„Ich will jetzt erstmal, dass Grass über all die Dinge wächst, die ich erlebt habe.“
„Was haben sie dir denn angetan, dass du so fluchtartig weg bist?“
„Ich will nicht darüber sprechen.“ „Betti meinte, sie hätte dich ein wenig eingeschränkt in deiner Bewegung. Was meint sie denn damit?“
„Lass es, ich werde dir später davon erzählen. Wann kommst du denn nach München?“
„Keine Ahnung, ich hänge hier mit einem Projekt von der Regierung fest. Das kann dauern.“
Ich erzähle noch von meiner Einladung nach Barcelona, welche in etwa vier Wochen ist. „Du fliegst ja sicher, oder fährst du von Brixen mit dem Wagen?“
„Weiß ich wirklich noch nicht. Wenn, dann müsste ich mit dem VW fahren, da kann ich auch mal drin schlafen. Da hätte ich dann noch eine Anfrage aus Arles in Südfrankreich, da müsste was renoviert werden.“
„Dann mach das doch, nimm deinen VW. Dir geht aber die Arbeit auch nicht aus?“ „Gott sei Dank, im Moment bin ich ein viel gefragter Mann.“
„Ich weiß, besonders von Betti, ich glaube sie hat sich in dich verliebt. Sie wollte wissen, ob du verheiratet bist.“
„Ach sieh mal an. Ich dachte die beiden Weiber sind zusammen, sind vielleicht sogar Lesbisch.“
„Da blickst du niemals durch, vielleicht sind sie ja Bi?“
„Auch möglich.“ Wir versprechen uns, bald ein Treffen zu arrangieren, spätestens in München zum Oktoberfest. „Also Servus Richi!“ Für heute Abend habe ich genug Arbeit mitgenommen. Ich muss noch mal die ganze Baustelle durchrechnen. Ich lasse mir eine große Platte Parmaschinken und eine Flasche Rotwein auf mein Zimmer kommen, um dort zu arbeiten. Als ich auf die Uhr sehe ist es bereits 22.30 Uhr, Zeit für heute Schluss zu machen. Ich dusche noch und lege mich zum Fernsehen auf mein Bett. Ich sehe mir noch den Kalender für die nächsten vier Wochen an und beginne zu grübeln.
Der Hoteldirektor des Hotels in Brixen hat mir extra sein Arbeitszimmer angeboten, um etwas Erleichterung zu haben. Ich habe es mir dort gemütlich eingerichtet.
Eine sehr nette Bedienung ist bemüht mich vor dem Hungertod zu bewahren. Immer wieder kommt sie und fragt, ob ich nicht eine Kleinigkeit zum Essen bräuchte. Eine Kleinigkeit ja, aber nicht die große Schinkenplatte. Sie bringt Melone mit Schinken. „Kommen Sie und setzen Sie sich dazu. Ich kann das alles gar nicht essen. Sie sprechen so gut Deutsch, wo haben sie dies gelernt?“
„Meine Mutter ist aus Graz, mein Vater ist aus Brixen“ Erklärt sie. „Sie sprechen aber auch gut Deutsch, obwohl sie aus Bayern sind.“ Wir lachen und prosten uns mit einem guten Wein zu. „Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen am Wochenende eine sehr schöne alte Almhütte.“
„Benötige ich eine Kletterausrüstung?“
„Nein wir erreichen sie über einen ganz bequemen Weg, man kann fast bis vor die Hütte mit dem Wagen fahren. Mein Vater hat sie vor etwa zehn Jahren erworben und seit dem renoviert er daran.“
„Meinen sie er braucht Hilfe?“
„Einen guten Rat nimmt er sicher gerne an. Er ist immer am Samstag und Sonntag oben auf der Alm.“
So beschließen wir, am Samstag gemeinsam dorthin zu fahren. Samstag früh, wird mir ein Zettel unter der Türe durchgeschoben. „Bitte nehmen Sie einen Anorak und warme Sachen mit.“ Als ich in den Frühstücksraum komme, huscht sie vorbei und fragt, ob es in einer halben Stunde recht sei. Ich nicke, und sehe ihr beim Hinausgehen nach. Ein überaus fesches und lebensfrohes Geschöpf, schon bei meinen letzten Besuchen ist sie mir aufgefallen. Wie alt wird sie wohl sein? Wie hübsch sie sich zurecht gemacht hat. Ich warte mit dicker Jacke und Jeans am Eingang des Hotels. Um die Ecke prescht ein Motorrad und hält direkt vor meinen Füßen. „Komm, steigen Sie auf“, fordert mich Irmi auf.
„Ich dachte, wir nehmen den VW, der hat Vierradantrieb.“
„Mit dem Auto kommen wir zwar hinauf, aber mit dem Motorrad macht es mehr Spaß.“ Ich nehme hinter ihr auf dem Motorrad Platz. „Halten sie sich bitte fest, haben sie keine Scheu sich an mir festzuhalten.“ Sie braust los, als wolle sie mir beweisen, wie gut sie fahren kann. Ich halte mich an ihrer Hüfte fest. Hin und wieder greife ich recht herzhaft zu, damit ich nicht aus dem Sattel fliege. Sie hält kurz an und meint, „jetzt müssen wir den Anorak schließen, es wird im Wald ziemlich kühl.
Sie dreht sich zu mir um und schließt ihn bis ganz oben, dabei blickt sie mir in die Augen, dass mir ganz komisch wird. Aber da gibt sie schon wieder Gas. Durch den Wald macht die Maschine ein paar ganz tolle Sprünge. Links, rechts, dann kommen wir auf eine Lichtung. Sie gibt noch mal richtig Gas und da taucht auch schon ein Holzhaus auf. Vor dem Eingang winkt uns ein älterer Herr.
„Du hättest aber auch mit dem Auto kommen können.“ Da bleibt mir ja die Spucke weg. „Ich wollte mal zeigen wie schön es mit dem Motorrad ist.“ Der Herr stellt sich als Vater vor und zeigt hinter das Haus, „hier steht mein Unimog.“
Es ist ein typisches Anwesen für diese Gegend. Er bietet uns einen Enzianschnaps an. „Dann müssen Sie aber auch mein selbstgebackenes Brot und die frische Butter probieren.“
Er ruft seine Tochter Irmi. In diesem Moment fragt er, wie ich denn heiße.
„Sagen sie einfach Manfred.“ Wir setzen uns in der Stube an den großen Tisch und machen Brotzeit, „da hab ich noch eine sehr gute Leberwurst. Ich habe diese Sachen nur hier oben, wenn mal das Wetter umschlägt.“
„Verstehe, aber Sie Essen schon gerne gut“, frage ich.
„Ja, doch schon“. Er lacht. Irmi macht ein wenig Musik, richtige Almmusik auf der Zitter, so holt er noch seine Gitarre und fängt an zu singen. Später zeigt er mir das Haus. Es war prachtvoll renoviert. „Leider hat es meine Frau nicht mehr erlebt. Sie ist beim Bergsteigen umgekommen.
Irmi war gerade mal zwölf Jahre. Ich bin sozusagen Alleinerziehender.“
„Sie machen das aber wirklich gut. Ihre Tochter ist ja eine richtige
Vorzeige-Tochter.“ Da wird Irmi rot. Gegen Abend frage ich, wann wir wieder aufbrechen. „Heute nicht mehr, wir erwarten ein Unwetter.“ Der Vater muss lachen. „Wir erwarten immer ein Unwetter, wenn wir nicht ins Tal wollen.“
„Sie bekommen einen Schlafanzug meines Vaters, einen Bademantel bekommen sie ebenfalls. Ein paar Hausschuhe gibt es sicher auch noch irgendwo.“
„Schlaf ich dann im Heu?“
„Seien Sie beruhigt, wir haben auch ein Gästezimmer.“ Der Vater meint zu Irmi, „Der junge Mann glaubt, wir leben hier noch im achtzehnten Jahrhundert.“
„Stell dir vor, wir haben hier fließendes Wasser. Entschuldigen Sie, ich habe versehentlich „Du“ gesagt.“
„Was halten Sie von Leber und Blutwurst? Dann machen wir noch Bratkartoffeln dazu.“
„Aber nur, wenn wir alle mit helfen.“ Wir stoßen mit einem Enzian auf zukünftiges „Du“ an. Dann beginnen wir mit der Küchenarbeit. Irmi deckt den Tisch. Ich fragte nach der Toilette. Irmi meinte, „da drüben liegt der Prügel, den brauchst du zum Wölfe vertreiben.“
„Den Witz kennen wir sogar in Bayern“, meine ich lachend.
Der Vater wollte etwas mehr über meine Arbeit erfahren. Eigentlich wusste er schon alles, wie ich feststellen musste. Irmi hat mich wohl ausgeforscht und es ihrem Vater erzählt. „Du bist aber gut informiert.“
„Ja klar, ich kenne dich ja schon fast drei Jahre.“ So langsam wird mir klar, was sie vorhat. Der Vater meint, „Irmi hat mir erzählt, dass ihre Familie eigentlich aus dieser Gegend ist.“
Irmi macht den Vorschlag, noch etwas Musik zu machen. Sie legt eine CD auf. „Nach dem Essen, können wir ja noch selbst musizieren.“
„Wenn ich da eine Hilfe sein kann, gerne.“
„Du machst das aber sehr gut“, meint Irmi.
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