Sanne Prag
Ein Kleid aus Seide
Ein Mystik-Krimi
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Titel Sanne Prag Ein Kleid aus Seide Ein Mystik-Krimi Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Therese saß auf der Bank, die Falten der goldfarbenen Seide mit den dünnen, blauen Streifen lagen weich auf ihren Armen, auf ihren Beinen, zarter Stoff, der Liebe machte mit ihrer Haut.
Sie war vor allem heilfroh, dass er ihre Beine bedeckte. Die Schmerzen sah man ja nicht, aber die dunklen Flecken. Am Jochbein und am Hals und auf den Rippen hatte sie auch einen. Den am Jochbein hatte sie mit einer extradicken Schicht von Makeup verdecken müssen. Sie konnte fast nicht mehr lächeln, hatte das Gefühl, die dicke Schicht würde Risse bekommen und abblättern. Mit Panik hatte sie festgestellt, dass man den Fleck auf den Rippen sogar durch eine sehr dicke Schicht Farbe sah. Und wenn sie ein bauchfreies Modell anziehen musste, ging das nicht.
Vielleicht ließ Inge weiter mit sich reden in Bezug auf die Kleider?
Die meisten Mädchen hatten eine ähnliche Figur und eine ähnliche Größe wie sie. Manchmal wurde der Stoff speziell auf eine von ihnen aufgenäht, wie ein Hautersatzteil nach Verbrennung, dachte sie. Die meisten Modelle waren aber austauschbar. So war es ihr gelungen, für diesen Tag das Seidenkleid zu erobern. Es hörte erst knapp über dem Boden auf und hatte halblange Ärmel. Die Oberarme konnte sie ja auch nicht herzeigen.
Sie hatte sich sehr konzentrieren müssen, um die richtigen Handlungen zu setzen, damit sie genau dieses Kleid tragen durfte. Den Fleck am Hals verdeckte sie mit der Frisur. Das fühlte sich wie Sicherheit an. Es war ein bisschen heikel geworden, weil Udo sich eingebildet hatte, dass die Frisur so nicht richtig war. Die schützenden Haare wurden von dem Fleck weggezogen. Das hatte Angst bei ihr ausgelöst.
Udo betrachtete die Mädchen als Kleiderständer seiner überwältigen Kreationen. Daher hatte er nur Augen für die Form der Frauen, die Farbe, die Frisur, die sein Kleid zur Geltung bringen würde – der Fleck wäre Störung gewesen, er hatte ihn Gott sei Dank nicht bemerkt, weil sie sich wegdrehte. Nachher fand er die Frisur doch besser, so wie sie war. Die Haare fielen wieder über Theresas dunkle Stelle, sie war erleichtert. Zurückgestellt in die Warteschlange der Modelle, die begutachtet wurden, atmete sie aus und drückte die Haare über den Fleck.
Hauptsache, keiner wollte was von ihr.
Der Job brachte es mit sich, dass von ihr kaum mehr erwartet wurde als von einem Kleiderständer, keine Aussage, keine Wahrnehmung, kein interessierter Blick. Nur sportlich gab es Forderungen. Heftige Bewegung mit den Beinen war verlangt. Das Gehen war aber ein Problem. Die Schmerzen waren sehr deutlich. Immer wieder gab es Momente, in denen sie die akute Schmerzwelle wegatmen musste. Ihr Innenraum war wund.
Der Gedanke, dass sich Schweißtröpfchen auf ihrer Stirne bilden könnten, machte ihr Angst. Sie spürte keine feuchten Tropfen, versuchte aber trotzdem, sich aus der Reihe davonzuschleichen, um einen schnellen Blick in einen der Spiegel werfen zu können. Das war nicht möglich, denn Udo war am kreativen Akt, und da war Bewegung verboten.
Ein quälendes Bild nahm Platz in den schwelenden Resten ihrer Gedanken – Schweißtröpfchen. Ihr gepeinigtes Hirn fraß sich an dem Wort fest, an der Vorstellung – Schweißtröpfchen. Schweißtröpfchen gingen gar nicht, waren eine echte Bedrohung. Sie würden auf ihrer Stirne schwerer und schwerer werden und würden sich auf den Weg ins Tal machen wie kleine Bäche. Unterwegs höben sie dann Täler in der Puderschichte aus und dunkle, manchmal auch rötliche Streifen würden sichtbar werden. Die Folge war ein zerstörtes Puppengesicht. Ihr Puppengesicht war aber ihr Kapital. Es passte mit ihren großen, dunklen Augen und ihrem winzigen Mund gut zu den Kleidern. Bei fast jeder Auswahl war sie dabei, sie musste nur dafür sorgen, möglichst ausdruckslos zu bleiben. Das bedeutete Geld am Konto.
Ihr Gedankensumpf hatte sich seit dem Vorabend nicht geformt. Sie konnte aus dem schlammigen Bodensatz keine Klarheit schälen. Aber Geld auf dem Konto war das erklärte Ziel, gestern, heute, morgen. Das wenigstens war klar.
Ihre Gedanken schwammen undefiniert in einer roten Zone wandernder Schmerzen, und fast hätte sie das Kommando nicht befolgt: Alle wieder auf die Stationen – Foto in einer halben Stunde. Ihr Puppengesicht verschaffte ihr Zugang zu den Jobs, aber sie behielt sie, weil sie diszipliniert war. Da gab es kein Verschlafen, kein Ausweichen, keine Entschuldigung.
Die Station nahm sie und Ariane auf. Ariane war dunkel und langhaarig. Manchmal wurde ihre Frisur gezaust, um ihr ein wildes Aussehen zu geben. Die sportliche Mode brauchte das. Wind ist wild. Ariane war weder sportlich noch wild. Wie Therese ja auch, war sie ein blasses Bild, das Kleider zur Geltung bringen musste. Ihr Leben durfte nicht sichtbar sein. Sie durfte nicht sichtbar sein im Leben.
Ein Aufruhr drei Stationen weiter. Es war laut und bösartig. Sowas ging nicht durch. Nein. Zwei cm zu viel – Raus und scheißen, bis das Modell passt. Wie sie das mache, sei wurscht, sie habe einen Vertrag unterschrieben!
Solche Szenen waren immer sehr belastend und drangen auch an diesem Tag durch bis in Theresas Nebelland. Die Gefahr kam immer ganz nah an ihr Ufer, wie ein Krokodil, das ja auch sie fressen würde, mit seinem dunkelgelben, Zähne besetzten Maul. Zwei panische Zentimeter Verstopfung und das Krokodil hatte sie. Es schnappte nach ihr. Und sie konnte heute nicht laufen.
Sie war nicht ganz sicher, wie sie den Laufsteg schaffen konnte. Die Schritte mussten so gesetzt werden, dass die Kleider schwangen. Die Wollust des Stoffes, sichtbar, greifbar, musste durch sie, durch ihren Gang, durch die Beine in Bewegung gebracht werden. Ihre Beine – der Motor, der heute stotterte, schlotterte, weich und kraftlos war.
Sie merkte, dass sie den Bildern vom Vorabend auswich. Die Bilder langten nach ihr und sie entzog sich. Zurückziehen war möglich, laufen nicht.
Das Problem war die Atmung.
Es hatte eine Zeit am Vorabend gegeben, da hatte sie keine Luft holen können. Sie hatte das Gefühl gehabt, nie wieder Luft holen zu können. Ihre Brust war eingedrückt gewesen. Tatsächlich, bis ans Rückgrat. Sie hatte nicht so viel davon – von der Brust. Sie musste das, was sie hatte, immer ausstopfen. Sie hatte keinen Polster, keinen Airbag. Vielleicht hatte es sich deshalb so angefühlt – bis zum Rückgrat?
Viel Brust war auch nicht immer gut für den Job. Es gab Kleider, die waren froh über wenig.
Die anderen Mädchen diskutierten ständig darüber, ob sie sich die Brust „machen ließen“. Sie hatte zugehört und überlegt, genau beobachtet, ob sie dadurch mehr Angebote erhalten könnte. Bei der Unterwäsche war’s gut. Man hatte etwas zum Hineintun in die Spitzen. Aber Wäsche war ein kleiner Bereich. Genau betrachtet hatte sie eher den Eindruck, dass mehr Busen bei den Modellen störte. Es müsste klar einen Vorteil bringen, mehr Einsätze, damit sie all das schöne Geld investierte, um sich mehr Busen machen zu lassen.
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