„Nun, da geht es ihm gut dabei.“
„Ich hoffe, er erzählt in seiner Begeisterung nichts Strafbares. Ich meine, einiges von seiner Erzählung klingt, als ob es Leute gäbe, die das sehr bedrohlich fänden, gefährlich.“
„Ach, ich will doch nur, dass er noch mehr Gedichte schreibt.“
Esther war nicht sicher, dass das ein guter Grund war, so tief an gefährlichen Spielen beteiligt zu werden, in Dinge hineinzugeraten, die anderen den Job, das Ansehen, die Existenz kosten konnten. Sie musste aufpassen.
Edmunds Vater war ein hohes Tier im Ministerium, deshalb volontierte Edmund dort. Das bedeutete: Die Informationen waren Tatsache. Der traurige Edmund war Dichter und vielleicht Beamter, aber kein guter Geheimnisträger. Das war gefährlich. Für wen? Für viele.
Ezra hatte jetzt eine klare Aufgaben im Visier - neben dem Job Tina zu entfernen. Er musste klären, was da im Ministerium und mit Vorberg lief, und ob das Hille fast das Leben gekostet hätte. Und er musste das Zimmer für Tina erstklassig, passend, in jeder Hinsicht genau herrichten.
Dazu musste einiges organisiert werden. Deshalb brauchte er zuerst Esther. Er fand sie in der Werkstatt, wo sie den bemalten Kasten abwischte. „Kann man, glaubst du, so ein altes Stück einfach waschen?“
„Ich denke, die Bemalung ist Lack, oder irgendetwas wie Lack.“
„Hilf mir, ihn ans Licht bringen, damit ich besser sehe.“ Sie schoben und zogen das schwere Stück in Richtung der großen Schiebetüre.
Am Rand und um den Kasten war eine Blumenbordüre. Sehr aufwendig und in vielen Farben. Und in den Türen gab es jeweils ein Bild, das aber nicht richtig zu erkennen war, denn der Kasten war von braunen, krustigen Flecken überzogen. Ezra und Esther schauten ganz genau, dann kratzten sie vorsichtig an der Oberfläche. Schließlich holte Esther einen Kübel und Lauge und eine weiche Bürste. „Wo ist denn ein bisschen ein härterer Schwamm?“ Beide schrubbten einträchtig, jeder ein Bild. Wortlos hatte man sich geeinigt, dass man wissen wollte, was der verzauberte Kasten barg. Wie war er geboren worden, wie zum Leben erwacht, wofür hatte man ihn gemacht? Wenige Linien waren zu erkennen. Ein grünes Blatt tauchte aus der braunen Kruste, ein menschlicher Kopf, ein Bein. Irgendetwas wie eine Waffe. Manche Flecken lösten sich, andere hafteten unerbittlich.
Im ersten Stock war es in der Zeit ziemlich laut.
Wolfgang hatte sich erboten, das Zimmer neben Tante Tina auszuräumen, ein sehr großer Raum mit drei großen Fenstern. Dieses Zimmer schien wirklich lange unbenützt zu sein. Ida stand in der Türe, staunend, interessiert. Wolfgang schob gerade ein Bett mit Baldachin durch den Raum. Der Baldachin staubte. Die Farbe des Stoffes war kaum zu erkennen, irgendetwas, wie Gold und rötlich. Es flogen kleine Stücke des altehrwürdigen Belages ins Licht. Schnaufend setzte er ab und rieb seine Handflächen.
„Sag mal Ida, Ezra sagt, sie haben in der Wohnung die Mumie eines Hundes in einem Glaskasten gefunden? Was war denn das?“.
Ida hatte immer Zeit für Antworten. Es dauerte. „Ich denke, das war Schneewittchen.“ meinte sie nach einer Weile. Wolfgang konnte das nicht wirklich als Erklärung annehmen. Seine Bewegung machte Pause. Er hörte wahrscheinlich sogar kurz zu schwitzen auf. „Schneewittchen?“, wiederholte er langsam.
„Eigentlich hieß sie Bienchen, wahrscheinlich, weil sie ständig am Bellen war. Stell dir einen Hund vor, der aus einer Handtasche schaut und dauernd bellt. Sie hat natürlich auch gebissen. Mutter hat immer gesagt, sie ist emsig wie ein Bienchen.“ Noch immer keine Erklärung für den Glaskasten. Wolfgang wartete.
„Irgendwer hat sie vergiftet. Der Glassarg stand lange im Wohnzimmer. Es war einige Jahre so ein Mausoleum.“ Ida blieb in der Erinnerung stehen. Sie schnupperte. Auch in diesem Zimmer roch es nach Mausoleum, genau wie damals, verlassen, gemieden, vergessen wie müde Blumen. „Sollten wir hier auch einen Glassarg mit einem toten Hund reinstellen?“ fragte sie. „Oder vielleicht kann man die Fenster aufmachen?“
Wolfgang machte die Fenster auf. Von rechts nach links. Zwei gingen auf, eines nicht. „Das ist das mit Robert“, meinte Ida zu dem Fenster, das sich weigerte. „Robert will nicht aufgemacht werden.“
Da kam Ezra.
„Braucht ihr Hilfe?“
„Robert lässt sein Fenster nicht aufmachen“, meinte Wolfgang.
„Sag, wolltest du das Zimmer herrichten wegen Robert?“, fragte Ida.
„Ja, natürlich sind wir doch froh, dass wir Robert haben.“
Bei Wolfgang lief ein Film von Möglichkeiten, technischer Natur.
„Robert ist einer von uns, wir müssen nett zu ihm sein“, meinte Ida.
„Woher willst du wissen, dass er nicht auf Seiten von Tante Tina ist“, fragte Ezra.
„Ich hab das Gefühl, dass Robert auf gar keiner Seite ist. Wenn man eine Weile tot ist, wird man egoistisch, denke ich. Man kümmert sich nur mehr um sich selbst.“
„Hast du ihn heute schon gesehen?“, fragte Ezra.
„Ich war noch nicht draußen schauen.“
„Komisch“, meinte Wolfgang plötzlich, „Hier an der Wand entlang ist eine Spur im Staub, die wir nicht gemacht haben.
„Wieso meinst du?“
„Naja, hast du solche Schuhe an? Ich nicht.“ Im Staub zeichnete sich ein Schuhabdruck nach dem anderen, erstaunlich deutlich und klar. Ziemlich groß, große Füße. Sie trugen Stöckelschuhe mit breiten Absätzen. Die Abdrücke waren farbig getönt, wirkten bläulich-lila, ein wenig. Ezra fuhr mit dem Finger darüber, aber der Abdruck blieb. Wolfgang kam mit einem feuchten Fetzen. Der Abdruck ließ sich nur schlecht entfernen. Das Tuch war nachher bläulich staubig.
Ida hatte sich eine Weile auf den Geist konzentriert, hatte über ihn nachgedacht und schlug vor: „Wir müssen ihn fragen, ob er vielleicht hinaus möchte, denn wenn er immer in dem Zimmer auf und ab geht ist das ja nicht erfüllend für so ein langes Leben nach dem Tod. Vielleicht schläft er hier und kann nie hinaus. Auch wenn man nicht essen muss, will man aus seinem Zimmer.“
„Sollen wir ihm die Türe offen lassen?“, fragte Ezra. „Ich bin mir nie sicher, wie das mit Geistern und Türen ist.“ Ezra legte Wert darauf, möglichst normal zu sprechen, aber das mit der Fußspur war schon seltsam. Nicht Schrecken, nicht Gänsehaut, schon gar nicht Panik, aber seltsam war die Fußspur schon.
„Geister schweben doch im Allgemeinen durch Wände.“ Wolfgang schob gerade eine Kommode an die andere Wand.
„Nicht immer“, meinte Ida, „Ich weiß, dass sie gelegentlich knarrend Türen öffnen.“
„Eingemauerte weiße Frauen findet man aber vorwiegend in Gängen und Treppenhäusern. Also irgendwie können sie aus der Mauer.“ Geisterkunde von Ezra.
Wolfgang steckte mit dem Kopf im unteren Fach der Kommode, und es klang hohl als er sagte: „Ich denke, sie machen vor allem seltsame Geräusche.“
„Naja irgendwie müssen sie ja `guten Tag´ sagen“, meinte Ida, „Vielleicht wollen sie wahrgenommen werden, auch wenn sie nicht mehr richtig leben. Wir fühlen uns ja alle nur bedeutend, weil uns jemand wahrnimmt.“
Wolfgang war inzwischen mit praktischen Überlegungen beschäftigt. Er hatte nicht so viel Gefühl für Geister „Wie machen wir denn das mit der weiteren Einrichtung?“, wollte Wolfgang wissen. Ida drehte sich um und ging. Ezra nahm an, sie wollte schauen, ob Robert da war, aber vor allem wollte sie keine praktischen Probleme lösen.
„Fragen wir Esther.“ So ging er Esther suchen. Ezra hatte einen Moment das Bedürfnis, die Türe offen zu lassen, damit der Geist freie Bahn hatte, entschied sich aber schließlich dagegen. Wahrscheinlich konnte er durch die Wand und die Besorgnis war überflüssig.
Ezra war auf dem Weg hinunter in die Küche. Aus dem Unterstock drang eine weinerliche Stimme hoch. Röschen stand in der Küchentüre und erklärte Esther gerade, dass das, was hier gekocht wurde, für sie nicht essbar war. „Ich habe immer schon einen empfindlichen Magen, diese fette Kost hier bekommt mir nicht. Tinchen hat gesagt, ich soll das in der Küche besprechen.“ Ein tiefer kummervoller Seufzer folgte dem gerade vergangenen. „Nur weißes Fleisch, Kalb oder Huhn, Spargel vertrage ich gut, sonst bin ich aber sehr heikel.“
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