„Nur die Arbeitsbelohnung.“
„Und wieviel macht die?“
„Ich denke, dreihundert Mark. – Ach, Herr Direktor, wenn Sie veranlassen würden, dass die mir hier gleich ganz ausbezahlt werden? Dass ich sie mir nicht alle Wochen vom Wohlfahrtsamt holen muss?“
Der Direktor macht ein bedenkliches Gesicht.
„Ich will so sparsam sein, Herr Direktor!“ bittet Kufalt. „Ich will keinen Pfennig verludern. Aber nicht aufs Wohlfahrtsamt!“
Und leise: „Ich möchte auch mit so was durch sein.“
Der Direktor kann Bitten schlecht widerstehen. Er sagt: „Gut. Das ist erledigt. Ich werde veranlassen, dass Sie Ihre Arbeitsbelohnung voll ausbezahlt kriegen. Aber, Kufalt – von den dreihundert Mark müssen Sie leben, vielleicht zwei Monate, drei Monate leben, da können Sie sich keine Schreibmaschine kaufen.“
„Auf Raten?“
„Nein, nicht auf Raten. Sie können ja nicht mit festen Einnahmen rechnen, das kann alles fehlgehen mit Ihren Adressen. Was also –?“
„Meine Verwandten...“
„Die lassen wir erst einmal ganz aus dem Spiel. Was machen Sie also?“
„Ich – weiß – doch – nicht.“
Des Direktors Stimme wird immer frischer: „Und wie lange haben Sie nicht Schreibmaschine geschrieben? Fünf Jahre nicht? Über fünf Jahre nicht? Ja, das wird dann im Anfang nur mühsam gehen, viel werden Sie nicht schaffen.“
„Ich kann gut hundert Adressen in der Stunde tippen.“
„Haben Sie gekonnt. Heute nicht mehr. Sie denken, Sie sind gesund. Sie denken, Sie haben Ihre zwei Pensum gestrickt, das geht auch draußen. Aber hier hat Sie nichts abgelenkt, Kufalt, draußen kommen all die Sorgen und die Versuchungen. Sie sind doch den Umgang mit Menschen nicht mehr gewohnt. Und dann die Kinos, in die Sie nicht dürfen, und die Cafés, für die Sie kein Geld haben. Das wird alles sehr schwer für Sie sein, Kufalt. Das Schwere fängt erst an.“
„Ja“, sagt Kufalt. „Ja.“
„Sie waren lange genug hier im Bau, Kufalt. Wie viele haben Sie wieder kommen sehen?“
„Viele, viele.“
„Sie müssen stärker sein als die alle. Sie werden oft denken, das lohnt ja gar nicht die Mühe – für was denn? Ich komme ja doch nicht wieder hoch. – Manche kommen aber doch wieder hoch. Nur streng müssen Sie es angehen lassen, Kufalt, ganz streng.“
„Ja, Herr Direktor“, sagt Kufalt gehorsam.
Das Zimmer ist zart bräunlich getönt. Die Fenster sind keine Löcher in der Wand, sondern haben Gardinen, weiße Mullgardinen mit zartgrünen Streifen. Ein richtiger Teppich liegt auf dem Boden.
„Sie sind wie ein Kranker, der lange im Bett gelegen hat, Sie müssen erst wieder gehen lernen, Schritt für Schritt. Wer lange im Bett lag, muss einen Stock zur Stütze haben oder jemanden, der ihn führt. – Noch eine Zigarette? Gut.“
Der Direktor wartet einen Augenblick. „Sie denken jetzt, lass den man reden, ich find mich schon zurecht. Es – ist – aber – sehr – schwer. Bis Sie sich reingefunden haben in das Leben draußen – Sie haben doch früher nie gelebt ohne festes Einkommen? Sehen Sie! Bis Sie sich eingelebt haben, ist Ihr Geld alle. Und was dann?“
„Man möchte bitten“, sagt Kufalt mühsam lächelnd, „dass Sie einen hierbehalten, Herr Direktor. Ich bin ja doch wie ein Mann, dem man die Hände abgeschlagen hat.“
„Nicht abgeschlagen“, sagt der Direktor. „Aber gelähmt sind sie, steif sind sie. Ich will Ihnen was vorschlagen. Es gibt ein Haus in Hamburg, da können Sie hingehen, da werden stellungslose Kaufleute aufgenommen, auch strafentlassene Kaufleute. Da ist eine Schreibstube dabei, Sie arbeiten dort tagsüber, genau wie auf einem Büro, und dafür haben Sie Ihr Zimmer und Ihr Essen frei. Wenn Sie mehr verdienen, wird Ihnen das gutgebracht. Sie brauchen Ihre Arbeitsbelohnung nicht anzugreifen, die wird sogar mehr, wenn Sie fleißig sind. Und sobald Sie sich sicher fühlen und irgendeine Arbeit wissen, gehen Sie raus aus dem Heim. Sie können jeden Tag rausgehen, Kufalt.“
„Ja“, sagte Kufalt überlegend. „Es sind nicht nur Strafentlassene da?“
„Nein“, sagt der Direktor. „Soviel ich weiß, auch sonst Stellungslose.“
„Und ich kann da ohne weiteres hin?“
„Ganz richtig. Sie lernen gehen, Kufalt, weiter nichts. Es wird natürlich da so eine Art Hausordnung geben, und sehr luxuriös wird es auch nicht grade sein, aber Sie sind ja nicht verwöhnt.“
„Nein“, sagt Kufalt aufatmend. „Nein, das bin ich nicht. Das ist sehr gut. Das will ich tun.“
Er sieht vor sich hin. Der Hunderter im Strumpf brennt wie Ausschlag. Er kämpft mit sich. Er möchte ihn dem Direktor geben: ‚Da, nehmen Sie, ich will klaren Weg haben.’ Der Direktor würde schon nichts fragen. Aber dann tut er es doch nicht, es sähe so großsprecherisch aus, als wolle er seine Dankbarkeit abbezahlen, aber oben in der Zelle wird er ihn gleich zerreißen. Bestimmt.
„Ja“, sagt der Direktor. „Dann ist also alles klar. – Und wenn irgendetwas nicht klappt, dann schreiben Sie mir.“
„Ja. Und ich danke Ihnen auch, Herr Direktor. Ich danke Ihnen für alles.“
„Gut“, sagt der Direktor und steht auf. „Und nun bringe ich Sie noch zum Pastor. Der besorgt die Anmeldung im Heim.“
„Zum Pastor –?“ fragt Kufalt. „Ist es ein frommes Heim?“
Er bleibt sitzen.
„Nein, nein. Wenn auch ein Pastor sein Leiter ist. Es ist ganz interkonfessionell. Da sind Juden und Christen und Heiden.“ Der Direktor lacht beruhigend.
„Aber ich möchte nicht gerne zum Pastor.“
„Seien Sie kein Tor“, sagt der andere energisch. „Der Pastor meldet Sie an, das ist eine Formalität, die ebensogut der Polizeiinspektor oder der Postwachtmeister machen könnte. Zufällig macht sie nun mal der Pastor.“
„Ich gehe nicht gerne zum Pastor.“
„Nun schön. Wollen Sie fünf Minuten Unannehmlichkeiten beim Pastor in Kauf nehmen oder lieber versacken? Also! Kommen Sie!“
Der Direktor ist schon halb auf dem Gang und geht Kufalt eilig voraus.
* * *
4
Plötzlich ruft Kufalt den Direktor, der schon fast an der Tür des Pastorenzimmers ist, an: „Herr Direktor, bitte noch was!“
Der Direktor wendet sich um: „Ja?“
„Der Bruhn, Herr Direktor, kommt doch auch übermorgen raus. Wenn Sie einmal mit ihm reden könnten?“
„Ja?“
„Es ist da was im Busch. Ich glaube, es haben ihm welche Versprechungen gemacht, und nun soll er angeschissen werden.“
Der Direktor überlegt eine Weile, er denkt scharf nach, dann fragt er: „Werkmeister?“
Kufalt sieht den Direktor an, aber er schweigt.
„Sie wollen nicht mehr sagen?“
Zögernd antwortet Kufalt: „Seit Sethe eigentlich nicht mehr sehr gerne.“
Sie stehen sich beide gegenüber auf dem Bürogang, Gefangener und Gefängnisdirektor, sie denken beide an jene Unterredung, da der Direktor dem Gefangenen Hilfe, Aufdeckung versprach. Die Stirn des Direktors ist dunkelrot geworden. Er sagt behutsam: „Es ist alles nicht so leicht Kufalt. Man muss schustern, ewig schustern...“
Und plötzlich rasch entschlossen: „Also, ich werde mit Bruhn reden, dass er keine Dummheiten macht.“
Und er geht Kufalt rasch ins Pastorenzimmer voran.
„Hier, Herr Pastor, bringe ich Ihnen Kufalt. Er hat ein Anliegen an Sie.“ Und zu Kufalt: „Also, lassen Sie es sich gut gehen. Halten Sie die Ohren steif und – alles Gute!“
Er gibt ihm die Hand, leise murmelt Kufalt etwas, und der Direktor ist fort.
Der Pastor sagt: „Also, mein lieber junger Freund, Sie haben ein Anliegen an mich. Sprechen Sie sich aus, sagen Sie mir alles, was Sie auf dem Herzen haben.“
‚Das möchtest du wohl’, denkt Kufalt und schaut mit kaum verhohlenem Widerwillen in das glatte, wohlgenährte Gesicht.
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