Pastor Zumpe ist schneeweiß von Haar, hat auch einen schönen, weißen, glatten Teint, aber dunkle Augen, über denen sehr buschige und rabenschwarze Brauen sitzen. Im Kittchen geht das Gerücht, diese Brauen seien nicht echt. Jeden Sonntag vor der Predigt klebe sie sich der Pastor neu an, mit Leim, und zum Beweise, dass dies kein bloßes Gerücht sei, führen seine Anhänger an, dass manchmal eine Braue höher sitze als die andere.
Der Pastor sieht den Gefangenen freundlich an, es ist eine milde Freundlichkeit, etwas kaninchenhaft, aber das hilft nichts: Kufalt spürt genau, dass er diesem Mann völlig gleichgültig ist.
Der Pastor fragt wieder: „Also wo fehlt es, Kufalt? Brauchen wir noch etwas? Einen schönen Anzug zur Entlassung? Der kostet viel Geld, aber bei Ihnen lohnt es vielleicht. Bei Ihnen ist ja noch Hoffnung.“
„Danke“, sagt Kufalt, „Ich will keinen Anzug. Aber Herr Direktor hat mir gesagt, ich muss zu Ihnen wegen der Anmeldung für ein Heim mit stellungslosen Kaufleuten. Darum bin ich hier.“
„Also Sie wollen nach Friedensheim? Das ist erfreulich. Sehr erfreulich. Es ist eine große Vergünstigung, wenn man dort aufgenommen wird, mein lieber Kufalt. Sie leben dort – herrlich, kann ich Ihnen versichern. So gutes Essen. Und reizende Zimmer. Und ein entzückender Tagesraum mit einer vorzüglichen Bibliothek. Ich bin selbst dort gewesen, alles habe ich mir angesehen. Vorbildlich.“
„Und die Arbeit?“ fragt Kufalt argwöhnisch. „Wie ist denn die?“
„Ach ja“, sagt der Pastor überrascht, „richtig, die Herren arbeiten. Das ist vorzüglich organisiert. Da siind ein großer Raum und sehr viel Schreibmaschinen, und da sitzen die Herren und schreiben. Es sieht so – gemütlich aus.“
„Was verdient man denn da?“
„Ja, mein lieber junger Freund, wie soll ich Ihnen das sagen? Es ist doch eine Wohltätigkeit, eine Hilfe, die Ihnen geleistet wird. Aber natürlich werden Sie genau bezahlt. Den Betrag kann ich Ihnen nicht sagen, aber Sie verdienen sicher sehr gut.“
„Na schön“, sagt Kufalt, „wollen Sie dann mal die Anmeldung ausschreiben?“
„Ja. Hier sind schon die Formulare. Wie heißen Sie? Also Kufalt. Und mit Vornamen? Willi? Also Wilhelm.“
„Nein, nicht Wilhelm. Willi. Ich bin auf den Namen Willi getauft.“
„Wirklich? Aber Willi ist eine Verstümmelung. Nun, lassen wir es dann also. Willi ... hmmm ... Willi. Und wann geboren? – Da werden Sie ja bald dreißig! Es wird Zeit, lieber Freund, hohe Zeit. – Und weswegen bestraft? – Unterschlagung und Urkundenfälschung? Schwere? Also Unterschlagung und schwere Urkundenfälschung. Wie lange?“
„Wozu müssen die in dem Heim denn das eigentlich wissen? Ich denke, damit ist es nun alle, hab's abgesessen.“
„Aber die wollen Ihnen doch helfen, lieber Kufalt. Und wenn man Ihnen helfen will, muss man Sie kennen. Wie lange?“
„Fünf Jahre.“
Der Pastor wird immer freundlicher und sanfter, je brummiger Kufalt antwortet. Fast gerührt fragt er: „Und die Ehrenrechte, mein lieber Kufalt? Die bürgerlichen Ehrenrechte – die haben Sie doch noch?“
„Ja, habe ich noch.“
„Und die lieben Eltern? Was ist denn der liebe Vater?“
Kufalt verzweifelt wirklich. Heftig sagt er: „Um Gottes willen, Herr Pastor, können Sie damit nicht aufhören? Das macht mich ... Was haben denn meine Eltern mit dem Krempel zu tun?“
„Lieber Kufalt, seien Sie doch ruhig ... Es ist bestimmt alles zu Ihrem Besten. Sehen Sie, man muss doch wissen, aus welchen Kreisen Sie stammen. Einen Arbeitersohn kann man natürlich nicht für einen Privatsekretärposten in feinem Hause empfehlen. Nicht wahr? Also, was ist der liebe Herr Vater?“
„Tot.“
Der Pastor ist immer noch nicht ganz zufrieden, aber er lässt es auf sich beruhen: „Soso. – Aber die Mutter, die lebt noch, nicht wahr? Die ist Ihnen noch geblieben?“
„Herr Pastor“, sagt Kufalt und steht auf, „ich bitte, mir die Fragen kurz und knapp, wie sie dort vorgedruckt sind, vorzulesen!“
„Aber, mein lieber, junger Freund, was haben wir denn? Ich verstehe Sie nicht. Ja, doch, doch, ich weiß, es ist eine wunde Stelle, wenn man mit seinen Nächsten auseinander ist. Daran darf nicht gerührt werden. Aber sie schreibt Ihnen doch, Ihre Mutter, sie schreibt doch?“
„Nein, sie schreibt nicht!“ schreit Kufalt. „Und das wissen Sie ganz gut. Sie lesen ja die Briefe, Sie haben ja die Zensur.“
„Aber, mein lieber, junger Freund, dann müssen Sie hinfahren! Zu Ihrer Mutter! Dann dürfen Sie nicht nach Friedensheim. Dann fahren Sie hin zu Ihrer Mutter, sicher verzeiht sie Ihnen!“
„Herr Pastor“, fragt Kufalt kalt entschlossen, „was ist es mit dem Blumenstrauß?“
Pastor Zumpe ist wirklich verblüfft. In einer ganz anderen Tonart völlig ohne Sanftheit fragt er: „Mit dem Blumenstrauß? Mit welchem Blumenstrauß?“
„Ja, mit welchem Blumenstrauß wohl?!“ höhnt Kufalt jetzt ganz offen. „Was ist mit Ihrem Blumenstrauß, den Sie drei Wochen nach Weihnachten dem schwindsüchtigen Siemsen in die Zelle gebracht haben? Was ist mit der Anzeige von Siemsen geworden, die er gegen Sie an den Strafvollzugspräsidenten geschrieben hat? Ist die in Ihren Papierkorb gekommen?“
Und Kufalt sieht sich wild im Zimmer nach dem Papierkorb um, als könnte die Anzeige heute, ein Vierteljahr später, noch drin liegen.
Der Pastor ist erschüttert: „Aber mein lieber, junger Freund, so beruhigen Sie sich doch! So etwas muss Ihnen ja schaden. Sie sind einem Irrtum zum Opfer gefallen, einem jener hässlichen Gerüchte ... Wenn ich dem kranken Gefangenen Siemsen einen Blumenstrauß gebracht habe, so darum, um ihm eine Freude zu machen, aber doch nie...“
Überwältigt bricht der Pastor ab.
„Sie haben, Herr Pastor Zumpe“, sagt Kufalt wild, „dem Siemsen wie seiner Frau zu Weihnachten zehn Zentner Briketts und ein Lebensmittelpaket versprochen für seine Familie. Das war von der Gefangenenfürsorge bewilligt. Die Frau hat gewartet und gewartet mit den Kindern. Sie haben es einfach vergessen. Und als die Frau dann zu Ihnen gekommen ist, haben Sie sich verleugnen lassen. Und als Sie von ihr auf der Straße angesprochen worden sind, haben Sie gesagt, sie soll Sie zufrieden lassen, es sind keine Mittel mehr da. – Das ist so, Herr Pastor, das wissen alle Gefangenen im Bau und die Beamten wissen es auch.“
„Hören Sie mal“, ruft der Pastor wütend, „das ist alles nicht wahr, Entstellungen sind das, Verleumdungen. Wissen Sie, dass ich Sie wegen Beamtenbeleidigung anzeigen kann? Die Siemsen ist eine zweifelhafte Person, sie lässt sich mit anderen Männern ein, einer Unterstützung ist sie gar nicht würdig!“
„Wahrscheinlich soll sie ihre Gören verhungern lassen, statt auf den Strich zu gehen! – Und wie ist es denn, Herr Pastor, sind Sie nicht an dem Tage zu Siemsen mit Ihrem Blumenstrauß gekommen, als er in seiner Wut an den Strafvollzugspräsidenten geschrieben hatte?“
„Aus Mitleid bin ich zu ihm gegangen. Die Anzeige war bloßer Unsinn, denn der Fürsorgeverein ist ein privater Verein und für den ist der Herr Präsident gar nicht zuständig!“
„Darum haben Sie wohl dem Siemsen gute Worte gegeben, dass er die Anzeige zurücknimmt? Und das dumme Schwein tut's wirklich! Aber ich werde sie schreiben, wenn ich rauskomme, an die Zeitungen werde ich den Fall geben...“
„Tun Sie das nur“, sagt der Pastor giftig. „Sie werden ja sehen, wie weit Sie kommen. Ich bin vierzig Jahre Pastor hier, ich habe andere Leute wie Sie ausgestanden. – Ist Ihre Mutter in der Lage, Sie zu ernähren?“
„Nein.“
„Welcher Religion sind Sie?“
„Noch evangelisch. Aber ich trete so rasch wie möglich aus.“
„Also evangelisch. – Was können Sie?“
„Büroarbeiten.“
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