1 ...7 8 9 11 12 13 ...16 »Du kannst doch nicht immer auf alle anderen Autos Rücksicht nehmen, so kommen wir nie ans Ziel«, regte Mom sich diesmal über die zu dicht auffahrenden Autofahrer auf.
»Auch die lieben Leute möchten alle in den Urlaub, genauso wie wir, Anna Maria. Also muss man, ob man will oder nicht, gegenseitig Rücksicht nehmen«, versuchte er Mom zu belehren.
Abermals winkte Dad freundlich und ließ einige Autos, die von der rechten Spur drängelten, vor uns in den Stau hinein. Erneut startete ein nerviges Hupkonzert der hinter uns stehenden Autofahrer, die das Schauspiel mit ansahen. Dad schaute in den Rückspiegel.
»Ist ja schon gut, ich fahre ja schon.«
Dann passierte das, was passieren musste. Bei dem Versuch, selbst wieder Fahrt aufzunehmen, würgte Dad den Wagen ab. Leider war er nicht der beste Autofahrer. Mom wurde unruhig.
»Erhardt, fahr endlich.«
Sie rollte übertrieben mit den Augen.
Auf Dads Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen, als er bemerkte, dass unser Wagen nicht so wollte, wie er es gerne hätte. Aus irgendeinem Grund sprang die verfluchte Kiste nicht wieder an.
»Irgendetwas riecht hier komisch? Erhardt!«, bemerkte Mom.
Ich sah, dass Dad seine innere Ruhe und Gelassenheit gegen Unsicherheit und leichte Panik eintauschte. Mom kurbelte die Seitenscheibe herunter. Sie hielt ihre Nase aus dem Fenster.
»Erhardt, riechst du das?«
Dad hatte große Mühe, den Wagen zu starten.
»Erhardt!«, ermahnte Mom Dad erneut, der zuvor nicht auf ihre Erkenntnisse reagierte.
»Anna Maria, es ist die Kupplung, die ein wenig überhitzt ist. Das ist ganz normal, wenn man immerzu anhält. Dieses ständige Stoppen und Anfahren, ist nicht gut für unser Auto.«
»Wozu in Gottes Namen brauchst du eine Kupplung, um anzuhalten? Nun gut, ich bin kein Fachmann aber, ich dachte, die brauchst du nur, wenn du Gänge schaltest. Und so, wie ich das sehe, fahren wir die letzte Stunde nur im ersten Gang.«
Dad reagierte nicht auf Moms schlaue Bemerkung. Er war immer noch damit beschäftigt, das Auto zu starten. Immer mehr Schweißtropfen benetzten seinen fülligen Körper. Vielleicht war es auch Angstschweiß. Das Hupkonzert wurde eindringlicher.
»Erhardt, willst du hier Wurzeln schlagen?«
Dad schaute hilflos in den Rückspiegel. Er erklärte mit erhobenen Armen den anderen hinter uns stehenden Fahrern, dass er nichts dafür konnte. Natürlich sahen sie ihn nicht. Er versuchte abermals, das Auto zu starten. Dann war es so weit. Beim fünften Versuch sprang die Kiste endlich wieder an.
»Was habe ich dir gesagt, Anna Maria? Immer die Ruhe bewahren, dann klappt das schon«, sagte Dad rechthaberisch.
Erleichtert wischte Dad sich den Schweiß von der Stirn, blickte dabei in den Rückspiegel und winkte den hinter uns stehenden Autos zu. Als ob sie das sehen könnten, dass Dad ihnen zuwinkt. Na ja, typisch Dad.
»Seht, meine Lieben, es geht schon weiter.«
Dad legte den ersten Gang ein und nahm langsam Fahrt auf. Was eine ziemlich holprige Angelegenheit war. Das Zusammenspiel zwischen Gas und Kupplung war Dad nicht in die Wiege gelegt worden. Wie ein störrischer Esel fuhren wir ruckartig los.
»Nur nicht stehen bleiben«, ermahnte Dad unser Auto. Er streichelte und klopfte mit einer Hand auf der Armatur des Wagens, so als säße er auf einem Pferderücken.
Das Auto und Dad werden wohl nie beste Freunde.
Die Autofahrt wurde immer beschwerlicher, sobald wir die Mittagsstunden erreicht hatten. Es war brütend heiß und überall war Stau. Ich machte es mir auf der Rücksitzbank gemütlich, soweit es möglich war. Platz war ausreichend vorhanden. Während der Fahrt war es einigermaßen erträglich, denn durch das geöffnete Fenster bekamen wir einen erfrischenden Luftzug. Doch sobald wir mit dem Auto stillstanden, fühlte ich mich wie in einem Gewächshaus und das mitten im Hochsommer. Genauso stellte ich mir das Schwitzen in einer Sauna vor. In der Theorie zumindest. Praktisch hatte ich noch nie eine Sauna von innen gesehen. Würde ich aber nachholen, sobald ich achtzehn war.
Im Gegensatz zu jetzt säße ich in der Sauna nackt und nicht mit durchgeschwitzten Klamotten. Meine Kleidung klebte überall am Körper. Die Lage war beschissen. Fassen wir es kurz zusammen. Klimaanlage im Auto? Negativ! Kühle erfrischende Getränke? Negativ! Eine kalte Dusche? Negativ! Das Einzige, was bedingt half, war ausreichend zu trinken. Leider waren die Getränke eher warm als erfrischend kalt. Die ständige Flüssigkeitszunahme hatte aber auch einen Nachteil. Ich schwitzte noch mehr und meine Blase meldete sich öfter zu Wort. All das war aber nichts zu dem, was dann kam.
Ich meine damit die katastrophalen Bedingungen der Toiletten auf den Rastplätzen. So oft der Zeitplan es zuließ oder unsere Blase es forderte, legten wir alle drei Stunden eine kleine Pause ein. Um einen Happen zu essen, uns kurz die Beine zu vertreten oder auf die Toilette zu gehen. Tatsächlich ist es mir ein Rätsel, wie es Menschen schaffen, Parkplatztoiletten so schmutzig zu hinterlassen, dass man das Kotzen bekommt. Es stinkt schlimmer wie in einem Zoo, was im Gegensatz zu den Toiletten noch annehmbar war, weil ich weiß, dass es Tiere sind. Aber was sich auf einigen Rasthöfen abspielte, verursachen tatsächlich Menschen. Einfach nur ekelhaft. Und tatsächlich will ich nicht näher darauf eingehen. Allein der Gedanke daran, löst bei mir tierischen Brechreiz aus. Nach meinem ersten ultimativen Toilettenbesuch traf ich eine Entscheidung. Ich schlage mich direkt in die Büsche des Parkplatzes. Ja ich weiß, dass es nicht in Ordnung ist. Aber nach meinem letzten Nahtoderlebnis mit einer vollgeschissenen Toilette, die ich dann auch noch zu allem Übel vollgekotzt hatte, weil es mich einfach überkam, würde ich nie wieder einen Fuß in eine Rasthoftoilette hineinsetzen. Es tut mir leid, war aber so.
Angewidert von den miserablen Verhältnissen der Toiletten, dachten andere Parkplatzbesucher wohl dasselbe wie ich. Auch sie schlugen sich in die Büsche. Der Nachteil, eine Vielzahl Toilettenpapier, benutzte Taschentücher und leider auch die sogenannten Tretminen, lagen in den Grünanlagen umher. Vorteil, es stinkt wenigstens nicht so. Bis auf die ekelhaften Scheißhausfliegen ist es immer noch besser als auf dem Klo. Ich meine die grünlich schimmernden Fliegen. Dad fand die Problematik der Hygiene auf den Herrentoiletten nicht so schlimm. Vielleicht waren Männer die sauberen Toilettengänger. So aber wurde jede Rast zu einem kleinen Abenteuer, worauf ich allerdings gerne verzichtete.
Dad und ich hatten während der Autofahrt kaum etwas gesagt. Mom dafür umso mehr. Ich vertrieb mir die vielen Stunden im Auto mit Lesen. Meine Lieblingslektüre waren japanische Manga und Anime, die in dem Genre Fantasy, Shöjo und Magical Girl einzuordnen waren. Ich sah mich oft selbst in einer dieser Figuren und liebte es, mit ihnen unzählige Abenteuer zu erleben. Ich hatte schon einige Geschichten niedergeschrieben, die ich eines Tages vielleicht sogar veröffentlichen wollte. Und irgendwann würde ich selbst eine großartige Kriegerin erschaffen, die gegen das Böse kämpfte. Einen passenden Namen für sie hatte ich schon gefunden, »Orchi Daceae«, die Liebesgöttin.
Mit sechs Stunden Verspätung hatten wir unser Ziel endlich erreicht. Es war bereits nach Mitternacht. Was im Grunde nicht schlimm war, denn immerhin kamen wir heil und unversehrt an. Das Verhängnisvolle war aber, dass wir keinen Schlüssel für unser Ferienhaus hatten. Den hätten wir bis 22 Uhr abholen sollen. Was wir auch geschafft hätten, wenn Dad nicht wie eine Schnecke gefahren wäre. Dies wiederum bedeutete, dass wir die restliche Nacht schlafend im Auto verbringen mussten. Großartig! Ich war begeistert.
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