Ich setze mich auf eine Bank, die nur ein paar Meter vom Club entfernt steht und lasse den Abend, ganz besonders die letzte Stunde, Revue passieren. So gut es in meinem benebelten Zustand eben geht.
Was würde Damian wohl sagen, wenn er mich so gesehen hätte? Würde er über mich herziehen, weil ich kurz nach unserer Trennung auf eine verführerische Art mit einem anderen tanzte? Oder wäre er eher zornig, weil ich ihn so schnell abgeschrieben habe? Oder könnte er vielleicht eifersüchtig sein?
Der letzte Gedanke gefällt mir mit Abstand am besten, doch davon kann ich nur träumen. Ich muss ihn vergessen, nach vorne sehen und so tun, als hätte er mir nicht unheimlich wehgetan.
„Miss Weber, darf ich Sie nach Hause bringen?“
Erschrocken drehe ich den Kopf und sehe Pietro neben mir stehen. Ich war wohl so sehr in meinen Erinnerungen versunken, dass ich ihn nicht habe kommen hören.
„Was tun Sie denn hier?“ ist das Erste, was ich hervorbringe.
„Auf Sie aufpassen.“ Er zuckt unschuldig mit den Schultern.
„Warum?“
„Weil es mein Job ist.“
Ich nicke nur, weil es nichts bringt, mit ihm über seine Aufgabe zu sprechen. Also stehe ich auf und folge ihm. „Waren Sie die ganze Zeit da?“
„So in etwa.“
„Dann haben Sie auch gesehen wie....“
„Ja, das habe ich.“ unterbricht er mich, bevor ich aussprechen muss, was ich im Club getan habe.
Verlegen sehe ich zu Boden. „Ich habe Sie nicht bemerkt.“
„Ich bin dazu ausgebildet, nicht gesehen zu werden.“
Wir schweigen, während er mich stützend zur Limousine bringt, die in der nächsten Strasse abgestellt ist. „Weiss Damian, wo ich bin?“
„Ja.“ Bevor ich ihm die nächste Frage stellen kann, spricht er weiter. „Er ist nicht begeistert.“
„Das kann ihm egal sein. Schliesslich sind wir nicht mehr zusammen.“
„Sie sind ihm nicht gleichgültig.“
„Wo ist er?“ höre ich mich auf einmal fragen.
„In der Schweiz.“
„Oh.“ Ich brauche eine Sekunde, um einen klaren Gedanken zu fassen und um den Schmerz zu verdauen, der eben mein Herz zugedrückt hat. „Geschäftlich oder Privat?“
„Privat.“
„Oh.“ sage ich wieder und ich muss schwer schlucken.
„Vielleicht sollten Sie ihr Telefon einschalten.“
„Wie?“
„Ihr Telefon ist schon den ganzen Tag aus.“ Pietro öffnet die Tür und ich klettere in den Fond des Rolls Royce.
Mein Smartphone liegt in meiner kleinen Handtasche. Ich habe es zwar eingesteckt, damit ich es bei einem Notfall dabei gehabt hätte, aber ich habe es seit heute Morgen nicht mehr eingeschaltet, weil ich mir nicht anhören konnte, was mir Damian sagen wollte und auf keinen Fall durfte ich seiner Stimme lauschen. Es wäre zu schmerzhaft gewesen.
Ich drücke auf den Knopf und das Handy erwacht zum Leben. Kaum habe ich die PIN eingegeben, zeigt es mehrere unbeantwortete Anrufe und unzählig Nachrichten an. Ehe ich nachsehe, von wem sie sind, tippe ich schnell eine SMS an Bernice. „Verdammter Mist.“ meckere ich, als sich herausstellt, dass ich ihre Nummer gar nicht habe.
„Irgendein Problem?“ fragt mich Pietro von vorne.
„Könnten wir nochmals zum Club fahren? Ich habe meiner Kollegin nicht gesagt, dass ich gehe. Ich möchte nicht, dass sie sich Sorgen um mich macht.“
„Schon erledigt.“
„Wie?“
„Als Sie nach draussen gegangen sind, habe ich Miss Turner mitteilen lassen, dass ich Sie nach Hause bringen werde.“
„Woher waren Sie sich so sicher, dass ich mit Ihnen gehen würde?“
„Obwohl Sie ziemlich betrunken waren, sind“ korrigiert er sich. „konnte ich an Ihrem Gesicht ablesen, dass Sie nicht mehr länger dort bleiben wollten.“
„Sind Sie nun auch noch Gedankenleser?“
Er schmunzelt nur und konzentriert sich wieder auf die Strasse. Also schaue ich auf mein Telefon. Bis auf ein Anruf sind alle von Damian. Der Erste war um sechs Uhr morgens. Der Letzte noch nicht einmal vor einer Stunde. Sowie ich den Nachrichtenordner geöffnet habe, seufze ich auf, als ich die vielen Mitteilung sehe, die allesamt von Damian stammen. Ich weiss nicht, ob ich es wagen darf, sie zu lesen, weshalb mehrere Minuten vergehen, bis ich den Mut gefasst habe nach unten zu scrollen, um die älteste zu öffnen.
Liebe Jess, vergib mir.
Geschrieben um kurz nach vier Uhr morgens.
Die nächste SMS:
Es tut mir leid, ich war ein Arsch.
Darauf folgend:
Ich muss in die Schweiz. Aber ich wünschte, ich hätte mich vorher mit dir unterhalten können. Ständig sehe ich dich vor mir, wie du mich mit deinen Augen traurig, verletzt und enttäuscht ansiehst. Bitte melde dich. Es tut mir leid.
So geht es zehn Nachrichten weiter, ausser dass sie immer ergreifender werden.
Wir starten bald. Ich werde erst wieder in London an mein Telefon gehen können. Das wollte ich dir kurz mitteilen. Eigentlich habe ich gehofft, dass ich noch etwas von dir höre, bevor wir abheben. Leider ist mein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Jess, Babe, es war nicht meine Absicht. Sorry.
Ich versuche die Tränen zurückzuhalten, doch sie treten mir ungebeten in die Augen und lassen die Texte vor meinen Augen undeutlich werden.
Wir rollen nun über die Landebahn und noch immer kein Zeichen von dir. Ich wünschte, du wärst bei mir. Dein Damian
Erst vor wenigen Minuten:
Jess, meine Süsse. Das was ich zu erledigen hatte, habe ich getan. Ich dachte, ich würde mich danach besser fühlen, aber das tue ich nicht. Es geht mir sogar noch beschissener als davor. Es war ein sehr langer und anstrengender Tag. Wahrscheinlich sollte ich schlafen gehen, aber ich werde keine Ruhe finden, weil du nicht da bist und weil ich keine einzige Nachricht von dir erhalten habe. Jess, ich werde dir alles erklären. Ich werde dir erzählen, warum ich mich in den letzten beiden Tagen wie ein Arschloch benommen habe. Du kannst mich fragen, was immer du willst und ich werde dir alles beantworten. Bitte Jess, komm zu mir. Bitte komm in mein Appartement. Dein Damian
Ich weiss nicht, was ich von seinen SMS halten soll. Gerne würde ich ihm all das glauben, was er hier schreibt und ihm verzeihen, aber dafür brauche ich wirklich gute Erklärungen. Noch einmal eine solche Abfuhr wie letzte Nacht überstehe ich nicht.
Pietro meinte, dass Damian aus privaten Gründen in der Schweiz war, aber was sind das für Angelegenheiten? Hat er sich von Helen getrennt, weil er mit mir zusammen sein möchte? Wird er mir wirklich alles erzählen, was ich wissen möchte? Kann ich ihm vertrauen? Warum sollte er plötzlich bereit sein, sich mir gegenüber zu öffnen? Kann es sein, dass ich ihm vielleicht doch etwas bedeute?
Tausend Fragen huschen durch meinen Kopf und keine kann ich beantworten. Ich bin nervös, weiss nicht, was ich machen soll.
Ich glaube, es ist nicht sinnvoll zu dir zu kommen. Ich drücke auf senden, bevor ich die Nachricht wieder löschen kann.
Sofort piepst mein Handy.
Jess, tu mir das nicht an. Bitte.
Ich möchte nichts lieber, als ihn sehen. Doch ich glaube wirklich, dass es völlig schief laufen könnte, wenn ich jetzt zu ihm gehe.
Ich bin viel zu betrunken für ein ernsthaftes Gespräch. Und du weisst, was passiert, wenn jemand von uns zu alkoholisiert ist.
Begründe ich meine erste SMS.
Ich möchte dich trotzdem sehen. Wir können auch morgen reden, aber bitte komm zu mir. D
Nachdenklich sehe ich in die Dunkelheit. So flehend und verzweifelt habe ich ihn noch nie erlebt. Ihn, der kontrollsüchtige und herrische Damian. Was soll ich nur tun?
Ich gebe den Code ins Armaturenbrett und fahre vom Parkhaus bis nach oben auf seine Etage. Meine Beine sind schwach und mein Magen rebelliert. Wobei die Ursache dafür nicht nur beim Alkohol liegt, sondern viel mehr daran, dass ich in wenigen Sekunden in seinem Reich sein werde. Halt suchend stütze ich mich am Handlauf ab, damit ich nicht das Gleichgewicht verliere und beobachte das kleine, runde Licht wie es von einer Zahl zur nachfolgenden wandert.
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