Ich rufe sie als erstes an. Sie will zuerst von Südtirol einen Bericht hören, kommt aber dann schnell zum Kern der Sache. „Wann können Sie kommen?“
„Also ein paar Tage müssen Sie mir schon noch geben. Hier liegt ein Berg von Post, einige Anrufe muss ich abarbeiten. Also ich meine, eine Woche werde ich schon noch benötigen. Aber bitte eine Frage, wie soll ich denn am besten anreisen?“
„Mit der Bahn wird wohl am bequemsten sein.“
„Das meine ich auch, ich werde für Sie ein Zimmer im Hotel für die erste Nacht reservieren. Am nächsten Tag werden wir dann aufbrechen. Ach, im Moment haben wir strahlenden Sonnenschein, also warten Sie nicht solange!“
Ich krame einen Kalender hervor und wir einigen uns auf den 4. April, so habe ich noch gut zehn Tage für die Vorbereitungen.
Zuerst gehe ich ins Internet und befrage Google nach einem Schloss oder Herrenhaus, auf welches die Beschreibung passt. Ich bin erstaunt, wie gut hier Mecklenburg-Vorpommern vertreten ist. Aber leider ist nichts vorhanden, was mir weiterhelfen könnte.
Meine Unterlagen sind normalerweise sehr reichhaltig, da ich mich auf Meck-Pomm. ein wenig spezialisiert habe. Zu viele Objekte sind es inzwischen gewesen. Leider viele, bei denen eine Renovierung nicht mehr lohnte. Die Bausubstanz war einfach nicht mehr zu retten. Sie fallen in sich zusammen und irgendwann sind sie dann verschwunden. Es wird Gras über sie wachsen und zum Schluss ist alles was bleibt, ein Hügel Erde. Vielleicht wird in ein paar hundert Jahren mal jemand die Grundmauern finden und sie historisch als wertvoll einstufen. Bei einigen Objekten wurde mit der Renovierung begonnen und wegen Geldmangels alles wieder eingestellt. Aber die vielen inzwischen wieder hergestellten Schlösser und Herrenhäuser sind zu bewundern und die Besitzer sind zu beglückwünschen.
Nicht selten sind sie bis an den Rand des finanziell Möglichen gegangen, um ihr Werk fertig zu stellen.
Ich lege mir meine Unterlagen zurecht, um meine Reise vorzubereiten. Messgeräte, Zeichenpapier und den üblichen Kram. Bei der Wäsche gehe ich auf Nummer sicher. Auf jeden Fall warme Sachen, die alten Gemäuer sind teilweise schlimmer wie ein Kühlschrank.
Für den 3. April bestelle ich ein Bahnticket mit Schlafwagen bis Hamburg, so komme ich auf jeden Fall ausgeruht an und kann mir eine Übernachtung im Hotel ersparen.
Jedes Objekt ist eine erneute Herausforderung, selten gleicht das Eine dem Anderen.
So gehe ich also mit neugierigen Gedanken zum Bahnhof. Mein Zug steht bereits zum Einsteigen bereit. Ich mache es mir bequem, schnappe mir einen Schmöker und vertreibe mir die Zeit mit Lesen. Das gleichmäßige Ruckeln lässt mich schon bald nach der Abfahrt in den Schlaf sinken.
Die Ankunft in Hamburg ist pünktlich, so habe ich noch genug Zeit ein Frühstück einzunehmen. Auch mein Anschlusszug steht schon da, so dass ich auch in Wismar pünktlich sein werde. Ich rufe Barbara an und bestätige nochmals meine Ankunft. Sie will mich nun doch gleich am Bahnhof treffen, damit wir gleich losfahren können.
Etwas verunsichert stehe ich am Bahnhof von Wismar, sagten wir nun unter der großen Uhr oder neben der großen Uhr? Wenn ich so um mich sehe, entdecke ich gleich mehrere große Uhren. Sie muss mich wohl erkannt haben, eine junge Frau steht plötzlich vor mir und meint, „Suchen Sie mich?“
„Wenn Sie Barbara sind? Ich hatte sie mir anders vorgestellt, eher wie eine Landfrau, stämmig und kräftig.“ Barbara muss lachen, ein herzliches, fröhliches Lachen. Wie sie so vor mir steht, denke ich. Vorsicht, in die junge Dame, könntest du dich verlieben. Ihr Körperbau ist nicht zu dick, nicht zu dünn, in Bayern würde man sagen, „Genau richtig, es passt alles.“ Die nächste Überraschung die folgt alsbald. Es ist das Auto, es ist ein „Citroen Entchen“ in rot, etwas ungepflegt und mit einigen Roststellen und Schrammen versehen.
Sie steht im Halteverbot und wird gerade aufgeschrieben. Sie schimpft wie ein Rohrspatz, so dass der Polizist von weiterem Schreiben absieht.
Zuerst sage ich mal gar nichts, ich betrachte sie von der Seite, um mir ein Bild von ihr zu machen.
Sie trägt eine Jeansjacke mit verschiedenen bunten Tüchern, die sie sich um den Hals geschlungen hat. Der lange Rock hat viele Falten, so dass ich vermute, er wurde auf einer Ungarnreise erstanden.
„Sie sagen ja gar nichts“ meint Barbara.
„Ich lasse Sie gerade auf mich wirken.“
Sie lacht herzlich, „Ich lasse mich nun mal nicht gerne aufschreiben.“ Wir starten und die Straße führt uns Richtung Rostock, so vermute ich. Es könnte sich um die Gegend zwischen Rostock und Stralsund handeln. Hier liegt ja auch das Schlösschen Krönnevitz, welches ich schon von früheren Besuchen her kenne.
Wir gondeln, denn von Fahren konnte man nicht sprechen, so dahin. Sie steuert einen Parkplatz an und parkt das Entchen. Sie fängt das Gespräch so an: „Da ich nicht möchte, dass ein Fremder weiß, wie man zu meinem Anwesen kommt, werde ich Sie bitten, die Augen zu schließen. Mein Anwesen kennen nur sehr wenige, in einem Verzeichnis ist es nicht registriert. Wenn ich später weiß, dass ich Ihnen trauen kann, werden Sie erfahren, wo es ist.“
„Spätestens wenn ich es sehe, werde ich wissen, um was es sich handelt und wo es liegt.“ Ich bin etwas mürrisch und verhehle es nicht. Da ich ja nun endlich wissen will, mit was ich es zutun haben werde.
Wir steigen aus und vertreten uns die Beine, als sie auf mich zukommt, sagt sie, „Ich werde Ihnen nun die Augen verbinden.“ Ich bin so erstaunt, dass ich nur sage, „Wenn Sie meinen. Dann spielen wir eben Blindekuh.“
Sie lacht, „Da habe ich auch nichts dagegen.“ Barbara nimmt eines ihrer Tücher, legt es sorgfältig zusammen. Geschickt legt sie das Tuch über meine Augen, wickelt es noch zweimal darum und meint, „Fertig!“
„Soll ich nun das Entchen suchen oder führen sie mich hin?“
„Suchen Sie ruhig. Ich werde ein Foto mit dem Handy als Erinnerung schießen!“
So bekommt die komische Situation eine lustige Variante. Tatsächlich lässt sie mich nach dem Auto suchen. Als ich aber zu sehr vom Weg abkomme, nimmt sie meine Hand und führt mich zum Wagen. Ihre Hand fühlt sich gut an. Ein fester Griff, aber ich spüre deutlich, dass sie mich mag.
So sitze ich nun mit verbundenen Augen neben ihr im Auto. „Ich hoffe es wird Ihnen nicht schlecht“, meint sie noch mit einem spöttischen Unterton.
„Nein, ich bin selbst verwundert, wie aufregend dieses Spiel ist. Es macht sogar richtig Spaß.“
„Sie können ja raten, wo wir gerade lang fahren.“
Sie setzt die Fahrt fort und will ein wenig über mich und meine Arbeit erfahren. So beginne ich im Telegram-Stil eine Kurzfassung abzugeben.
„Soll ich langsamer fahren oder geht es so?“
„Wie lange wird es denn dauern?“
„So etwa eine Stunde, je nach Verkehr. Es gefällt mir übrigens, wie brav sie mit verbunden Augen hier sitzen. Das Tuch steht ihnen.“
„Erzählen Sie mal ein wenig von sich“, fordere ich Barbara auf. Sie will bei Adam und Eva anfangen, so unterbreche ich sie und bitte um eine verkürzte Schilderung.
„Studentin der Germanistik, sechsunddreißig Jahre, also noch unter Honecker aufgewachsen. Mein Onkel hat mir das Gebäude vermacht. Zuerst habe ich mit dem Gedanken gespielt es zu verkaufen. Lange Zeit war gar nicht klar, ob wir überhaupt einen Anspruch auf das Anwesen haben. Ein entfernter Onkel ist der eigentliche Eigentümer. Er hat aber keine Erben. So fragte er meinen Vater, ob er Interesse hat. Eines Tages stand der Postbote mit einer Urkunde vor der Türe. Wir hatten keine Ahnung was uns erwarten sollte. Mein Vater kannte das Anwesen aus Kriegszeiten, aber er hatte keine Ahnung, in welchen Zustand es sich tatsächlich befindet.“
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