Als Matthew die Nachricht las, die Emmett ihm vor ein paar Minuten geschrieben hatte, stand er bei Daniel auf der Terrasse. Er hatte sich ein paar Tage frei genommen und hielt eine Cola in der freien Hand. Eigentlich hatte er sich zurückgezogen, um jemand anderem zu schreiben, der ebenfalls weit weg war, aber nun dachte er zuerst über Emmetts Worte nach. Matthew wusste, Em mochte weder Partys noch Alkohol noch laute Musik und inzwischen wusste er auch, dass der Andere sich Schlimmeres vorstellen konnte als an Silvester allein zu sein. Er musste lange nachdenken, bevor er mit einer Hand zu tippen begann.
› Du machst das, weil du die tief romantische Hoffnung hast, irgendwo da draußen auf diesen einen Menschen aus 7 Billionen zu treffen.‹ , schrieb er zurück und nahm damit Bezug auf eines ihrer Gespräche, das sie zu Beginn ihrer wie auch immer gearteten Beziehung geführt hatten, bevor er einen anderen Chatverlauf aufrief und auch dort etwas schrieb.
›Netter Versuch. Aber ich habe noch keine 1,5 Promille auf dem Kessel. Versuch's noch mal. Oder erlaube mir, nach Hause zu gehen.‹ Es folgte sogar noch ein Smiley mit diesen großen bettelnden Augen. › Bitte!‹ Als Matthew dieses letzte Wort las, konnte er fast hören wie flehentlich es klang.
›Ich versuch's noch mal .‹, schrieb er dennoch grinsend. › Du machst das, weil du jemanden für eine heiße Nacht suchst. Jemanden, der dich vergessen lässt, wie lange du allein bist, jemanden, den du mitnehmen kannst oder der dich mitnimmt und keine Fragen stellt. Der dir einfach nur einen wohl verdienten Neujahrs-Fick schenkt.‹ Gerade hatte Matthew auf Senden gedrückt, als ihn eine Stimme zusammenzucken ließ.
»Na, schreibst du mit deiner neuen Bekanntschaft?« Schnell schob Matthew das Handy in die Jeanstasche.
»Gewissermaßen.« Dans graue Augen lagen auf ihm, grinsend.
»Triffst du dich heute noch mit ihr?« Matthew nickte.
»Je nachdem, wie schnell ich durchkomme, kann es auch erst früher Morgen werden, aber ich werde deshalb auch etwas früher gehen als sonst.« Danny winkte ab.
»Kein Problem, hier ist ja noch genug los.« Matthew warf einen Blick an seinem Kumpel vorbei in dessen Wohnzimmer, aus dem Musik und Lachen durch die offene Terrassentür zu ihnen drang.
»Oh ja, aber das Feuerwerk schaue ich mir auf jeden Fall noch an.« Danny lächelte.
»Das freut mich.« Matthews bester Freund nickte zu dessen Hosentasche. »Erzähl mir von ihr.« Matthew verkniff sich ein Grinsen, da sie hier über unterschiedliche Personen sprachen und beschrieb Dan die Frau, mit der er sich gerade traf anstatt die Situation aufzuklären. Dafür war ein anderes Mal noch Zeit.
»Schade, dass ich so weit weg wohne, sonst könntest du sie mir persönlich vorstellen.« Daniel setzte die Bierflasche, die ihn begleitete, an die Lippen, um einen Schluck zu trinken.
»Aber ich wünsch euch viel Glück. Oder sollte ich lieber Spaß wünschen?« Grinsend legte er Matt eine Hand auf die Schulter, der zu lachen begann.
»Glück reicht vollkommen. Ich werde schon mal etwas zusammenpacken und meine Tasche ins Auto bringen.« Während Matt sich anschließend langsam für den Aufbruch bereit machte, starrte Emmett auf das Display, auf dem die Nachricht stand.
»Ein Neujahrs-Fick...«, murmelte Emmett. Dann schüttelte er sich. »Nein. Das war's. Ich hau hier ab.« Er erhob sich genau in dem Moment, als eine junge Frau an ihm vorbeirannte und es gerade noch durch die Haustür in den Vorgarten schaffte, wo sie sich geräuschvoll übergab. Ja. Es war definitiv Zeit zu gehen. Er suchte Hanni und verabschiedete sich von ihr, was sie bedauernd zur Kenntnis nahm, aber sie hielt ihn nicht auf. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihn in so einer Situation nichts halten würde und sie rechnete es ihm hoch an, dass er immerhin mitgekommen war. Doch für Emmett war dieses Feiern nichts.
Er atmete tief durch als er den Vorgarten verließ und den Lärm hinter sich lassen konnte. Auf den Straßen war es voll, der Bus war eine Katastrophe und er atmete erleichtert auf, als er Zuhause ankam und die Tür hinter sich schloss. Stille umhüllte ihn und er lehnte sich ein paar Minuten gegen die Tür und genoss es einfach nur so dazustehen. Leise Geräusche drangen aus den anderen Wohnungen zu ihm und das gefiel ihm tausend Mal besser als die laute Musik. Er kochte sich einen Tee, setzte sich aufs Sofa und genoss dann das Farbenspiel am Himmel und im Fernsehen. So konnte man entspannt in das neue Jahr starten.
Entspannt ging es bei Matt hingegen ganz und gar nicht zu. Daniel und seine Nachbarn boten jedes Jahr ein gemeinsames Feuerwerk, das er schon immer gern zu Silvester bestaunt hatte. Doch dieses Jahr hing er mit seinen Gedanken bei einer ganz bestimmten Person, die viele Meilen entfernt mit ihren Freundinnen in New Maple den Jahreswechsel feierte. Um sich von ihrer ausbleibenden Antwort abzulenken, schrieb Matthew kurz nach Mitternacht eine Nachricht an Emmett und wünschte ihm im neuen Jahr alles Gute und mehr Glück in der Liebe. Als sich Matt endlich auf den Weg zu einer Adresse machen konnte, bei der er in letzter Zeit öfter ein und aus ging, lag noch eine längere Autofahrt vor ihm. Er ahnte, dass es immer schwieriger werden würde, sein Leben in New Maple inklusive seiner Bekanntschaften dort mit dem Leben zu verbinden, das er vorher geführt hatte. Ems Vergleich seines jetzigen Lebens und seines Zukunftstraums mit zwei losen Fäden kam ihm in den Sinn und er dachte eine Weile darüber nach, während vor den Fensterscheiben des nachtschwarzen Wagens die Landschaft vorbeizog und er seiner neuen Heimat entgegenfuhr. »Hey Schöner.«, wurde er dort lächelnd in den frühen Morgenstunden begrüßt. Eine schwarzhaarige Schönheit, sportlich schlank und beinahe so groß wie er selbst stand vor ihm, nur in einen Bademantel gehüllt, unter dem Matt nichts weiter als nackte Haut vermutete und innerlich seufzte Matthew auf. Eines wusste er sofort: Er würde zu seinem Neujahrs-Fick kommen.
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Das neue Jahr begann gut für Emmett. Sein neues Buch wurde herausgebracht und es lief gut an. Also würde der Verlag auch sein nächstes Buch verlegen, was ihm seine Verlegerin zusicherte. Es schien sich wirklich gut zu verkaufen, war doch die Kombination von einem großen Tischler und einem Zwergenermittler in dem Genre neu. Und dann kam wieder einer der Tage, an dem alles schief ging. Schon nach dem Aufstehen rammte er sich den Fuß an, auf dem Weg zum Verlag schlug er der Länge nach hin. Nach einem flüchtig eingenommenen und total geschmacklosen Mittagessen rempelte ihn auch noch jemand an. »Passen Sie doch auf!«, blaffte er wütend den Mann an, der ihn kaum zu bemerken schien. So ein typischer Anzugträger. Er war wirklich froh, als er am Abend wieder zu Hause war, um seine sprichwörtlichen Wunden zu lecken. Schlimmer konnte es kaum laufen. Auch die restliche Woche zog sich in dieser Manier weiter. Nichts schien funktionieren zu wollen. Auch die Ideen wollten nicht kommen, stundenlang saß er vor leeren Seiten und tippte Texte, hinter denen er nicht hundertprozentig stand und die er dann doch nur wieder löschte. Er wollte einfach nicht in das Gefühl hineinkommen, in dem es ihm gelang, gute Sätze zu Papier zu bringen. Immer wieder brach er frustriert seine Versuche ab. Am Ende der Woche, am Freitagabend, schrieb er wieder Matt.
› Sag mir etwas Nettes. Bitte. Egal was. Es kann auch gelogen sein.‹ Matthew dachte nicht lange nach und auch, wenn er die Antwort nur schrieb und den nicht mehr so Fremden, nicht mehr so Unbekannten nicht anrief, hoffte er, dass es fruchten würde, denn die Bitte klang für ihn wie die eines niedergeschlagenen Mannes.
› Alles wird wieder gut.‹ , schrieb er also als Erstes zurück. › Was ist passiert?‹ , tippte er hinterher. Er verließ gerade mit Chloe das Kino und trat auf den Bürgersteig.
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