich unsinnigerweise verliebt hatte, jemand anderen liebte – dieses Gefühl, eigentlich endlich sein Ziel erreicht zu haben, aber dann dort feststellen zu müssen, dass schon jemand anders auf dem Gipfel des unbezwungenen Berges ein Hotel gebaut hatte.
„Haben Sie Modelle?“ fragte ich. Sie nickte. „Auch Figuren?“ Sie nickte wieder. „Bedauerlich.“ Sie war auf dem besten Weg, sich nahtlos in oben erwähnte Kategorie einzufügen.
„Haben Sie alle Folgen auf Video?“ Ich nickte.
„ Classic , Next Generation , Deep Space Nine und Voyager . Seit ich arbeite, kann ich’s mir leisten, mir die Sachen auf Englisch zu kaufen, wenn sie rauskommen.“ Das war lange bevor einem das Zeugs in Komplettboxen auf DVD nachgeschmissen bekam, wo man sich Sachen noch mühsam aus dem Fernsehen mit Video aufnehmen und durch ein Buch die Nummern der Episoden bestimmen musste… aber wem erzähl ich das hier eigentlich? „Ja, ich bin im Moment auf dem neusten Stand.“
„Ja, ich auch.“
Das Schicksal verschränkte die Arme vor der Brust und grinste mich fies und breit an. Ich hatte bisher erst eine einzige Frau getroffen, die andeutungsweise dieses Hobby vertrat wie ich, aber das war eine genauso lang zurückliegende wie deprimierende Geschichte... also in etwa genau das, was mir hier bevorstand! Da fand man also einen der wenigen Menschen, mit dem man sich angeregt über seine Lieblingsserie(n) unterhalten konnte und was war: Dieses Wesen war – eine Frau? – eine Emanze? – eine Feministin? – schlicht unsympathisch? – JA!
„Ich bedauere es genauso wie Sie, glauben Sie mir!“ Aber vielleicht konnte sich ja alles ändern. Vielleicht konnten wir ja Freunde werden, uns lieben lernen, heiraten, unser erstes Kind Spock nennen und ihm beibringen, wie man eine Augenbraue hob... Vielleicht konnte ich aufhören, so viel zu saufen? Die Chancen dafür standen wesentlich besser! Verliebten sich die gegengeschlechtlichen Partner in den Kriminalfilmen eigentlich ineinander oder hielten sie dieses Spannungsverhältnis aufrecht, damit der Zuschauer auch beim nächsten Mal noch einschaltete, um zu sehen, ob die beiden sich ihre Liebe noch immer nicht gestanden hatten? Schlicht und ergreifend war mir das völlig egal!
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