›Schuldig.‹
Matthew lächelte und rutschte tiefer, während er schrieb. › Wie ist das, sind Sie ein klassischer Papierleser?‹ , fragte er als nächstes, weil dieses Thema ihm in letzter Zeit immer wieder begegnete.
›Ja. Ich liebe echte Bücher. Kennen Sie die Bibliothek aus »Die Schöne und das Biest«? Das wäre der perfekte Ort für mich.‹ Das kleine Zeichen zeigte Matthew, dass der Andere immer noch tippte, obwohl die erste Nachricht bereits geschrieben stand, und so wartete er einen Moment auf das, was da noch kommen würde. › Wenn ich es so geschrieben sehe, dann weiß ich, warum ich ständig abserviert werde. Ich bin ein Freak . Oder ein Nerd. Was auch immer man heutzutage sagt.‹
Matthew lächelte, blinzelte dann aber. »Die Schöne und das Biest...« Oh je, den Film hatte er zuletzt mit...seiner Schwester geguckt, vor... Na ja, er war alt.
› Und ich merke, wie alt ich bin. Den Film habe ich vor etlichen Jahren das letzte Mal gesehen.‹ Aus den folgenden Worten konnte er die Überraschung, mit der sie geschrieben wurden, deutlich ausmachen.
› Ist das Ihr Ernst, Mr. M?! Das ist ein Klassiker! Kein Wunder, dass Sie nicht verheiratet sind. Sie sollten Ihre Chancen aufbessern und sich den Film so schnell wie möglich noch einmal ansehen! ;) ‹ Jetzt musste Matthew lachen.
› Sie denken also, auf mich stehen Menschen, die diesen Klassiker jedes zweite Wochenende ansehen und zu schätzen wüssten, wenn ich die Bibliothek kennen würde?‹ , schrieb er amüsiert zurück. Eigentlich hatte er sich ja extra früh ins Bett gelegt, um noch etwas zu lesen und dann früh zu schlafen. Er war auch müde, aber dieses Gespräch fesselte ihn viel zu sehr, was verrückt war, wenn man bedachte, dass es lediglich digital stattfand.
›Es geht nicht um jedes zweite Wochenende. Aber -vor Jahren- das letzte Mal ist nicht verhandelbar, Sir.‹ Lächelnd schüttelte Matthew den Kopf.
›In Ordnung. Ich werde ihn mir ansehen, wenn Sie mir versprechen, es noch einmal mit sexy Flirten zu versuchen, Johnny .‹ Schon bevor er die Antwort des Fremden bekam, war Matt sich sicher, dass dieser nicht auf den Deal eingehen würde.
›Nur wenn Sie mich dann im Gefängnis besuchen, in dem ich aufgrund von Erregung öffentlichen Ärgernisses landen werde. Ich kann so etwas nicht.‹
Matthew schnaubte. › Ich bitte Sie! Sie schließen die Lippen um einen Strohhalm und sehen ihrem Objekt der Begierde in die Augen. Sie streichen sich durchs Haar oder, wenn das geht, eine Haarsträhne hinters Ohr. Sie suchen Blickkontakt, lächeln. Während Sie mit jemand anderem tanzen, sehen sie natürlich nicht auf ihn, sondern auf die Frau oder den Mann, mit dem Sie lieber tanzen würden. Es ist ganz einfach!‹ Versuchte er hier gerade wirklich, einem fremden Menschen das Flirten beizubringen?
› Das würde damit enden, dass ich mir den Strohhalm in die Nase ramme und beim Tanzen ein Bein breche. Glauben Sie mir, ich bin so talentiert.‹
› Dann sieht es schlecht aus für den Disney-Klassiker. Schade...‹
› Es ist Ihre Zukunft. Sie verbauen sich Chancen ohne Ende. Glauben Sie mir.‹
Matthew gluckste. › Na, ich -kann- immerhin sexy flirten. :P‹, tippte er. › Gute Nacht, Johnny. Bis bald.‹ Der Braunhaarige schob sein Handy auf den Nachttisch und legte das Buch dazu, bevor er das Licht ausschaltete und seufzend die Decke über sich zog. Ob er irgendwann einmal in seinem Zuhause ankommen würde? Es dauerte immer fast zwei Jahre, sich heimisch zu fühlen und noch länger, die Gegend kennenzulernen. Vielleicht sollte er aufhören, umzuziehen. Jetzt, wo er selbständig war, würde er vielleicht tatsächlich länger hier leben. New Maple schien eine schöne Stadt zu sein. Bei Weitem keine Kleinstadt, aber sie war auch nicht so groß wie New York. Der Big Apple lag ganz in der Nähe, hatte Matthew aber schon immer abgeschreckt.
Meilen entfernt stieg Emmett kopfschüttelnd unter die Dusche. Das heiße Wasser tat unheimlich gut. Und er ging das Gespräch im Kopf noch einmal durch. Auch als er im Bett lag, musste er noch lächeln. Und das sollte sich auch in den folgenden Tagen wiederholen. Immer wieder schrieb er sich kleine Nachrichten mit Mr. M. Einem Mann, den er nicht kannte und auch nie kennen lernen würde.
Es machte Spaß. Es war witzig und es vertrieb Langeweile und Wartezeiten in jeglichen Situationen. Mit einem Fremden zu schreiben, hatte er sich niemals als so amüsant vorgestellt. Mr. M hatte Humor. Es war...zwanglos. Auch wenn mal keine Antwort kam, war es nicht schlimm. Sie waren einander fremd und vielleicht war es gerade aus diesem Grund so einfach. Sie stellten keine Erwartungen aneinander und schuldeten einander nichts. Das machte es so leicht. Emmett kam von einem Termin von seiner Verlegerin, als er erneut nach dem Handy griff.
Er stand bereits seit 10 Minuten an der Bushaltestelle, den Schal hoch um das Gesicht gebunden. Es war eiskalt. Und der Bus hatte laut der Anzeigetafel Verspätung. Das war eine der typischen Situationen, in denen er nach seinem Handy griff und dann eine Nachricht an den fremden Mr. M schickte. Manchmal hatte er Glück und er bekam sofort eine Antwort. Manchmal dauerte es ein paar Stunden oder auch ein paar Tage bis etwas zurückkam. Aber das war etwas, was diese Art der Kommunikation ausmachte. Kein Zwang.
Seine Finger fühlten sich steif an, während er auf dem Touchscreen herumtippte und die Nachricht verfasste.
› Okay. Ich erfriere vermutlich innerhalb der nächsten 5 Minuten. Also beantworten Sie mir noch eine Frage, Mr. M. Die Welt stürzt ins Chaos. Eine ewige Eiszeit bricht herein. Was tun Sie?‹ Die Frage erschien ihm passend, schien doch gerade jetzt auch eine Eiszeit zu herrschen. Eine Eiszeit, mit der sich auch Mr. M befassen musste. Denn dieser versuchte gerade ein Fortbewegungsmittel zu erhaschen, das klimatisiert war. Zu diesem Zweck hob er den Arm und winkte sich ein Taxi heran. Fest rieb er seine Hände aneinander, als er im Wagen saß und so wenigstens vor dem Wind geschützt war. Ohne seinen dicken Mantel, den Schal und die Handschuhe war es nicht auszuhalten. Er dachte ernsthaft darüber nach, sich eine Mütze zu kaufen. Sein Handy vibrierte und er ahnte schon, wer das war. Lächelnd zog er es hervor, zog die Handschuhe aus und entsperrte den Bildschirm. Dann las er und musste prompt lächeln.
»Bitte nicht erfrieren...«, murmelte er vor sich hin, während er schon tippte.
› Ich suche meinen MP3-Player, da das Internet vermutlich ausgefallen ist, suche einen passenden Song, zum Beispiel...‹ Matthew überlegte kurz. › ...»Here comes a regular« von den Replacements. Ich höre den Song immer und immer wieder, bis die Batterie leer ist, versuche meine Liebsten zu erreichen. Wenn der MP3-Player aus geht, gehe ich nach draußen, um zu erfrieren .‹
Emmett starrte auf das Handy und konnte fast nicht glauben, was er da las.
› Oh mein Gott, Mr. M! Sie enttäuschen mich. Sie geben einfach so auf? Richtige Songs wären... ›Light my fire‹ oder ›Burn baby, burn‹ und dann sucht man sich ein Haus mit einem Kamin und einem großen Holzvorkommen daneben. Bäume. Alte Möbel. Und dann heizen Sie, was das Zeug hält!‹ Emmett schüttelte sich vor Kälte. › Vielleicht ist die wahre Bedrohung aber das zusammenbrechende Nahverkehrssystem. Und zwar hier und heute. Und nicht die Eiszeit selbst.‹
Deutlich schüttelte Matthew den Kopf als ihn diese Nachricht erreichte und eigentlich sollte er endlich den Motor anlassen und los fahren, doch er tippte erst die Antwort.
› Johnny, du hast von einer ewigen Eiszeit gesprochen. Selbst, wenn du alles verheizt, was du findest: Du wirst nicht der einzige sein und die Vorkommen werden irgendwann erschöpft sein. Da genieße ich lieber die letzten Stunden.‹ Er hatte die Nachricht längst abgeschickt, als ihm die persönliche Anrede auffiel.
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