„Nein, ich hab schon ewig keinen mehr getrunken.“
„Ich auch nicht. Dann fahr bitte mal da vorne an die Tankstelle. Ich kauf welchen.“
Es war vermutlich einfacher, ihrem Wunsch oder Befehl nachzukommen. „Ich warte im Wagen. Hier hast du zwanzig Euro.“
Sie nahm den Schein, setzte eine nackte Wade aus dem Auto und schritt zum Supermarkt der Tankstelle. Das zog alle erdenklichen Blicke auf sich.
In der Zwischenzeit versuchte Ben demütig die vier buddhistischen Wahrheiten zu rekapitulieren. Alles Leben ist Leiden … ja. Alles Leiden hat seine Ursache in der Begierde … ja, irgendwie schon. Die Befreiung von der Begierde führt zur Befreiung von der Kette der Wiedergeburten … halt, nein.
Mit fünf Weinflaschen und überkreuzten Armen - zwei in der Rechten, zwei in der Linken, eine an die Brust geklemmt - kam Lina wieder raus. Ben schwang die Autotür auf und lief ihr leidend entgegen.
„Schau mal, was ich hier entdeckt hab: ›Feudo Montoni‹, sizilianischer Rotwein.“
„Wie hat denn dafür das Geld gereicht?“, half er ihr.
„Ich hatte auch noch was.“
Schließlich blitzten die Felgen über den Asphalt weiter bis zum Wohnblock, wo sie endgültig hielten. Die Haustür unten war von irgendeinem Tölpel wieder mal nicht richtig zugemacht worden. Aus Verdruss darüber fielen Ben im Treppenhaus gleich die Schlüssel runter, doch Lina fischte sie mit erstaunlicher Geistesgegenwart aus der Luft und ging weiter.
„Du hast an deiner Wohnungstür zwei Schlösser?“, stellte sie dann fest.
„Nimm einfach den hier und den da. Ich wohne nicht unbedingt“ - er trug ihren Koffer samt dem Großteil der Weinflaschen hinein - „kaiserlich.“
Lina zog ihre Sandalen aus, sah sich barfuß um und zuckte die Achseln. „Befriedigendes Basislager.“
Das hätte ihm ein Schmunzeln entlockt, wäre er nicht von anderen Gedanken belagert worden. „Also, ich hab im Kleiderschrank Platz gemacht, wir können ihn uns teilen. Das Bett bekommst du. Ich werde auf der Couch schlafen.“
„So schmal sieht das Bett gar nicht aus.“
Sein Handy jaulte. Er war noch nicht mal dazugekommen, sich die Hände zu waschen. Im Übrigen musste er nicht mal auf das Ding gucken, um zu wissen, dass ihn Kristin anrief.
„Na, Ben? Wie läuft's? Bringt sie frischen Wind rein?“
„Die Aktion war etwas hinterlistig von dir, Kristin.“
„Überraschungen sind immer hinterlistig. Ich komm in den nächsten Tagen mal vorbei. Behaltet den Lamborghini noch so lange …“
Hörbar zog Lina eine Küchenschublade auf. Vermutlich suchte sie einen Korkenzieher, wie ihn Ben an seinem Taschenmesser hatte.
4. Kapitel
Ein trautes Gelage
Wann immer Lina etwas in den Händen hatte, ließ sie es irgendwo liegen, und er musste es ihr hinterherräumen: eine Nagelfeile, ein Handtuch, ein iPhone. Ja, sie besaß tatsächlich ein Handy von Apple.
Lieber als im engen Käfig der Wohnung schlenderte sie allerdings im Freien rum - drei, vier Stunden, weiß der Teufel, wohin. Vom Frühstücken hielt sie nix, und vom Mittagessen auch nicht sehr viel. Dafür brachte sie im Abendlicht mit Jeansshorts und einem Fähnchen bekleidet blassrosige Hähnchen vom Schlachter.
„Grill die bitte für uns!“, sagte sie zu Ben.
„Erstens lasse ich mir nichts befehlen.“
„Ich habe ›bitte‹ gesagt.“
„Zweitens ernähre ich mich zum größten Teil vegan, weil ich Blut und Tod satthabe.“
„Dann musst du eine triumphale Portion Gemüse dazu essen, damit so ein Hähnchen nur noch einen kleinen Teil ausmacht. Am allerwenigsten möchtest du sicher, dass es umsonst gestorben ist. Ich pinsle die Marinade drauf, und sei froh, dass die Tierchen schon ausgenommen wurden. Wir hielten früher Eingeweideschau, um daraus den Willen der Götter zu wahrsagen.“
Ein Irrsinn!, ärgerte sich Ben nutzlos.
Obwohl er ihr bei der Zubereitung half, wollte er seinen moralischen Prinzipien treu bleiben und nichts von dem Fleisch essen. Allem voran trug er deshalb Paprika-Reis, gegrillte Auberginen, Bohnen und gemischten Salat auf.
„Warum deckst du den Tisch?“, breitete die eingebildete Römerin eine bestickte Decke auf den Wohnzimmerboden und fläzte sich seitlich wie ein Filmstarlet hin. Unter ihren Arm häufte sie weiche Kissen.
„Das ist nicht dein Ernst, Lina?“
„Sogar schon die Etrusker, Phönizier und Babylonier, ganze Äonen haben im Liegen gegessen.“
„Ja, aber jetzt lebst du in der Moderne.“
„Man muss nicht jeden Trend mitmachen.“
Wollte sie ihn necken, oder was? Er machte selber auch nicht alles mit, aber in diesem Fall konnte er ihr unmöglich Recht geben. „Tu, was du willst.“ Dann stellte er sich jedoch vor, wie er am Tisch aß und die Frau auf dem Boden liegen ließ. Das war auch nicht akzeptabel. „Na schön“, suchte er den Kompromiss, „ich werde zu dir kommen, mich aber eher auf den Boden setzen.“
Er verfrachtete bückend die Schüsseln und Teller in sorgfältigster Anordnung auf die Decke. Linas Magen knurrte behaglich wie eine Katze, als Ben endlich die würzige Dampfwolke aus dem Ofen ließ und beide Hähnchen auf einer Platte in ihre territoriale Hälfte rückte. Sofort verspürte er Durst und stellte eine Karaffe frisches, klares Wasser mit Gläsern dazu.
„Vorzüglich, es fehlt nur noch der Wein. Bestecke brauche ich nicht“, lächelte Lina.
„Willst du auch gleich aus der Flasche trinken?“
„Nein, das ist nicht mein Stil.“
Nicht ihr Stil, tss. Ben holte den Wein, begab sich mit einem Gelenkknacken in den Lotussitz und entkorkte die Flasche eingeklemmt zwischen seinem Schoß (schön am Phallus, wie es Lina sah). „Auch den“, goss er ihr diesen ›Feudo Montoni‹ und sich hingegen Wasser ein, „musst du alleine genießen.“
„So sei es denn. Auf Fortuna, Mars und den souveränen Jupiter - prost!“, ließ Lina die Gläser wie einen kitzligen Gong erklingen.
Dann riss sie einen krossen Schlegel ab und biss saftig hinein. Mithilfe einer Waage füllte Ben sich Reis in ein großes Schälchen und Gemüse auf den Teller.
„Warum wiegst du das ab?“
„Damit ich nicht mich wiegen muss.“
„Du pflegst verrückte Riten.“
„Das musst gerade du sagen“, konterte er.
Mit triefenden Fingern langte sie in den Reistopf.
„Lina!“
„Was denn?“
„Hast du in der Anstalt auch als so ein Schwein brilliert?“
Sie machte ein verdrossenes Gesicht. „Was glaubst du, warum ich da rauswollte? Die haben mich behandelt, als wäre ich ein kleines Gör und nicht schon tausendsechshundertzweiundsechzig Jahre alt. Aber die Unwissenden meckern immer gern über die Sehenden“, kippte sie den Wein in sich und hielt Ben nochmals ihr Glas hin. „Wärst du so gut?“
Entweder den Hals umdrehen oder weise Nachsicht üben. Er drückte beide Augen zu, kehrte in sich, öffnete sie wieder und schenkte Lina nach.
„Sehr liebenswürdig.“ Vollmundig, fast ehrgeizig widmete sie auch dem Geflügel ihre Esslust und fingerte dazwischen nur noch knackige Salatblätter aus der Schüssel. „Weißt du, dass du dich wie ein Asket verhältst?“
„Ja.“
„Führt dich denn nichts in Versuchung?“
Er streifte mit dem Blick das zartfeste Frauenfleisch ihrer Beine und senkte schweigend den Kopf.
„Du versteifst dich aus Angst in Sicherheitsmanövern. Das ist keine Schande. Denn wer keine Angst kennt, der kann auch nicht tapfer sein, nur blöd. Aber schade finde ich's. Du müsstest nur die Hand ausstrecken und das Leben würde dich mit herzhaften Freuden beschenken.“
Er aß bald schneller, bald langsamer, je nachdem, wie seine Gedanken wühlten oder stockten. Stärker erlahmte Lina. Doch sie sperrte einfach die Knöpfe ihrer Jeansshorts auf, verlagerte ihre Liegeposition und schlemmte auch dem zweiten Hähnchen die marinierte Haut runter. Zügellos frönte sie der Völlerei.
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